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Mausi, schlaf noch ’ne Stunde

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

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Ich bin mit 16 zu einer richtigen Frau geworden – als meine Mutter mir meinen ersten Filofax geschenkt hat. Seitdem ist mein Geburtstags-, Neujahres- und Montag-fällt-auf-den-1.-Tag-eines-Monats-Vorsatz gewesen, besser organisiert zu sein. Inzwischen habe ich von der Pocket-Größe zur Business-Größe aufgerüstet, bin damit stolze Eigentümerin eines Kalenders in A5 aus schwarzem Echtleder.

Er ist ungefähr so breit wie eine Bibel, hat Platz für jede Visitenkarte, die man in seinem Leben in die Hand gedrückt bekommt und beinhaltet vier unterschiedliche Kalender. Einmal das Jahr 2024 auf zwei Seiten, dann die Woche 2024 auf zwei Seiten und dasselbe noch einmal für 2025. Ich überlege noch zusätzlich in einen dieser Aufklappkalender und einen haftbaren Taschenrechner zu investieren – Sie wissen schon, weil man ja immer seinen A5-Kalender dabei hat, wenn man schnell etwas ausrechnen muss. 

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Eine erfolgreiche Business-Frau Mitte 40 mit drei Kindern, vier Einkommensquellen und fünf Affären wäre wohl kaum besser aufgestellt als ich. Genau angemessen für meine vier Vorlesungen und meinen 20-Stunden-Studentenjob in der Woche. Ich plane vielleicht nicht mal drei Tage im Voraus, aber ich könnte, wenn ich wollte und darauf kommt es doch an. 

Heute endete die Sommerzeit. Das heißt einerseits, dass ich ab jetzt keine Ausrede mehr habe, auf die ich meine Augenringe und schlechte Laune schieben kann und noch viel wichtiger, dass ich an jeden denke, der heute Nacht eine Stunde mehr gearbeitet hat, die er nicht bezahlt bekommt. Mein Papa ist zum Beispiel so ein typischer Kandidat, der nie die Nachtschicht zur Sommerzeit, aber meistens die zur Winterzeit aufgebrummt bekommt. 

Vielleicht hatten Sie die Zeitumstellung ja ganz vergessen und haben sich schon gewundert, warum Sie so gut ausgeschlafen haben. Tja, da sehen Sie mal, mir könnte das nicht passieren. Mein Filofax erinnert mich daran, dass gestern österreichischer Nationalfeiertag war und letzten Montag in einem Jahr das hinduistische Fest Diwali sein wird, also natürlich hat er mich auch über die Zeitumstellung informiert. 

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Und nicht nur das. Unter dem 27. Oktober steht da der Hinweis: „Ende der Sommerzeit – falls weiterhin gültig“. Ich finde das wunderschön, fast wie ein Haiku. Eine einzige Zeile, nicht mal ein ganzer Satz und doch strahlt sie so viel Hoffnung aus. Im Jahr 2025 steht genau das Gleiche. So muss es sich anfühlen, später einmal auf sein Kind zu schauen, das sich über seinen ersten Job freut und noch nicht weiß, was für brutale Dinge das Finanzamt und die Rentenkasse seinem Brutto-Gehalt antun werden. Diese tragisch schöne Naivität. 

Das Konzept der Zeitumstellung wurde in Deutschland zuletzt 1980 wegen der Ölpreiskrise eingeführt, da man sich erhoffte, dadurch Energie sparen zu können. Und obwohl seitdem zahlreiche Studien ergeben haben, dass die Zeitumstellung absolut unnötig ist, hat man daran über vierzig Jahre festgehalten. Alles, was man mit der Winterzeit an Strom spart, verbraucht man mit der Sommerzeit mehr, sodass die Differenz auf Null hinausläuft. 

Jedes Jahr aufs Neue, im März und im Oktober, kann man sich die Appelle irgendwelcher Wissenschaftler durchlesen – dieses Mal etwa der britischen Forscher der „British Sleep Society“ – die die Zeitumstellung wegen ihrer Unterbrechung des Schlafrhythmus als sehr gesundheitsschädlich ansehen. 2018 ergab eine Umfrage der EU-Kommission, die mit 4,6 Millionen Teilnehmern die mit Abstand erfolgreichste der EU-Geschichte war, dass ganze 80 Prozent der Befragten sich für eine Abschaffung der Zeitumstellung aussprachen. 

„Alles deutet nun darauf hin, dass die EU-Kommission dem Votum folgen wird“, schrieb die Tagesschau damals. Doch dazu kam es nicht. Man konnte sich nicht einigen und beschloss, dass diese Entscheidung zwar einerseits Sache der Länder sei, die sich allerdings koordinieren sollten, um keine Flickenteppiche zu erzeugen. Ich hätte ja gedacht, dass die EU gerade für die Einigung und Koordinierung unter den EU-Ländern da ist, aber was weiß ich schon. 

Die EU kann sich auf die Krümmung einer Gurke und die Vorgaben an einen Flaschendeckel einigen, aber nicht auf etwas, das ihre Bürger tatsächlich wollen. Es heißt zwar sonst immer „Follow the science“, aber auch das ist hier nicht anwendbar. Und Deutschland, das bei jedem Schwachsinn selbsternannter moralischer Vorreiter in der EU sein will, hält hier die Füße still. Und so wird die Kontroverse um die Zeitumstellung überall nahezu totgeschwiegen, außer in meinem treuen Filofax, natürlich. 

Wenn Sie also keinen Filofax haben und auch sonst niemand Sie rechtzeitig an die Zeitumstellung erinnert, bleibt es Ihnen nur noch, der Bundesregierung auf Instagram zu folgen. Die hat nämlich ein hochseriöses Erinnerungsvideo gepostet. Untermalt mit einem Schlaflied sitzt da eine kleine Maus (eigentlich ein Hamster, aber wir wollen mal nicht so sein) mit riesigen schwarzen Kulleraugen, die Instagram-Kennern als beliebtes Meme bekannt ist, auf einem kleinen Bettchen. Darüber steht: „Morgen eine Stunde länger schlafen, Maus“. 

In der Videobeschreibung steht dann: „Länger schlafen? +1000 Aura. In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Uhren eine Stunde zurückgestellt: von 3 Uhr auf 2 Uhr. Fun Fact: Die Stunden, die wir dann quasi doppelt erleben, heißen 2A und 2B.“ Die ganze Sache mit den Aurapunkten zu erklären, sprengt jetzt den Rahmen, der ganze Post ist jedenfalls ziemlich cringe. 

Sich für die Winterzeit zu feiern, ist wie sich als Verfechter der Freiheit darzustellen, weil man den Lockdown abgeschafft hat, den man vorher selbst verhängt hat. Oder sich mit der Abschiebung von Schwerverbrechern brüsten, die man vorbestraft ins Land gelassen hat. Oder eine Mietpreisbremse versprechen, nachdem man die Immobilienbranche mit staatlichen Maßnahmen und Regulierungen fast ruiniert hat. Wenn ich so darüber nachdenke, lässt sich die Politik ganz schön oft für die „Lösung“ von Problemen feiern, die sie überhaupt erst selbst geschaffen hat. 

Aber immerhin, die ganze Idee von Bringschuld statt Holschuld gilt für die Regierung auf ganzer Linie und die Bekämpfung der Einsamkeitspandemie wird auch ernst genommen. Jeder will doch behutsam von seiner Bundesregierung an wichtige Ereignisse erinnert und auch noch als Maus bezeichnet werden. Vor allem, wenn man sonst gerade niemanden hat, der einem liebevolle Spitznamen gibt, mit Gutenachliedern einlullt und von schlechter Politik ablenkt. Vielleicht sollte ich das hier auch einführen. Also macht‘s gut, meine süßen Schnuffelhäschen.

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