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Linken-Koalition und Merkel-Renaissance: Die Abgründe der CDU auf dem Rückweg zur Macht

Das Erfolgsrezept der CDU ist ihre Fähigkeit zur opportunistischen Selbsttäuschung. Kurz vor ihrem zentralen Parteitag kann sie sich aber gar nicht entscheiden - zwischen Leitkultur, Koalition mit den Linken und Ursula von der Leyen. Die Partei zeigt der Öffentlichkeit wieder, was sie für Wähler so gefährlich macht.

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„Nein, der Merz kann es einfach nicht“, sagt ein führender CDU-Politiker in einem Hotel im Hochsauerland am Frühstücksbuffet. Wenige Meter davon entfernt sitzt Friedrich Merz, gerade so, dass er es nicht hören kann. „Weiß der nicht, wie es bei uns inzwischen aussieht?“, setzt der Unions-Mann fort. Der Zahnarzt komme aus Syrien, die Ärztin aus Afghanistan, der Busfahrer aus dem Irak, die Lehrerin aus der Ukraine – erläutert er. Wirklich interessant ist nicht nur, was der CDU-Mann über seinen zu dem Zeitpunkt extrem unter Druck stehenden Parteivorsitzenden sagt, sondern vor allem zu wem.

Es ist nämlich ein Spiegel-Reporter, der an diesem Tisch sitzt – und mit diesem Material ein großes vernichtendes Porträt über Merz schreiben wird, das jetzt erschienen ist. Alles in trauter, lächelnder Einheit, bei einer Unionstagung. Monate später, als Merz seine Krise überwunden hat und wieder halbwegs stabil im Sattel ist, soll der gleiche CDU-Mann Merz als guten Parteivorsitzenden gelobt haben.

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Dass Parteifreundschaft unter allen menschlichen Beziehungen, die am wenigsten erstrebenswerte ist, ist fast schon sprichwörtlich bekannt. Doch die CDU hat ihre ganz eigene Form der Intriganz entwickelt. Denn während andere zu ihrem Opportunismus oft ein gebrochenes, zynisches und vielleicht sogar selbstironisches Verhältnis haben, schauen Unionler oft mit den Kulleraugen eines Kindes und erzählen einem völlig ernst, wie wunderbar doch dieser und jener neue Vorsitzende wäre – während der Vorgänger ganz furchtbar gewesen sei, das sei ihnen aber erst aufgefallen, nachdem der nicht mehr da war. In dieser organisierten Fähigkeit zur Selbsttäuschung liegt auch ihre Unberechenbarkeit.

Merkel und der Kurs der Mitte

Am Montag startet einer der entscheidendsten Parteitage der Union. Und es mischen sich bizarre Muster: Einerseits will Merz hier mit einem neuen Grundsatzprogramm festlegen, der Islam gehöre unter bestimmten Umständen doch nicht zu Europa. Man will eine „Leitkultur“ festschreiben. Diese müssten „ohne Wenn und Aber“ alle anerkennen, „die hier leben wollen“ – so steht es im Entwurf.

Andererseits soll aber auch Ursula von der Leyen auftreten, die als EU-Kommissionspräsidenten wohl die mächtigste faktische Grünen-Politikerin Europas ist – und die gefährlichste. Carsten Linnemann will kurz vor dem Parteitag eine Koalition mit „diesen“ Grünen ausschließen, gleichzeitig plädiert Daniel Günther auf eine Öffnung im Osten zur Linkspartei – und eine Rückbesinnung auf Merkel. Der Kurs der Mitte sei Merkels Erfolgsrezept gewesen, sagt Günther den Funke-Medien. Mit diesem Kurs würde die Partei bis zu 40 Prozent erreichen können. Seine Ministerin Karin Prien will wiederum auch noch eine Öffnung zum Bündnis Sahra Wagenknecht.

All das wird aufeinanderprallen – obwohl prallen vermutlich das falsche Wort ist. Vielmehr werden sich in den Magnetgittern der Partei, die Parteifreunde wieder in Linie formieren und treu gläubig etwas von neuer Einigkeit fabulieren. Die parteiinternen Feinde Hendrik Wüst und Friedrich Merz wollen sich nach außen hin vertragen haben – Wüst lobt sogar Merz.

Einheit der Partei, das ist die zentrale Floskel, die jetzt beschworen wird. Merz wünscht sich ein Ende der Attacken von Wüst und Söder. Die Linken in der Partei fassen unter das Schlagwort die Rückorientierung in die Mitte von Merkel und ein Ende der konservativen Spitzen, die Merz dennoch ab und an bringt. Diese Einigkeit der CDU, ihre Fähigkeit zur machtorientierten inneren Ordnung, sind der größte Vorteil der Partei – aber auch das, was sie gefährlich macht.

Denn niemand weiß, was man mit der CDU bekommt. Von Linkspartei und von der Leyens antiliberaler EU-Kommission bis zur Leitkultur wird alles irgendwie zusammen gepackt und es wird so getan, als würde das alles irgendwie zusammepassen, wenn man nur genug die Parteieinheit beschwört. In Wahrheit werden diese Konflikte aber bestenfalls weggeleugnet, um als geeinte Formation Wahlen zu gewinnen – was danach passiert, weiß schlicht niemand. Auch die Parteifreunde selbst wissen noch nicht, wie sie sich dann voller halluzinierter Überzeugung orientieren werden.

Man weiß nur, dass die meisten CDU-Politiker dann beseelt erzählen werden, dass das Machtzentrum, das sich dann eben durchgesetzt hat, ganz großartig sein wird. Niemand weiß, was unter dieser Partei passiert, wenn sie regiert. Weder in Nordrhein-Westfalen noch in Schleswig-Holstein sieht man, dass politisch großartig etwas anderes gemacht werden würde als Ampel light. Und auch die neue hessische CDU-geführte Landesregierung macht bisher vor allem mit neuen Aktionen gegen Hass im Netz von sich reden.

Wenn die CDU glaubhaft werden will, muss sie ihre Konflikte vor der Wahl austragen und jetzt entscheiden, wer sie sein will. Wenn man diese Konflikte einfach runterkocht und verschleiert, wird man nach der Wahl die eine oder andere Hälfte der Wählerschaft betrügen.

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