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WDR-Bericht

Interne E-Mails enthüllen, wie Lauterbach die Corona-Risikobewertung manipulierte

Laut einer Recherche von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung wollte das RKI im Februar 2022 die Risikobewertung von „sehr hoch“ auf „hoch“ herabstufen, doch Lauterbach verhinderte dies über Monate hinweg, mit fadenscheinigen Begründungen.

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Im Februar 2022 wollte das Robert Koch-Institut (RKI) die Corona-Risikobewertung von „sehr hoch“ auf „hoch“ herabstufen. Interne E-Mails zwischen Gesundheitsminister Karl Lauterbach und RKI-Präsident Lothar Wieler belegen, dass Lauterbach diese Herabstufung über Monate hinweg verhinderte. Das berichten WDR, NDR und die Süddeutsche Zeitung. Erst am 5. Mai gab es eine Zustimmung zur Veröffentlichung – ohne öffentliche Ankündigung. Die RKI-Risikobewertung gab bis dahin zu keinem Zeitpunkt den echten, wissenschaftlichen Stand des Corona-Expertengremiums wieder.

Am 3. Februar 2022 wandte sich der damalige RKI-Präsident Lothar Wieler um 4:28 Uhr in einer E-Mail an Lauterbach. Er informierte den Minister über die geplante Herabstufung der Risikobewertung seiner Behörde, begründet durch die geringere Schwere der Omikron-Variante im Vergleich zur Delta-Variante. Lauterbach antwortete jedoch am selben Tag: Eine Herabstufung sei „problematisch“ und könnte vor dem bevorstehenden Treffen der Ministerpräsidenten „das falsche Signal“ senden.

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Die E-Mail-Korrespondenz zwischen Lauterbach und Wieler zeigt, dass der Gesundheitsminister wiederholt intervenierte. Am 15. Februar schlug Wieler erneut vor, eine neue Risikobewertung zu veröffentlichen. „Danke für das gute Gespräch. Ich fasse nochmals kurz zusammen: Das RKI stellt nächste Woche die Risikobewertung (sehr hoch auf hoch) auf die Website“, schrieb Wieler drei Tage später.

Doch auch dieses Datum verstrich ohne eine Herabstufung; stattdessen wurde dokumentiert: „Kein Konsens zur Veröffentlichung, wird zwischen Präsident und Minister am 24.2. besprochen. Voraussichtliche Veröffentlichung auf RKI-Website am 25.2.2022“. Zwei Tage später dokumentierten die RKI-Protokolle jedoch: „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt“.

Die wiederholte Ablehnung habe im RKI zu wachsender Frustration über Lauterbachs Blockadehaltung geführt, heißt es in dem Bericht. Im Krisenstab wurde demnach diskutiert, ob man das „sehr hoch“ einfach von der Website nehmen sollte, was jedoch als „sehr eskalierend“ verworfen wurde. Wochenlang sei nicht mehr über die Risikobewertung gesprochen worden.

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Am 20. April versuchte Wieler erneut, die Risikobewertung anzupassen und schrieb an das Ministerium: „Die aktuell positive Entwicklung der Pandemie führt glücklicherweise dazu, dass wir die Risikobewertung anpassen.“ Am folgenden Tag kontaktierte er direkt Lauterbach mit den Worten: „Anbei die überarbeitete Risikobewertung. Wie vereinbart geben Sie mir dann ein Signal im Hinblick auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung in der nächsten Woche.“

Vier Tage später vermerkte das RKI-Protokoll: „Warten auf Rückmeldung des BMG. Grundsätzlich ist Minister einverstanden, meldet sich aber noch einmal.“ Doch auch diesmal geschah zunächst nichts. Erst am 5. Mai schrieb Wieler an Lauterbach: „Ich gehe davon aus, dass wir die Risikobewertung heute online stellen, falls wir bis 12 Uhr heute keine gegenteilige Information erhalten.“

Boris Velter, Leiter von Lauterbachs Leitungsabteilung, antwortete: „Der Text könne nun veröffentlicht werden.“ Er fügte hinzu: „Er sollte wegen der Grundsensibilität bitte dennoch ohne mediale Ankündigung / Begleitung das Licht der Welt erblicken.“

Die im Juli veröffentlichten RKI-Protokolle offenbarten, dass kritische Stimmen innerhalb des Instituts ausgeblendet wurden. Die Protokolle zeigten, dass Bedenken über den Zusammenhang zwischen den staatlichen Maßnahmen und dem Pandemiegeschehen ignoriert wurden.

Die fachliche Begründung stand oft erst an zweiter Stelle hinter politischen Entscheidungen. Das RKI wurde regelmäßig mit der Aufgabe betraut, bereits getroffene politische Entscheidungen nachträglich zu legitimieren. Das Ministerium als übergeordnete Instanz hatte Entscheidungsfreiheit, die Risikostufe nicht zu senken. Eine Tatsache, die Gesundheitsminister Lauterbach immer wieder von sich wies.

Lauterbach rechtfertigt sein Vorgehen auch nachträglich. Auf X schrieb er am Mittwochabend: „Hätten wir im Februar 2022 die Risikostufe bereits herabgesetzt, als zum Teil noch hunderte Menschen am Tag an Covid gestorben sind, wäre das ein Fehler gewesen.“

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