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RKI-Files

„Hört auf die Wissenschaft“? Virologe Schmidt-Chanasit übt scharfe Kritik an politischem Umgang mit RKI-Files

Der Virologe kritisiert eine Aufarbeitung der durchgestochenen RKI-Files und kritisiert die Einflussnahme der Politik: Lauterbach und Co. haben die notwendige „Transparenz nicht hergestellt“. Er rechnet auch mit dem alten Glaubenssatz „Hört auf die Wissenschaft“ ab.

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Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit nahm schon während der Pandemie eine differenzierte Position zu Covid-19 ein. Jetzt fordert er eine Corona-Aufarbeitung mithilfe der RKI-Protokolle.

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Die kürzlich von einem ehemaligen Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts durchgestochenen RKI-Krisenstabsprotokolle erreichen nach und nach auch öffentlich-rechtliche Sender. Am Samstag veröffentlichte beispielsweise der MDR ein Gespräch mit dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit – der während der Covid-Pandemie immer wieder differenzierte Positionen einnahm und deswegen zum Maßnahmengegner erklärt wurde.

Und auch jetzt zeigt sich Schmidt-Chanasit bezüglich der neuen RKI-Protokolle kritisch: Die Dokumente würden zeigen, dass das RKI durchaus eine differenzierte Stellung bezog. Aber „was natürlich etwas, ich will nicht sagen schockiert, aber verwundert, ist, dass eben genau diese breite, differenzierte Diskussion, die am RKI stattgefunden hat, wie wir sie in den Protokollen sehen, dann eben nicht nach außen gedrungen ist.“

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Mit anderen Worten: Es fehlte die politische Transparenz des dem RKI übergeordneten Bundesgesundheitsministeriums. Was fachlich durchaus ausgewogen betrachtet wurde, ist politisch nicht aufgegriffen worden. Der Virologe meint, dass dieses Versäumnis nicht auf das RKI zurückzuführen ist: „Das ist ganz klar eine Kritik an den politischen Entscheidungsträgern, die diese notwendige Transparenz nicht hergestellt haben“, betont Schmidt-Chanasit.

Belegt wird diese Kritik von einigen Protokollen, die die Verwunderung oder Zurückhaltung der Krisenstabsmitglieder wiedergeben. In einem Protokoll vom 10. September 2021 ist beispielsweise festgehalten, dass gegenüber dem RKI eine „ministerielle Weisung“ ausgesprochen wurde. Weisungen sind in Behörden nichts Ungewöhnliches, die Reaktion der RKI-Krisenstabsmitglieder verrät aber viel über den Eingriff des Gesundheitsministeriums (Apollo News berichtete).

„Eine derartige Einflussnahme seitens des BMG (Bundesgesundheitsministerium, Anm. d. Red.) in RKI-Dokumente ist ungewöhnlich. Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit von L1 rechtlich geprüft“, wird in dem Protokoll festgehalten. In einem Auszug der Sitzung vom 27. Oktober 2021 steht zudem geschrieben: „Zwangsmaßnahmen in Erwägung zu ziehen, weil bestimmte Dinge nicht funktionieren, ist bemerkenswert“. Das RKI hinterfragte hier eindeutig den Standpunkt des Ministeriums.

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Den politischen Einfluss auf die Wissenschaft sieht auch Schmidt-Chanasit kritisch: „Ich glaube, hier ist es wirklich wichtig, das sauber aufzuarbeiten“, sagt der Virologe. „Das RKI ist eben dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt. Und natürlich kann man vermuten, dass, wenn es dort eine Anweisung durch den Minister gibt, sich die Mitarbeiter dem nur schwer entziehen können“.

In diesem Zusammenhang kritisiert Schmidt-Chanasit auch den Umgang der Politik mit der Wissenschaft. Weder dürfe die Regierung die Experten überstimmen, noch dürfe der immer wieder lapidar geäußerte Satz, „Hört auf die Wissenschaft“, zum Konsens werden. Es bräuchte ein Miteinander, mahnt der Virologe und wünscht sich: „Hört der Wissenschaft zu“.

Es ist „ein schwieriges Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Politik“, sagt Schmidt-Chanasit. „Wissenschaftlich-technisches Wissen darf den politischen Streit nicht überflüssig machen. Der Schlachtruf ‚Hört auf die Wissenschaft‘ klingt zwar vernünftig, ist aber zutiefst undemokratisch“, erklärt der Virologe und ergänzt: „Gerade in einer Pandemie gibt es viele andere Punkte, die neben wissenschaftlichem Wissen berücksichtigt werden müssen. Also insofern ist es hier ganz wichtig, auch von der Wissenschaft zu sagen: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß‘“.

Schmidt-Chanasit fiel in der Pandemie immer wieder durch differenzierte Standpunkte auf. Gemeinsam mit den Virologen Hendrik Streeck und Andreas Gassen kritisierte Schmidt-Chanasit bereits 2020 die voreilige Lockdown-Entscheidung und setzte sich für eine bundesweite Erhebung der gesamtgesellschaftlichen Immunität ein, um so auch Lockerungen zu ermöglichen.

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