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Gibt es die perfekte Frau? Das woke „Sex and the City“-Missverständnis

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

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„Ich bin 23 und habe gerade zum ersten Mal „Sex and the City“ gesehen – das sind meine Gedanken“, lautete der Titel eines Artikels der britischen Vogue letztes Jahr. Ich habe auch zum ersten Mal „Sex and the City“ gesehen, ich möchte Ihnen auch meine Gedanken mitteilen und ich habe noch zweieinhalb Monate Zeit, mich als 23 zu bezeichnen. 

Auch wenn das Forum ein anderes ist, als das der Vogue: Das Ganze mag jetzt also zwischen RKI-Protokollen und eliminierten Hamas-Anführern etwas deplatziert wirken, ich habe aber erstens eine, wie ich finde, sehr raffinierte, gesellschaftspolitische Pointe und zweitens ist das hier ja auch meine Kolumne. 

Die Protagonistin der Sendung ist Carrie Bradshaw, die für die fiktive Zeitung „New York Star“ die Kolumne „Sex and the City“ schreibt und sich allein damit eine Wohnung in der Upper West Side in New York und eine ausgiebige Sammlung an Designerkleidung (insbesondere eine Kollektion an Manolo Blahnik-Schuhen) leisten kann. Fiktion für Frauen eben. 

Inspiration für ihre Kolumne liefern ihr – neben ihrem eigenen Liebesleben – ihre drei Freundinnen. Samantha Jones ist eine erfolgreiche PR-Beraterin und führt ein temperamentvolles Leben. Sie hat jede Menge One-Night-Stands und kein Verlangen nach einer Beziehung – ein Lebensstil, den sie als „Sex haben wie ein Mann“ bezeichnet. 

Charlotte York ist Galeristin und das genaue Gegenteil von ihrer Freundin Samantha. Sie ist konservativ und manchmal etwas prüde, eine hoffnungslose Romantikerin und will (reich) heiraten und eine Familie gründen. Derweil will Miranda Hobbes, Harvard-Absolventin und Anwältin, in erster Linie Karriere machen. Sie möchte zwar eigentlich nicht alleinstehend bleiben, ist aber so zynisch und von Männern abgeklärt, dass Beziehungen ihr schwerfallen.

Als die erste Staffel im Juni 1998 auf HBO gesendet wurde, galt die Serie als revolutionär und emanzipierend. Vier alleinstehende Frauen über 30 (Samantha feiert ihren 35. Geburtstag dabei schon etwa zum 5. Mal), die alle auf ihre Art ein glamouröses Leben führen und offen über Sex sprechen. 

Was die Sendung zu einem Erfolg über 6 Staffeln, eine Spin-Off-Serie, zwei Kinofilme und zwei Sequel-Staffeln machte, waren nicht nur die Designer-Handtaschen, der Sex oder die Einblicke in das New Yorker Stadtleben. Ende der 90er, Anfang 2000, als Frauen gesellschaftlich gleichberechtigt und in der Arbeitswelt angekommen waren, stellte „Sex and the City“ die Frage: Wie lebt denn eigentlich eine moderne Frau? Vorgestellt werden drei Lebensstile: die Hausfrau, die Karrieristin und die Nymphomanin. Oder anders gesagt: Charlotte, Miranda und Samantha. 

In Designerkleidung und High Heels werden sie auf die New Yorker Männerwelt losgelassen, jede auf ihre Art. Bei Charlotte darf kein Haar falsch liegen, weshalb ihr braunes glattes Haar immer perfekt gelegt und gepflegt ist. Miranda ist es egal, wie ihre Haare liegen, Hauptsache sie hängen ihr nicht ins Gesicht. Sie trägt ihr rotes Haar in einem burschikosen Kurzhaarschnitt, für den sie gerne mal für eine Lesbe gehalten wird. Samantha ist es ziemlich egal, wie ihr Haar liegt, sie hat zu viel Selbstbewusstsein, um sich wegen so etwas verunsichern zu lassen. Ihr ist es sowieso am liebsten, wenn ihr blondes voluminöses Haar durch einen Mann zerzaust wird. 

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Ihre unterschiedlichen Prioritäten übertragen sich natürlich auch auf Männer. Für Charlotte ist eine Beziehung beendet, sobald ein Mann hässliches Porzellan kaufen will, Miranda macht mit Männern Schluss, wenn sie zu nett zu ihr sind, Samantha, wenn er schlecht küsst oder an anderer Stelle nicht wie erwartet liefert. 

Unter der Woche machen sie die Stadt auf der Suche nach Erfolg, der großen Liebe oder sexuellen Abenteuern unsicher. Manchmal gehen sie zusammen in Clubs, trinken zu starke Cosmopolitans oder geben beim Shoppen zu viel Geld für Schuhe aus. Doch einmal in der Woche treffen sie sich rituell in einem angesagten Restaurant zum Brunch und diskutieren über ihr Leben. 

Sie diskutieren, ob man einem Mann wirklich wegen eines verunglückten Zungenkusses einen Korb geben sollte, ob man „schwer zu haben“ spielen sollte, ob man Kinder kriegen muss, ob es die wahre Liebe gibt, ab wie vielen Liebhabern man eine Schlampe ist. So wirklich einer Meinung sind sie nie. Aber sie streiten sich und vertragen sich wieder.

Über Jahrzehnte ist „Sex and the City“ nun schon die Bibel für tausende Frauen in Sachen Liebe, Leben und Sex gewesen. Jede Frau kann sich in mindestens einer der vier Protagonistinnen wiederfinden. Sätze wie „Ich bin so eine Carrie“ oder „Ich bin eine richtige Charlotte“ haben Sie vielleicht auch schon mal gehört. 

Man hat als Frau im Leben viele Entscheidungen zu treffen. Familie gründen? Karriere machen? Einfach nur Spaß haben? Können Frauen alles haben? Oder müssen wir uns für eins entscheiden? Die Frau, die CEO eines DAX-Unternehmens ist und ihr Kind nicht von einem Kindermädchen großziehen lässt, muss erst noch erfunden werden. Auch wenn eine Frau alles haben will, muss sie sich für eins entscheiden. 

Doch was ist genau die Auswahl? Ein Mann kann sagen, dass ihm Familie wichtiger ist oder dass er Karriere machen will, und alles, was er damit sagt, ist, dass er eine Familie haben oder Karriere machen will. Aber wenn eine Frau sagt, dass sie eine Familie haben will, ist sie eine dumme Hausfrau und Opfer des Patriarchats. Wenn sie sagt, dass sie Karriere machen will, ist sie eine verbitterte Radikalfeministin und wird allein sterben.  

Als Frau kann man sich heute eigentlich gar nicht mehr für einen Lebensstil entscheiden, sondern nur für ein politisches Lager. Dabei steht jede junge Frau vor diesem Dilemma. Jede Frau muss sich entscheiden. Eine Entscheidung, die geprägt ist von der Angst, die falsche Entscheidung zu treffen, der Angst zu bereuen. Die Politik hat in dieses Vakuum an Struktur für weibliche Lebensentwürfe nur jede Menge Hass, Radikalität und Verurteilung gesteckt. Gegen Männer, weil die es „einfacher“ haben, gegen Frauen, die anders gewählt haben, gegen die Auswahl, die ihnen zur Verfügung steht. 

Antworten hat man bei „Sex and the City“ auch nicht bekommen. Was man bekommen hat, war eine absolut ehrliche, komplett ungeschönte und vor allem urteilsfreie, unpolitische Darstellung von dem, was zur Auswahl steht. Wenn man heute an den Türen der New Yorkerinnen in der Upper East Side klingelt, bekommt man allerdings auch das nicht mehr. 

Und auch an anderer Stelle war die Sendung revolutionär: Es wurde erstmals das Sex- und Liebesleben von Frauen mit allen Höhen und Tiefen einfach ehrlich gezeigt – ohne Kitsch und ohne Show. Auch bei Männern erfreut sich die Serie einer gewissen Beliebtheit, weil sie tatsächlich einen erstaunlich realistischen Einblick in die Gefühlswelt einer Frau zulässt.

Wie alles, was Hollywood einen Haufen Kohle eingebracht hat, kann sich auch „Sex and the City“ nicht davor retten: Die unheilvolle Fortsetzung. Die erste Staffel „And Just Like That…“ ist 2021 veröffentlicht worden und stellt sich der Frage, wer Carrie und ihre Freundinnen wohl sind, wenn sie um die 50 Jahre alt sind.

Zwei Staffeln sind inzwischen veröffentlicht worden – ich habe außer von Klatschkolumnisten noch von niemandem gehört, der sich auf die dritte Staffel freut. Die Sendung wurde oft dafür kritisiert, dass die Hauptcharaktere alle weiß sind – deshalb ist jeder neue Charakter in der Sendung eine Person of Color. Das alte „Sex and the City“ wurde als homophob und transphob kritisiert – Miranda ist daher jetzt lesbisch und betrügt ihren Ehemann mit einer non-binären Person of Color. Charlottes Kind ist non-binär und will nicht mehr Rose heißen. Carrie schreibt keine Kolumne mehr, sondern setzt sich in einem Sex-Podcast kritisch mit ihrer Cis-Sexualität auseinander, was aus Samantha geworden ist, weiß man nicht so genau, weil die Schauspielerin sich geweigert hat, mitzuspielen.

Das neue „Sex and the City“ interessiert sich nicht mehr für Frauen. Eigentlich auch nicht mehr für Sex. Alles dreht sich nur noch um Pronomen, Political Correctness und Critical Whiteness. Das ungefilterte einfach Drauflosreden, ob es nun um gesellschaftliche Erwartungen oder Körperflüssigkeiten ging, gibt es nicht mehr. Im alten „Sex and the City“ war es sexy, ein kurzes schwarzes Kleid ohne Unterwäsche zu tragen, im neuen ist es sexy, sich mit rassistischen und queerfeindlichen Vorurteilen auseinanderzusetzen. 

Von unterschiedlichen Werten, unterschiedlichen Lebensstilen ist nichts mehr übrig. Niemand darf heute mehr eine „Charlotte“ sein und sich nach einem Mann sehnen, mit dem man das perfekte Porzellan kaufen kann. Niemand darf heute mehr eine Samantha sein und sich als „politisch unkorrekt“ bezeichnen. Wenn wir eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle der Frau im 21. Jahrhundert führen wollen, dann sollten wir uns alle auf „Sex and the City“ zurückbesinnen. Aber bitte die 90er-Version. Die hatte auch noch die besseren High Heels. 

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