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Die Unerträglichkeit der leeren Symbole

Bei Hubert Aiwangers angeblichem Flugblatt exerzierte das ganze Land die Automatiken der „Erinnerungskultur“ einmal durch. Nach dem Hamas-Angriff auf Israel wurde klar, wie hohl und leer das ritualisierte Gedenken der Deutschen längst ist. Bekundungen und Flaggenhissen ersetzt echte Reaktion.

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Als dem Vorsitzenden der Freien Wähler die Autorenschaft eines antisemitischen Flugblattes unter dubiosen Umständen angedichtet wurde, sprang ganz Deutschland im Dreieck und spulte die Automatismen seiner leeren Erinnerungskultur ab. Aiwanger habe „schweren Schaden“ verursacht, hieß es damals. „Gegenüber dem Holocaust muss sich jeder fragen lassen, was er nicht gemacht hat“, formulierte ein Kommentator im Deutschlandfunk. Ein Satz, der gleichzeitig bedeutungsschwanger und hohl ist. Am Beispiel Aiwangers wurde die deutsche Erinnerungskultur in ihrer gesamten Sinnentleertheit einmal durchexerziert.

Bei Aiwanger schreien, beim Hamas-Mob schweigen

Die antisemitischen Ausschreitungen in ganz Deutschland hingegen werden hingenommen. Zwar halten Politiker große Reden und inszenieren Vereinsverbote, die dann aber unwirksam sind. Schön, dass es der Politik jetzt auch mal einfällt, die Hamas zu verbieten. Super, dass das Terrornahe Samidoun-Netzwerk in Deutschland jetzt ein Betätigungsverbot bekommt – doof nur, wenn es dann nicht unmittelbar durchgesetzt wird und die Gruppe trotzdem Präsenz auf deutschen Straßen demonstrieren kann. Der Aktionismus der Politik folgt dem Druck der Öffentlichkeit, bleibt aber ohne Substanz. Und die Israel-Flaggen an jedem Rathaus der Republik verändern nichts. Im Gegenteil.

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„Erinnerungskultur“ heißt dann konkret, die Zahlungen an die Todfeinde des jüdischen Volkes zu erhöhen und weiter Millionen in den Gazastreifen zu pumpen – in vollem Bewusstsein darüber, dass man so unmittelbar die Hamas finanziert. „Erinnerungskultur“ bedeutet, die Solidarität mit Juden im Kampf gegen die SS-Totenkopfschwadrone unserer Zeit immer an ein „Aber“ zu knüpfen. Die deutsche Erinnerungskultur wertschätzt den toten Juden, den Juden als Opfer. Lebendige und wehrhafte Juden hingegen haben darin keinen Platz. Sie werden kritisiert, bloßgestellt, untergraben und angegriffen. Am Gedenktag zur Reichspogromnacht warnt Scholz vor einer pauschalen Verurteilung – von Muslimen. Das ist die deutsche Erinnerungskultur.

Die deutsche Erinnerungskultur: Hohl und nutzlos

Deutsche besuchen Konzentrationslager wie einen Wallfahrtsort und exerzieren einen selbstbezogenen Schuldritus durch – wenn das schlimmste Massaker an Juden seit Auschwitz verübt wird, folgt daraus aber nichts. Denn der deutschen Erinnerungskultur geht es nicht um die Juden, sondern um die Deutschen. Es geht darum, „Erinnerungsweltmeister“ zu sein, sich selbst am Altar der KZ-Gedenkstätte die Absolution und moralische Reinwaschung zu erteilen. Aus der Asche von Auschwitz steigt der Phönix der deutschen moralischen Überlegenheit – das ist die „Erinnerungskultur“ in der Praxis. Die Juden sind dabei nicht mehr wichtig. Was heute mit ihnen passiert, ist nicht mehr wichtig. Selten hat sich das derart deutlich gezeigt wie seit dem 7. Oktober.

Die deutsche Erinnerungskultur hat sich selbst als hohl und nutzlos enttarnt. Große Reden der Betroffenheit und eine ans Brandenburger Tor gebeamte Israelflagge ersetzen eben keine echte Haltung und keine echte Handlung. Im Gegenteil: Das repetitive, ritualisierte Gedenken untergräbt ein echtes Geschichtsbewusstsein. Viele Deutschen, insbesondere die jungen Deutschen, sind von den längst sinnentleerten Gedenkfeiern nur noch genervt – genauso wie von einem „nie wieder“, welches immer angebliche Handlungsmaximen diktiert, aber dann konsequenzlos bleibt. Die Hälfte der Deutschen fordert in Umfragen regelmäßig einen „Schlussstrich“ unter die NS-Vergangenheit – kein Wunder, wenn „Erinnern und Gedenken“ zu so einem hohlen Ritual verkommt.

Genauso irritiert das ständige Beflaggen, welches selbst den größten Israel-Unterstützer irgendwann zum Allergiker werden lässt. Wie schon im Ukraine-Krieg, als plötzlich jeder Haltungsmensch eine blaugelbe Flagge an seinen Balkon oder seinen Twitter-Nutzernamen hängte. Wirkliche Ergebnisse brachte das nicht – und nach bald zwei Jahren sind viele Menschen vom Anblick nur noch genervt. Wirklich Greifbares für die Ukraine brachte es nicht. Genauso ist es, wenn es um Israel geht: All diese leeren Gesten dienen nur noch als Platzhalter. Sie stehen an einer Stelle, an der es wirkliche Handlungen bräuchte, und dienen als Feelgood-Ersatz für jede ernsthafte gesellschaftlich-politische Maßnahme. Das billige Bekunden von angeblicher Solidarität ist längst unerträglich geworden.

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