Er war der Motor hinter der konservativen Wende am US-Supreme Court: McConnell tritt ab
„Cocaine Mitch“, „Grim Reaper“ – Mitch McConnell hatte viele Spitznamen. Kein anderer war je so lange Fraktionschef im US-Senat – jetzt tritt er ab. Ein Rückblick auf den Mann, der viele von Trumps größten Errungenschaften möglich machte und sich bei vielen unbeliebt machte.
Am Mittwoch-Nachmittag schlug die Nachricht wie ein Blitz im politischen Washington ein: Mitch McConnell tritt ab. Der konservative Senator aus Kentucky gibt sein Amt als Fraktionschef der Republikaner ab und schreibt damit auch Geschichte: Kein anderer, weder bei Demokraten, noch Republikaner oder einer anderen Partei, hatte in den 235 Jahren des US-Senats je so lange jenes Amt inne.
„Reagan. Bush. McConnell.“ Das prangte noch auf den Plakaten seiner siegreichen Wahlkampagne von 1984, als er parallel zur Wiederwahl von Ronald Reagan als Präsidenten und George H.W. Bush als Vizepräsidenten in den Senat einzog. Sechs weitere Male gewann er in den nächsten Jahrzehnten die Wiederwahl – bis heute hat er kein einziges Mal in seiner politischen Karriere eine Wahl verloren.
Gut zwei Jahrzehnte nach seinem Einzug in den Senat stieg er dann 2007 zum Fraktionschef der Republikaner auf. Damals als sogenannter Minderheitsführer. Was folgte, waren seine wohl bedeutendsten Jahre im Senate. Er navigierte seine Fraktion durch die Obama-Jahre, zur Senatsmehrheit in 2014 und schließlich zu entscheidenden Siegen während der Trump-Präsidentschaft.
Trotz vieler Erfolge für seine Fraktion – oder gerade deswegen – hat er sich nicht viele Freunde gemacht. Unter manchen konservativen Republikanern gilt er als Paradebeispiel für das, was als „Establishment“ verhasst ist. Noch unbeliebter ist er allerdings bei seinen demokratischen Gegnern auf der anderen Seite des Plenums. Eine Haltung, die häufig auch ihre Wege in die erfahrungsgemäß einseitige deutsche US-Berichterstattung fand, wo man ihn für das genaue Gegenteil attackierte: Dass er Trumps größter Lakai sei und alle Prinzipien für seine Macht aufgegeben hätte.
„Cocaine Mitch“ lieferte
Über die Jahre bekam er von seinen Gegnern viele Spitznamen, die er später gerne aufgriff: „Grim Reaper“ („Totengräber“) des Senats etwa, für all die linken Vorhaben, die er mit „Filibuster“-Verzögerungstaktiken killte – oder aber der wohl prominenteste: „Cocaine Mitch“ („Mitch auf Kokain“), ursprünglich von einem innerparteilichen Konkurrenten mit etwas zu viel Hang für Verschwörungstheorie, wurde der in den Trump-Jahren Sinnbild dafür, wie er als Mehrheitsführer einen Trump-Richter nach dem anderen durch die Kammer boxte und damit die US-Judikative für eine Generation nach rechts verschob.
Egal was sich sonst Chaotisches im Weißen Haus unter Trump abspielte, eine Nachricht aus dem Senat war immer wieder eine Konstante: Der Mehrheitsführer hat die nächste Richterbestätigung auf den Kalender gesetzt. Und so monoton das klingt, es war längst kein Kinderspiel. Nicht nur die wichtigen Bundesberufungsgerichte und niedrigere Bundesrichter, sondern vor allem den Obersten Gerichtshof besetzte er mit konservativen Richter.
Stand es vor 2016 vier Linke gegen vier Konservative, mit einem liberalen Richter in der Mitte, sitzen am höchsten Gericht der USA seit Ende 2020 sechs konservative Richter drei Linken gegenüber. Eine konservative Minderheit am Gericht wurde in eine Zweidrittelmehrheit umgebaut – binnen vier Jahren. Auch wenn Trump immer wieder stolz über die von ihm ernannten Richter berichtet: Ohne McConnells Arbeit wäre all das unmöglich gewesen.
„Mr. President, Sie werden diesen Sitz nicht füllen“
Bereits unter Obama blockierte McConnell als Mehrheitsführer die Ernennung neuer Richter kurz vor der Wahl Trumps und ließ damit entscheidende Richterstellen frei – am prominentesten dabei: Der offen gewordene Supreme Court-Sitz der konservativen Juristen-Legende Antonin Scalia, der 2016 verstarb. Als Obama damals den heutigen Justizminister Merrick Garland als vermeintlichen Kompromisskandidat für Scalias Richterplatz druchdrücken wollte, blockte McConnell trotz fraktionsinternem Druck von moderaten Republikanern ab. Im Oval Office erklärte er Obama: „Mr. President, Sie werden diesen Sitz nicht füllen.“ Das dürfe erst der nächste Präsident, nach der Wahl
Wenige Monate später zog dann Donald Trump ins Weiße Haus ein und bekam direkt im Frühjahr 2017 seine erste Richternominierung für den Supreme Court und konnte damit auch sein erstes Wahlversprechen umsetzten. All das ging aber nur, weil McConnell den Kandidaten Neil Gorsuch mit der „nuklearen Option“, der Aufhebung der „Filibuster“-Regeln auch für Supreme Court-Richterbestätigungen, durch den Senat brachte. Wegen McConnells eigenen Filibustern hatten Demokraten Jahre zuvor begonnen, den Filibuster, also das Dauerreden zur Verhinderung von Abstimmungen mit weniger als einer 3/5-Mehrheit, für niedrigere Richterposten aufzuheben – das lieferte den Präzedenzfall für dieses Vorgehen, das trotzdem nicht jeder gemacht hätte. Aber McConnell ließ nicht los.
Auch nicht 2018 als die Demokraten einen weiteren Richterkandidaten, Brett Kavanaugh, für den Obersten Gerichtshof im letzten Moment vor den Zwischenwahlen mit unbewiesenen Vergewaltigungsvorwürfen, aus dessen Jugendzeit verhindern wollten. Als es auch dort viele Wackelkandidaten in der eigenen Fraktion gab, machte McConnell Druck und setzte auch Kavanaugh durch. Das war Supreme Court-Sieg Nr. 2 für Trump und McConnell.
„Oh, wir würden [die Richterstelle] besetzen!“
Den letzten Coup lieferte er dann 2020, als mit dem Tod der linken Juristenikone Ruth Bader Ginsburg ein weiterer Sitz am Supreme Court mitten im Wahlkampf offen wurde. Hier vergeudete er keine Zeit und setzte auch da eine Bestätigung noch vor dem Wahltag durch. All das unter wütendem Protest von Demokraten, die ihm Doppelmoral der schlimmsten Art vorwerfen: Vor vier Jahren habe er noch genau das Gegenteil gefordert, so der Vorwurf. Aber McConnell verwies darauf, dass diesmal Weißes Haus und Senat in der Hand der gleichen Partei waren. Schon Jahre zuvor hatte er seinen Wähler zuhause unter Beifall versprochen, was er tun würde, wenn es zu einer solchen vakanten Richterstelle kommt: „Oh, wir würden sie besetzen!“ Und so bestätigte der Senat Amy Coney Barrett als dritte Richterernennung von Präsident Trump.
Im Nachhinein eine politisch richtige Entscheidung für die Republikaner, denn nicht nur verlor Trump die Wiederwahl: Mit der Vizepräsidentschaft in der Hand von Kamala Harris wechselte damit auch im Senat die Mehrheit zu den Demokraten – denn Anfang 2021 stand es 50 zu 50 bei der Sitzverteilung im Senat, und bei Gleichstand in der Kammer entscheidet der Vizepräsident.
Seitdem diente McConnell als Minderheitsführer und sah jetzt – mit 82 Jahren – seine Zeit gekommen, anderen den Vortritt zu lassen. Seine Amtszeit als Kentuckys Senator will er noch bis 2026 zu Ende führen, das Amt als Fraktionschef tritt er aber nach der Wahl diesen November ab. Egal wie man ihn dabei sieht – als kalkulierte machtbesessenen Taktierer oder konservativen Staatsmann – niemand wird leugnen können, was er, gerade in Hinblick auf den Obersten Gerichtshof verändert hat.
Denn mit sechs zu drei Stimmen hob der 2022 das bei Republikaner seit einem halben Jahrhundert bekämpfte Abtreibungsurteil Roe vs. Wade auf und lieferte der amerikanischen konservativen Bewegung damit einen ihrer größten Siege seit Jahrzehnte – einen Sieg, den auch Trump für sich reklamieren konnte. Der ist übrigens längst nicht mehr gut auf McConnell zu sprechen, wegen dessen scharfer Verurteilung von Trumps Verhalten rund um den Sturm aufs Kapitol im Januar 2021.
Eins jedenfalls ist, auch bei Spekulationen rund um seine Gesundheit bemerkenswert: Sowohl McConnell als auch die bis Anfang 2023 amtierende Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi von den Demokraten traten ihr Amt mit 82 Jahren ab – Präsident Joe Biden will im gleichen Alter eine weitere vierjährige Amtszeit antreten.
Vielen Dank für diese Würdigung. Ohne diese, würde er vielen als Fossil in Erinnerung bleiben, das zum Ende seiner politischen Karriere vor Kameras einfriert und hochgradig dement wirkt.