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Der Fall Föderl-Schmid und seine Spekulanten

Nach Suizid-Gerüchten über die SZ-Vizechefredakteurin versuchten Aktivisten und Politiker den Fall zu instrumentalisieren und die Berichterstattung über Plagiatsvorwürfe zu kriminalisieren. Das ist unanständig.

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Kennen Sie den Fall Hingst, der vor wenigen Jahren durch die Medien ging? Marie-Sophie Hingst war eine deutsche Bloggerin. Sie erfand vor Jahren eine Familiengeschichte für sich: Sie konstruierte 22 Holocaustopfer, die es nicht gab. Sie fälschte Dokumente und reichte diese Fälschungen sogar bei der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein, um ihrer falschen Familiengeschichte Substanz zu geben. Mit dieser angeblichen Herkunft im Rücken hielt sie Vorträge und machte sich öffentlich bekannt.

Das ging so lange gut, bis der Spiegel in einer Recherche nachwies, dass all das frei erfunden war: Hingst stammte gar nicht aus einer Familie von Holocaustopfern. Die 22 Menschen, auf die sie sich bezog, existierten fast alle gar nicht. Nur drei der von ihr genannten Personen hatten wirklich gelebt. Keiner von ihnen war Jude, keiner wurde durch die Nazis ermordet. Die Existenz von Personen, die sie gegenüber der israelischen Holocaust-Gedenkstätte mit gefälschten Papieren dokumentierte, konnte ausgeschlossen werden. In einem langen, sauberen Text nach einer sauberen journalistischen Recherche wies der Spiegel all das nach.

Bald schon fand man Marie-Sophie Hingst tot in ihrer Wohnung auf. Mutmaßlich war es Suizid. Derek Scally, Berlin-Korrespondent der Irish Times, traf die Fälscherin kurz vor ihrem Ableben. „In dieser Woche ist aus ihrer Sicht ihre gesamte Welt zusammengebrochen“, sagte er zu seinen Eindrücken später. Er habe eine labile und fragile Frau getroffen.

Diese tragische Geschichte ist mittlerweile fünf Jahre her. Niemand hat damals ernsthaft behauptet, der Spiegel hätte Hingst in den Tod getrieben. Es wäre auch absurd gewesen: Die Journalisten machten schlicht ihren Job. Die Tragik des persönlichen Schicksals, den mutmaßlichen Freitod haben sie nicht zu verantworten – es war nicht Schuld des Spiegels, dass Hingst starb. Mit der Entlarvung der Betrügerin erfüllte das Magazin im Gegenteil sogar einen journalistischen Kernauftrag, indem er behauptete Tatsachen kritisch hinterfragte, Ungereimtheiten nachging und diese schließlich der Öffentlichkeit zugänglich und bekannt machte.

„Um Nius kümmern wir uns später.“

Jetzt, am vergangenen Donnerstag, machte das Gerücht über einen Suizidversuch der SZ-Journalistin Alexandra Föderl-Schmid die Runde; vorschnell wurde sie für tot erklärt – u.a. von Ruprecht Polenz. Zu dem tragischen Vorfall um Föderl-Schmid selbst ist alles, was man zu diesem Zeitpunkt sagen kann und sollte: Man weiß nicht, was passiert ist und sollte deshalb dazu schweigen. Allein: Sie lebt. Gott sei Dank.

Viele wollten es sich aber nicht nehmen lassen, einen vermuteten tragischen Tod ohne jeden Zeitverzug zu instrumentalisieren und zur Munition gegen den politischen Gegner zu verwenden. Nach Bekanntwerden des Verschwindens von Föderl-Schmid ergoss sich schnell kübelweise Hass gegen Nius und Julian Reichelt. Mit einer „Kampagne“ habe Nius die Journalistin in den Tod getrieben, behaupten und insinuieren viele. U.a. SPD-Influencer Dario Schramm, der Grünen-Politiker Jürgen Kasek oder der Autor Stephan Anpalagan legen sofort los, zu einem Zeitpunkt, an dem über das tatsächliche Schicksal der Journalistin noch nichts bekannt ist. Eine grüne Polizeigewerkschaft erklärt: „Um Nius kümmern wir uns später.“

Der BR analysiert später: „Zurück bleiben beim Fall Föderl-Schmid diverse Fragen. Zentral dabei ist zum einen die, was Plagiat im Journalismus eigentlich bedeutet. Zum anderen die nach dem ethischen Verhalten von vermeintlichen Aufklärungsportalen wie Nius.“

Die Plagiatsaffäre Föderl-Schmid begann mit einer Recherche des Branchenportals Medieninsider. Diese Berichte wurden vom Portal Nius aufgegriffen. Die Redaktion beauftragte auch den bekannten Plagiatsjäger Stephan Weber, um die Doktorarbeit der Journalistin unter die Lupe zu nehmen. Der erklärte, darin mehrere Plagiate gefunden zu haben – auch in zahlreichen journalistischen Beiträgen von ihr. Föderl-Schmid zog sich schließlich vorerst aus dem operativen Geschäft bei der Süddeutschen Zeitung zurück – das Medium startete eine interne Aufklärung. Es ging um Fakten; nicht einmal um private, sondern um berufliche. So eine Berichterstattung kriminalisieren zu wollen, ist absurd.

Wer fragte hier, was das mit einem Menschen macht?

Das politisch-mediale Geschäft ist zweifellos bisweilen brutal, es war auch nicht zuletzt die Süddeutsche Zeitung, die in den letzten Jahren Existenzen in Serie vernichtet hat oder es mindestens versuchte. Will man dann wirklich als Nächstes auch fragen: Hat die Süddeutsche Zeitung mit ihrer Flugblatt-Geschichte etwa Hubert Aiwanger nach dem Leben getrachtet? Wo war denn hier die Rücksicht, seine Kindheit, sein Umfeld, sein Privatleben in die Öffentlichkeit zu zerren? Unfertig recherchiert, maximal gespinnt, auf die persönliche Vernichtung abgezielt. Oder hat die SZ mit ihren Falschmeldungen zum angeblichen Weidel-Plagiat versucht, die AfD-Chefin in den Tod zu treiben?
Es war auch die SZ, die mit der umfassenden Veröffentlichung des illegal erstellten Ibiza-Videomaterials wohl die drastischste mediale Persönlichkeitsvernichtung der letzten Jahre verantwortete.

Auch Julian Reichelt hat die Brutalität der Branche am eigenen Leib erlebt. Niemand kann wohl sagen, das jetzt so empörte Klientel wäre rücksichtsvoll oder auch nur ansatzweise fair mit ihm umgegangen, als er wegen dubioser Vorwürfe des „Machtmissbrauchs“ an den Pranger gestellt wurde. Unter Überschriften wie „Vögelnfördernfeuern“ (Spiegel) wurde alles vermischt und das Schlimmste insinuiert; dubiose „Compliance“-Vorstellungen aus der US-Konzernwelt wurden plötzlich zur unantastbaren Moral-Instanz stilisiert – gegen jede Lebensrealität. Nichts daran ist ein Straftatbestand. Heute bleibt von all den Geschichten über das Monster Reichelt nichts übrig, juristisch nicht und auch nicht journalistisch. Aus einer einvernehmlichen sexuellen Beziehung wurde über Wochen, Monate, Jahre das Bild eines Quasi-Sexualverbrechers zusammengelogen.
Wer fragte hier, was das mit einem Menschen macht? Man hat keine Entschuldigungen gelesen.

Föderl-Schmid lebt, jeder klardenkende Mensch wünscht ihr alles Gute. Alles Weitere gehört nicht in die Öffentlichkeit. Sachliche journalistische Arbeit und Kritik an ihrer beruflichen Tätigkeit zu kriminalisieren und Kollegen ohne irgendein stichhaltiges Argument zu beschuldigen, für einen Suizid verantwortlich zu sein, ist gleichzeitig ein charakterlicher Total-Ausfall.

Transparenzhinweis: Die Autoren dieses Textes haben bis Juni 2023 für das hinter Nius stehende Unternehmen Vius gearbeitet. Es besteht keinerlei wirtschaftliche Abhängigkeit; Apollo News ist redaktionell wie institutionell vollumfänglich eigenständig.



Haben Sie Suizidgedanken?

Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhalten Sie rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter telefonseelsorge.de.

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