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Corona: Lauterbach-Ministerium verlangte „dramatisierende“ nicht „faktenbasierte“ Kommunikation – RKI war dagegen

„Es sollten keine Schreckensszenarien für Bevölkerung herbeigeredet werden“, steht in einem RKI-Protokoll aus dem Sommer 2022. Dennoch entschied sich Lauterbachs Ministerium für eine „dramatisierende“ statt „faktenbasierte“ Kommunikation, wie die Protokolle zeigen.

Karl Lauterbach warnt öffentlich immer wieder vor Long-Covid und hantiert mit Zahlen, für die es keine repräsentative Grundlage gibt. Auch die RKI-Protokolle stellen ein Fragezeichen hinter den Alarmismus des Gesundheitsministers.

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„Es sollten keine Schreckensszenarien für die Bevölkerung herbeigeredet werden“, stellte der Krisenstab des Robert-Koch-Instituts am 10. August 2022 fest. Möglicherweise kam diese Feststellung zwei Jahre zu spät, aber immerhin übte das RKI an jenem Mittwoch Kritik an einer pikanten Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums. Im Ergebnisprotokoll vom 10. August, das in dem kürzlich durchgesickerten, noch nicht autorisierten Datensatz des RKI-Krisenstabs enthalten ist, wird festgehalten, dass zwei Optionen für die „Ausrichtung auf den Herbst“ mit dem BMG besprochen wurden: „faktenbasiert“ oder „dramatisierend“.

Das BMG entschied sich für Letzteres. Das Bundeskanzleramt erkundigte sich direkt, ob man umgehend starten sollte, während die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung anmerkte, dass eine solche Kommunikation nicht geeignet sei. Dennoch: Die Entscheidung des BMG überrascht nicht, denn es sollte der erste Herbst folgen, in dem Karl Lauterbach als Gesundheitsminister zuständig war. Immer wieder warnte der SPD-Politiker vor einem „schweren Herbst“ – und vor seinem Lieblingsthema: Long-Covid.

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Ein Auszug aus dem Ergebnisprotokoll vom 10. August 2022, enthalten im Zusatzmaterial der bislang unautorisierten Dokumente des RKI-Krisenstabs.

Auch das findet in jenem Protokoll Erwähnung. Bevor das RKI vor „Schreckensszenarien“ gewarnt hatte, hatten die Krisenstabsmitglieder festgehalten: „Vermehrt werden Themen bespielt (Long-COVID), die mit Impfen nichts zu tun haben“. Auch das verwundert nicht: Rund 65 Millionen Menschen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens eine Covid-Impfung erhalten, die Sommerwelle 2022 war gerade gebrochen, und Covid-19 schien die Menschen immer weniger zu interessieren.

Und obwohl sich das BMG laut den Protokollen für eine Dramatisierung aussprach, wurde der Ton der Experten und auch des Ministers selbst im Herbst 2022 zunehmend milder. Im November teilte Lauterbach gar mit, es gebe „keinen Grund für Alarm“ und gestand erstmals öffentlich ein: „Das Schließen von Kitas ist definitiv medizinisch nicht angemessen“. Das Kindeswohl sollte künftig in den Fokus gerückt werden, es werde keine „Schließungen dieser Art mehr geben“.

Dafür rückte eben Long-Covid in den Vordergrund. Am 29. August – keine drei Wochen nach dem erwähnten Protokoll – veröffentlichte der SPD-Politiker einen Beitrag auf X, in dem er behauptete: „Viele 20-50-Jährige werden im Herbst, bei steigenden Corona-Fallzahlen, eine Entzündung ihres Gehirngewebes als Folge von Long-Covid erleben.“

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Lauterbach berief sich mit dieser Aussage auf einen Artikel des amerikanischen Lungenarztes Eugene Wesley Ely in der Washington Post, in welchem Ely feststellte, dass neurologische Beeinträchtigungen infolge von Long-Covid-Erkrankungen „oft bei jüngeren Patienten zwischen 20 und 50 Jahren auftauchen, die zuvor nie hospitalisiert worden waren“. Für diese Aussage erbrachte Ely aber weder genaue Zahlen, noch ist in dem Artikel der Washington Post ein Hinweis darauf zu finden, dass eine derartige Situation für den Herbst 2022 erwartet wurde – wie es Lauterbach in seinem Beitrag behauptet hatte.

Auch das RKI zeigte sich vorsichtig: In dem Ergebnisprotokoll vom 7. September wurde vermerkt, „auch bei Omikron gibt es Long-COVID-19“, aber gleichzeitig gebe es „wenige Studien, die zu Omikron und Long-COVID-19 aussagekräftig sind“. Die Krisenstabsmitglieder mahnten also zur Vorsicht, setzten aber – wie bereits am 10. August – auf eine nüchterne Betrachtung.

Ein Auszug aus dem Ergebnisprotokoll vom 7. September 2022, enthalten in den bislang unautorisierten Dokumenten des RKI-Krisenstabs.

In der Folge blieb es dabei: Long-Covid wurde in den Fokus gerückt. Mitte Oktober 2022 stellte das BMG eine neue Impfkampagne mit dem Motto „Ich schütze mich“ vor. Auf der dafür einberufenen Bundespressekonferenz lenkte Lauterbach die Präsentation schnell auf das Thema Long-Covid und erklärte, die Impfung würde bei einer Infektion zu 50 Prozent vor einer Langzeiterkrankung schützen, eine Quelle dafür nannte der Minister nicht.

Bis heute ist Long-Covid Lauterbachs Steckenpferd. Derzeit investiert die Bundesregierung 150 Millionen Euro in die Forschung der Langzeiterkrankung. Währenddessen berichtet der Gesundheitsminister regelmäßig von einer halben Million Long-Covid-Patienten allein in Deutschland – verlässliche Daten gibt es dazu aufgrund der uneindeutigen Symptomatik aber nicht.

Lediglich in Schätzungen, beispielsweise der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, gehen unterschiedliche Akteure davon aus, dass etwa zehn Prozent aller Infizierten mit anhaltenden Beeinträchtigungen zu kämpfen haben. Repräsentative Zahlen gibt es nicht.

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