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Corona-Aufarbeitung geht nur mit den Waffen einer Frau

Die Zeit verkündet zur Corona-Aufarbeitung: „Vergesst es!". Und mache Konservative meinen allen Ernstes, Markus Söder wäre ein toller neuer Kanzler. Wir vergessen einfach zu schnell und verzeihen alles. Das kann einer Frau nicht passieren.

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„Vergesst es“, heißt es dieses Wochenende in der Zeit. „Corona, Atomausstieg, Russlandpolitik: Die Demokratie überfordert sich, wenn sie alles gleichzeitig aufarbeiten will.“ Es ist ein pseudointellektuelles Plädoyer gegen das Nachtragendsein und für mehr Zusammenhalt. „Gegenwartskonflikte“ könnten sonst „in potenziell unendlichen Aufarbeitungsdiskursen münden“, was der „gesellschaftlichen Befriedung und Akzeptanz“ hinderlich sei.

Demokratien, so die These, könnten nur „eine gewisse Anzahl an Konflikten gleichzeitig sinnvoll bearbeiten“. Es würde die Kraft fehlen, diese wirklich tiefgehend zu besprechen. „Das Ergebnis: Ein großes Diskursrauschen, in dem der eine darauf insistiert, es müsse nun endlich die Coronamaßnahmen politisch aufgearbeitet werden, während der andere darauf beharrt, dass die Cum-Ex-Affäre um Kanzler Scholz ja auch noch nicht vollends aufgeklärt sei und der Dritte die Russlandpolitik der Merkel-Ära durchleuchten will.“ Da ist es doch besser, sich in Konflikttriage zu üben und einfach manche Konflikte gar nicht zu besprechen.

Geschrieben ist dieser Artikel natürlich von einem Mann. Nun, warum wundert mich das nicht? Ich mag Männer, wirklich. Ich mag ihre breiten Schultern und ihre großen Hände und sogar, dass sie jedes Auto- oder Flugzeugmodell auswendig kennen. Aber es gibt etwas, das können Männer nicht. Und das ist Rache. Männer können einfach keine anständige Vendetta führen, jedenfalls habe ich noch keinen gefunden.

Muss schön sein, mit der Gedächtnisspanne eines Goldfisches

Ich musste ein paar Mal auf die Nase fallen, um diese Lektion zu lernen. Meine großen geplanten Intrigen in der Schule sind immer dann ins Wasser gefallen, wenn ich einen Jungen eingeweiht habe. Den einen Tag sind sie wütend und Feuer und Flamme, dann am Tag der großen Schlacht finden sie zur Nächstenliebe zurück. Ich bin inzwischen überzeugt, dass es Männern einfach genetisch unmöglich ist, nachtragend zu sein. Irgendwann überwiegt der Drang, mit dem ehemaligen Erzfeind einen trinken zu gehen und alles ist wieder gut.

Vielleicht liegt es daran, dass Ausdauer so oft ein grundlegendes Problem bei Männern ist. Vielleicht ist es nur konsequent, weil Männer ja eh die Gedächtnisspanne eines Goldfisches haben. Vielleicht sind sie einfach nicht für den manischen Fanatismus geschaffen, den es braucht, um sich 20 Jahre lang an einen vergessenen Geburtstag zu erinnern. Vergeben ist ein Luxus, den sich nur Menschen leisten können, die vergessen können. Muss schön sein, mit der Gedächtnisspanne eines Goldfisches.

Vergeben und vergessen ist nicht für mich. Ich behalte meine Wange bei mir. Ich will Rache, ich will Gerechtigkeit, ich will Zerstörung, auch wenn es 20 Jahre dauert. Frisst mich das auf? Vielleicht, aber hoffentlich nur an der Taille. Sie fragen sich jetzt vielleicht: „Um Gottes Willen, wer hat diesem Mädchen wehgetan?“ Das kann ich Ihnen sagen.

Nachtragend zu sein ist Selbstverteidigung

Da war Tobias, der mich in der Krabbelgruppe mit einer Schaufel geschlagen hat. Lara, die mir meine Plüschkatze geklaut hat. Toni, die mir im Sandkasten Sand in die Augen geworfen hat. Hanna, die mir meine Freundin ausgespannt hat. Wenn Anton in zehn Jahren wirklich zum Bundeskanzler kandidiert, sollte er sich warm anziehen, denn ich erinnere mich an alles. Clara sollte lieber hoffen, dass sich unsere Wege niemals kreuzen, denn ich bin definitiv noch nicht fertig mit ihr. Und wir sind gerade mal bei 2007. Natürlich sind die Namen geändert, wer warnt denn seinen Gegner in einer Schlacht schon vor? Ich bin doch keine Anfängerin.

Männer sterben für Ruhm und Ehre, Frauen sterben für die Sache. Sie finden das vielleicht falsch, unmoralisch. Ich finde das vor allem zielführend. Nachtragend zu sein ist Selbstverteidigung. Wer vergibt und vergisst, kann keine Muster erkennen. Das beste Beispiel ist doch dieser lächerliche Zeit-Artikel. „Atomausstieg, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Coronamaßnahmen“, zählt er auf. Zwischen diesen ganzen Skandalen lagen mindestens drei Wahlen. Merkel brauchte sich gerade mal einen dieser Skandale leisten und wäre bei mir schon unten durch gewesen.

Und schon gibt es wieder Konservative, die meinen, man solle Markus Söder zum Kanzler machen, der würde uns ja vor Schwarz-Grün retten – und vergessen, wer in den Corona-Jahren der schlimmste Freiheitsfeind von allen war.

Aber nein, vielleicht sind die doch ganz nett, vielleicht kann man mit denen gut einen trinken gehen, sollte man nicht lieber Frieden finden und die Sache auf sich beruhen lassen? Lächerlich. Sie wollen Rache? Sie wollen Gerechtigkeit? Sie wollen Aufarbeitung? Wenn Sie wirklich wollen, dass der Job erledigt wird, suchen Sie sich eine Frau. Morgen haben Sie die Corona-Akten auf dem Tisch liegen. Fein säuberlich mit rosa Textmarker markiert und alphabetisch geordnet.

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