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RKI-Files

Ausgangssperren: Gesundheitsministerium gab „Hinweis“ an das RKI, nichts zu den Maßnahmen zu sagen

Am 20. März 2020 gab das Bundesgesundheitsministerium den „Hinweis“ an den Corona-Krisenstab des RKI, nichts Fachliches zu Ausgangssperren zu sagen. Dabei hatte das Gremium die Maßnahmen zwei Tage zuvor evaluiert und „die Befürchtung negativer Konsequenzen“ geäußert.

Jens Spahn während einer Rede im Bundestag (Archivbild). Während seiner Zeit als Minister verteilte das Gesundheitsministerium einschneidende Weisungen an das RKI. Eigene Collage.

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Ausgangssperren galten in der Pandemie als Höhepunkt staatlicher Einschränkungen – dabei waren sie fachlich nicht unumstritten. Das zeigen auch die kürzlich durchgestochenen Krisenstabsprotokolle des Robert-Koch-Instituts, wobei die folgenden Informationen bereits in den offiziell herausgegebenen Dokumenten von Ende Mai vorhanden sind. „Hinweis BMG: RKI soll nichts zu Ausgangssperren sagen“, heißt es in dem Ergebnisprotokoll vom 20. März 2020 – vier Tage nachdem die Bundesregierung den ersten Lockdown wegen der rasanten Verbreitung von Covid-19 beschlossen hatte.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nutzte an dieser Stelle seinen politischen Einfluss, um bei der Risikoabwägung des RKI zu intervenieren. Das RKI akzeptierte den „Hinweis“ zwar zunächst, stellte im nächsten Punkt jedoch die Frage: „Ist (dennoch) eine Positionierung des RKI bezüglich des Vorgehens in Gebieten mit Ausgangssperre notwendig?“

Auszug aus dem offiziellen Ergebnisprotokoll des RKI-Krisenstabs vom 20. März 2020.

Bereits am 18. März 2020 wurde im Krisenstab das Thema Ausgangssperren behandelt. Im Protokoll ist festgehalten: „Es gibt eher die Befürchtung negativer Konsequenzen“. Es gebe zwar keine epidemiologischen Einwände, jedoch „psychosoziale Gegenargumente“. Mit anderen Worten: Bereits vor dem Inkrafttreten des ersten Lockdowns am 22. März 2020 erkannte das formal für die Risikobewertung des Virus und der Maßnahmen zuständige staatliche Institut, dass das Verhängen von Ausgangssperren gesellschaftliche und psychische Folgen haben könnte.

Des Weiteren ist in dem Protokoll vom 18. März zwar festgehalten, Ausgangssperren seien „relevant, um Gruppenbildung außerhalb des Haushalts zu vermeiden“ – aber „jedes andere Mittel ist besser, eine sinnvolle Maßnahme sind Apelle Abstand zu halten.“ Die Krisenstabsmitglieder betrachteten Ausgangssperren als „ein letztes Mittel der Politik“, sollte sich die Bevölkerung nicht an „sinnvolle Maßnahmen“ halten, wie sie das RKI im Punkt zuvor gefordert hatte.

Auszug aus dem offiziellen Ergebnisprotokoll des RKI-Krisenstabs vom 18. März 2020.

Das Gremium diskutierte sogar eine Durchseuchung – wobei es diese Begrifflichkeit entschieden ablehnte – der Bevölkerung im kleinen Stil. Denn die „Ausbreitung kann nicht gestoppt werden.“ Daher warfen die Krisenstabsmitglieder die Frage auf, „wäre eine gewisse Ausbreitung des Virus nicht besser, als zunächst ein totaler Stopp und dann bei Lockerung eine starke Ausbreitung“. Und weiter: „Evtl. könnten irgendwann Risikogruppen streng isoliert werden und das öffentliches Leben wieder aufgenommen werden.“

Intern plädierte das RKI also merklich für einen Sonderweg, ohne großflächige Schließungen – sollte dazu aber nichts sagen. Neben dem „Hinweis“ des damals von Jens Spahn geführten Bundesgesundheitsministeriums an das RKI, sich nicht zu Ausgangssperren zu äußern, findet sich auch im Protokoll vom 18. März eine deutliche Anweisung: „Das RKI soll sich nicht aktiv dagegen positionieren.“

Aus beiden Ergebnisprotokollen geht hervor: Eine umfangreiche Abwägung der Maßnahmen fand statt – doch das Bundesgesundheitsministerium intervenierte. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben: In einem Protokoll vom 10. September 2021 ist festgehalten, „am Donnerstag (ein Tag zuvor, Anm. d. Redaktion) erfolgte vor Veröffentlichung der Aktualisierung des Kontaktnachverfolgungsmanagement-Papiers eine ministerielle Weisung zur Ergänzung“. Weisungen sind in Behörden nichts Ungewöhnliches, die Reaktion der RKI-Krisenstabsmitglieder verrät aber viel über den Eingriff des Gesundheitsministeriums.

„Eine derartige Einflussnahme seitens des BMG in RKI-Dokumente ist ungewöhnlich. Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit von L1 rechtlich geprüft“, wird in dem Protokoll festgehalten (Apollo News berichtete). Dass die fachlichen Einschätzungen des zuständigen Wissenschaftsinstituts politisch übergangen wurden, sorgte auch im RKI-Krisenstab für Fragezeichen.

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