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RKI-Protokolle

Wie die Politik die Wissenschaft bei den flächendeckenden Schulschließungen überging

Wenn es nach dem wissenschaftlichen Rat des RKI gegangen wäre, hätte es kaum Schulschließungen gegeben. Doch trotzdem wurden sie durch die Politik flächendeckend eingeführt - jedem gegenteiligen Rat zum Trotz.

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Schulschließungen gehörten zu den umstrittensten Maßnahmen während der Coronapandemie. In den nun entschwärzten RKI-Protokollen wird deutlich, wie diese rein politische Entscheidung entstanden ist. Apollo News hat die 2.515 Seiten RKI-Protokolle zum Thema Schulschließung durchforstet und rekonstruiert, wie die Politik gegen den wissenschaftlichen Rat des RKI flächendeckende Schulschließungen beschlossen hat und wie wenig die Politik auf ihre Wissenschaftler hörte.

Wie aus den Protokollen hervorgeht, war das RKI und damit die Politik spätestens nach den ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020 darüber informiert, dass diese das Infektionsgeschehen nicht verlangsamen – und sogar sehr schädlich sind. Im Mai bereits zerlegte die Bild die Coronastudie zu Kindern und Jugendlichen in Schulen und wies nach: Sie war falsch, Kinder waren entgegen Drostens Aussagen deutlich weniger ansteckend. Dennoch setzten Bund und Länder, allen voran Bundeskanzlerin Merkel, im anschließenden Winter wieder auf Schulschließungen – gegen den aktuellen Rat des RKI, wie die Protokolle zeigen.

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Der Zeitstrahl der Schulschließungen

10.03.2020: Schulschließungen werden vom RKI als „prinzipiell sinnvoll“ eingestuft und das erste Mal im Kontext mit Deutschland gesehen. Begründet wird diese Einstufung damit, dass es eine Studie gibt, die belegt, dass die Infektionshäufigkeit bei Kindern und Jugendlichen die gleiche ist wie bei Erwachsenen.

11.03.2020: Das RKI konkretisiert seine Äußerungen zu Schulschließungen und befürwortet diese nur in „besonders betroffenen Gebieten“. Gleichzeitig spricht sich das RKI gegen „reaktive Schulschließungen“, also einen kompletten Lockdown der Schulen aus.

12.03.2020: Obwohl Bayern und Sachsen über flächendeckende Schulschließung nachdenken und die Kultusministerkonferenz über das Thema spricht, bleibt das RKI bei seiner Meinung und ist gegen flächendeckende Schulschließungen.

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12.03.2020: Die Politik beschließt flächendeckende Schulschließungen bis zum 20. April.

13.03.2020: Das RKI beschäftigt sich mit den politisch beschlossenen Schulschließungen. Aufgrund der mangelnden Datenlage kann keine eindeutige Auskunft gegeben werden. Sollte sich Corona analog zu der klassischen Influenza verhalten, dann „machen die Schulschließungen Sinn“. Gleichzeitig wird auch darauf verwiesen, dass es bei einer Wiederöffnung der Schulen zu einer verstärkten Aktivität kommen kann.

16.03.2020: Die Länder haben eine Rationale zu den Schulschließungen vom RKI bekommen. Außerdem wurde ein Artikel im EpiBull veröffentlicht. In diesem wird eine proaktive Schulschließung positiv gesehen und ihr eine „höhere Wirksamkeit“ attestiert, wenn diese „vor Eintreten einer fortgesetzten Übertragung in der Bevölkerung“ durchgeführt wird.

27.03.2020: Das RKI stellte rückläufige Zahlen fest und mutmaßt, ob diese Veränderung eventuell von Schulschließungen zu verdanken ist.

9.04.2020: Das RKI bespricht eine neue Publikation zu den Schulschließungen. Diese stellt fest, dass „keine harten Daten zum Beitrag von Schulschließungen zur Übertragungskontrolle verfügbar“ sind. Modellrechnungen zufolge können durch die Schulschließungen 2-4 Prozent der Todesfälle verhindert werden. Ebenfalls wird auf eine norwegische Untersuchung verwiesen, die ebenfalls keine Daten zu der Effektivität der Schulschließungen gefunden hat.

15.04.2020: Merkel verkündet, dass ab dem 4. Mai die Schulen schrittweise geöffnet werden und in Kleingruppen unterrichtet wird. Damit wurde eine faktische Verlängerung der Schulschließung verkündet.

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20.04.2020: Sachsen öffnet als erstes Bundesland die Schulen wieder für Abiturienten.

22.04.2020: RKI gab in dem Meeting an, noch am gleichen Tag eine Publikation, die eine stufenweise Öffnung der Schulen empfiehlt, zu veröffentlichen. Vor der Veröffentlichung wird noch auf das Bundesgesundheitsministerium gewartet.

24.04.2020: Es wird auf eine Lancet Studie verwiesen, die besagt, dass Schulschließungen „vermutlich keinen großen Einfluss auf die Kontrolle der Epidemie (zu dem Zeitpunkt wurde noch von Epidemie und nicht Pandemie gesprochen; Anm. der Red.) gehabt“ haben. Außerdem wird auf Ereignisse verwiesen, bei denen infizierte Kinder keinen Mitmenschen angesteckt haben.

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2.05.2020: Eine Studie aus China besagt, dass Schulschließungen die Spitzeninzidenz um 40 bis 60 Prozent verringern und die Epidemie verzögern kann.

5.05.2020: Im Kontext mit Inzidenzwerten, dort noch Prüfwerte genannt, „nicht automatisch mit einer Maßnahme wie Schulschließungen verknüpft werden, sondern lediglich der Überprüfung der Lage dienen.“ Außerdem verweist das RKI darauf, dass „diese Prüfwerte politisch für andere Zwecke genutzt
werden könnten, ist nicht vermeidbar.“

25.05.2020: Die Bild veröffentlicht einen Artikel, in dem er eine Studie von Christian Drosten, die Kinder als genauso ansteckend wie Erwachsene darstellt, widerlegt. Drosten wird daraufhin in besonderer Weise ausfällig gegenüber der Zeitung und ihren Mitarbeitern. Er veröffentlicht sogar persönliche Daten von Bild-Redakteur Fillipp Piatov.

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19.10.2020: Das RKI stellt fest, dass das Infektionsgeschehen bei Kindern dem Geschehen in der Bevölkerung entspricht. Nach Auffassung des RKI spricht dies „gegen proaktive Schulschließungen“.

13.11.2020: Aufgrund der Fallzahlen wird wieder über Schulschließungen debattiert, um an Weihnachten eine Inzidenz von unter 50 zu erreichen.

30.11.2020: Es wird festgestellt, dass Schulschließungen „die Lage wohl noch eher verschärfen“ und dass Schulen „nicht die treibenden Quellen“ sind. Das RKI wünscht sich lediglich ein strikteres Umsetzen der Hygienekonzepte.

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04.12.2020: Es wird das Vorgehen in anderen europäischen Ländern betrachtet. „Fazit: Fälle in Schulen treiben das Infektionsgeschehen nicht maßgeblich voran“.

14.12.2020: Die Politik beschließt erneut Schulschließungen bis zum 11.01.2021.

04.01.2021: Das Infektionsgeschehen von Kindern und Jugendlichen wird besprochen. Es wird dabei festgestellt, es einen Rückgang der Ausbrüche an Schulen gibt aufgrund der Schulschließungen. „Schulöffnungen sollten nur mit Maßnahmen, die Übertragung in Schulen einschränken, erfolgen“, vorgetragen wurde dieser Punkt von Lothar Wieler

15.02.2021: Durch die Schulschließungen gab es einen deutlichen Rückgang bei Schulausbrüchen

07.04.2021: Nachdem Markus Söder die niedrigen Coronazahlen hängen mit den Schulschließungen aufgrund der Ferien zusammen, wurde das RKI von einer Agentur dazu angefragt. Das RKI muss Söder dabei aus zwei Gründen widersprechen. Zum einen, weil es zu dem Zeitpunkt sinkende Zahlen in allen Altersgruppen gab, zum anderen, weil zu dem Zeitpunkt von Söders Aussage noch keine Aussage zu der Auswirkung der Schulschließungen auf das Infektionsgeschehen tätigen konnte.

Leider enden die bisher veröffentlichten RKI-Protokolle am 30.04.2021. Eine weitere Rekonstruktion der Schulschließung über diesen Zeitraum hinaus sind aktuell nicht möglich.

Politik und Wissenschaft – das waren zwei verschiedene Welten

Am Beispiel der Schulschließungen wird deutlich, wie die Politik – die vorgab, auf „die Wissenschaft“ zu hören – in Wahrheit unabhängig von wissenschaftlichem Rat agierte. Hätte man nur auf die Experten des RKI gehört, wären die Coronamaßnahmen bei den Kindern und Jugendlichen bei weitem nicht so hart gewesen – denn die Folgen der Schulschließungen waren dramatisch und reichen von Bildungslücken bis hin zu Einsamkeit und häuslicher Gewalt. Ihre Folgen werden insbesondere das Bildungssystem noch Jahre beschäftigen.

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