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Editiorial

Wenn „abgehängte Ossis“ wählen: Der Hochmut Berlins vor dem Fall

Berlin sieht den Osten als Prärie wundersamer Ureinwohner. Entsprechend versucht man das Volk zu zähmen - sie werden keinen Erfolg haben. Arnold Vaatz rechnet mit der „allergieerregenden Arroganz“ der Hauptstadt-Presse ab.

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Der Ossi ist den meisten Berliner Redakteuren, Politikberatern und -Experten inzwischen ferner als ein Aborigine. Die Behandlung als wundersame Ureinwohner ist das Beste, was noch erwartet werden kann: Abgehängte, nicht in der Lage, ihr eigenes Unglück zu verstehen, ungebildete Opfer ihrer misslichen Umstände sollen da hinten leben, irgendwo in der Prärie zwischen Erzgebirge und Thüringer Wald. Heute wählen sie und erschüttern diese Republik.

Die Strategien der Parteien fallen entsprechend aus: Mit „Björn Höcke ist doof” möchte Mario Voigt seine Co-Ossis domptieren, Kretschmer erfindet sich mit Walter-Ulbricht-Bart als bester Freund des großen Bruders neu, Sahra Wagenknecht will von Brandenburg aus (das ist kein Witz) einen Friedensvertrag mit Russland aushandeln.

Die Brandenburger AfD will hingegen alle Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge von allen öffentlichen Veranstaltungen ausschließen und meint, das wäre eine Lösung des Problems. Die Ampel meint gar, mit 28 Abschiebungen nach Afghanistan, die man noch kurz vor die Wahl reinquetschte, SPD und Grüne noch irgendwie über die 5-Prozent-Hürde drücken zu können.

Als Alice Weidel zu Solingen sagte: „Ich habe die Nase voll von diesen hohlen Phrasen und von diesem dummen Geschwätz, spätestens nach Solingen”, da war schnell Hauptstadt-Journalist (und Bootsverleiher) Gabor Steingart zur Stelle. Er zitiert in seinem Text den kolumbianischen Essayisten Gómez Dávila: „Bildung heilt die Dummheit nicht, sie rüstet sie aus.”

Arnold Vaatz, DDR-Bürgerrechtler und ehemaliger sächsischer CDU-Politiker, schreibt uns dazu: „Wenn Steingart nach Antworten sucht, warum die AfD im Osten abräumt, dann ist von allen möglichen Ursachen die allergieerregende Arroganz der Steingarts dieser Republik gewiss nicht die geringste. Weidel hingegen spricht aus, was nahezu alle landauf, landab immer wutentbrannter macht: die dummfrechen Betroffenheitsrituale aus dem Wortbaustein-Schatz der Etablierten. Wenn Rechtsextreme prügeln oder morden, dann starten sie eine Rakete der Empörung, was nachvollziehbar ist. Wenn aber Linke oder die Söhne Allahs zuschlagen, dann entweicht ihnen nicht mehr als ein leiser Betroffenheitsfurz.”

So kann man es auch ausdrücken. In der Tat ist der Osten, was seine Wahlergebnisse angeht, viel weniger außergewöhnlich als Westdeutschland: Neue rechte Parteien erreichen nahezu überall in Westeuropa jene 30 Prozent Plus, die jetzt in Sachsen und Thüringen zu erwarten sind.

Man könnte auch sagen: Geistig abgehängt ist eher jene westdeutsche Rentner-Republik, in der sich relevante Teile der Bevölkerung von der kurzen Unterbrechung zwischen Sportschau und Tatort erzählen lassen, wen man wählen soll – und, dass alles eigentlich in Ordnung wäre, jedenfalls so lange, bis die Flammen nicht nur durchs Fenster sichtbar sind, sondern auch das Fernsehkabel durchgeschmort haben.

Vielleicht sollte man an diesem Sonntag aber auch einfach eine normale Wahl geschehen lassen. Und wenn Saskia Esken in der Elefantenrunde wieder philosophiert, die Menschen wären nur zu doof, um SPD zu wählen, können wir laut lachen.  

Dieser Text ist ein Auszug aus dem neuen wöchentlichen Newsletter Apollo Edition.

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