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Warum ein TikTok-Verbot nicht autoritär ist

In den USA tickt die Uhr für TikTok: Ein Verbot der Plattform in knapp einem Jahr ist jetzt Gesetz. In Deutschland beschreit das manch einer schon als Angriff auf die Meinungsfreiheit. Dabei ist das Vorhaben alles andere als autoritär, findet unser Autor.

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„Wie bedroht ist die Meinungsfreiheit?“ – so oder ähnlich ging es in den letzten Tagen durch die deutschen Medien. Weil es einer überparteilichen Koalition in den USA gelang, TikToks Eigentümern per Gesetz ein Ultimatum zu stellen: Entweder sie verkaufen die Plattform an ein nicht-chinesisches Unternehmen oder sie wird in knapp einem Jahr in den USA verboten.

Aber ein Angriff auf die Meinungsfreiheit ist das nicht. Im Gegenteil: Es geht mit dem Gesetz gar nicht darum, zu bestimmen, welche Meinungen auf Social Media erlaubt oder verboten sind, sondern zu verhindern, dass diese Entscheidung künftig Peking trifft.

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Alle Social-Media-Plattformen verbieten bestimmte Posts und entfernen sie, mitunter auch nur deshalb, weil man sie aus eher willkürlichen Gründen als „Hatespeech“ einstuft. All das findet auch – mal mehr, mal weniger – auf westlichen Plattformen statt. Aber all das ist trotzdem kein Vergleich, zu dem, was bei staatlicher Zensur in China stattfindet.

Staatliche Zensur ist die gefährlichste

Im Westen findet Zensur vor allem aus ideologischer Eigenhaltung der Tech-Konzerne statt – und bleibt nicht immer folgenlos. Sowohl hierzulande als auch in Amerika wird immer wieder erfolgreich gegen Sperren geklagt – dazu kommt der öffentliche Druck. Auch wenn man es manchmal nicht meinen mag: Der Zensur-Trend geht im Westen längst wieder in die andere Richtung. Am prominentesten sichtbar ist das an einer der wohl polarisierendsten Persönlichkeiten: Donald Trump. Der amerikanische Ex-Präsident war vor wenigen Jahren von Twitter, Facebook und Instagram verbannt worden. Mittlerweile ist er auf all diesen Plattformen wieder entsperrt worden.

Die größte Gefahr für Zensur geht also nach wie vor vom Staat aus. Und auch wenn Politiker im Westen immer wieder autoritäre Tendenzen durchscheinen lassen und entsprechende Gesetze in den Blick fassen, leben wir immer noch in einem Rechtsstaat. In dem man sich, auch wenn es nicht immer leicht ist, gegen all das wehren kann. In China dagegen gilt das Prinzip: Recht ist, was die Partei sagt. Die kommunistische Partei hat dort am Ende die volle Kontrolle über Staat, Justiz, Gesellschaft und auch über vermeintlich kapitalistisch anmutende Tech-Unternehmen.

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Dort ist der unanzweifelbare Führungsanspruch der kommunistischen Partei Teil der Unternehmenskultur. Es gehört zum normalen Arbeitsalltag, dass die TikTok-Mutter ByteDance ein firmeninternes Parteikomitee hat, dass dort die Parteiaktivitäten koordiniert und auch kontrollieren soll, dass dort alles nach den Wünschen der Regierungspartei abläuft. Mehrere hochrangige ByteDance-Manager sind demzufolge auch Mitglieder von Partei und Parteikomitee. Gründer Zhang Yiming versprach nach dem staatlich Abschalten seiner ersten App, Neihan Duanzi, die Kooperation mit der kommunistischen Partei zu „vertiefen“ – jene erste App habe nicht ausreichend „sozialistische Kernwerte“ beachtet und ein „schwaches“ Verständnis der „vier Bewusstseine“ gehabt.

Letztere Wortneuschöpfung ist eine Doktrin der kommunistischen Partei. Sie verlangt ein „politisches Bewusstsein“, also die Voranstellung politischer Berücksichtigungen bei allen Problemen. Ein „Gesamtbewusstsein“, also eine Berücksichtigung von Partei und Regierung sowie ein „Kernbewusstsein“, gemeint eine Gefolgschaft für Xi Jinping als „Kern der Führung“, und ein „Integritätsbewusstsein“, was bedeutet selbst mit der Partei in Einklang zu sein.

Dass ByteDance spätere, erfolgreiche App TikTok nun eben nicht frei von der Kontrolle der kommunistischen Partei Chinas ist, erscheint daher offensichtlich alles andere als weiter hergeholt. Es ist die erste chinesische Social-Media-App, die in einer Liga mit Twitter, Facebook, Instagram und Co. spielt. Und damit auch die erste solche Plattform, die aus einem autoritären Staat stammt, in dem Staats- und Parteibeamte bei Unternehmen ein und aus gehen.

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Wo Tech-Plattformen der Partei folgen

Was passieren kann, wenn man auch nur einen großen Teil seines Schlüsselpersonals in China hat, zeigte der Fall von Zoom in den Coronajahren: Eigentlich eine US-Firma, allerdings damals mit einem Großteil der Entwicklungsabteilung in China, zensierte der Konzern unter dem Einfluss chinesischer Funktionäre unliebsame Video-Treffen außerhalb Chinas. Nach Druck des Regimes in Peking hatte man nämlich chinesische Mitarbeiter speziell zum „Kontakt“ mit chinesischen Behörden angestellt.

Formell ging es nur darum, in China geltendes Recht umzusetzen, also in China zu zensieren. Außerdem sollten alle Anfragen über die offiziellen Kanäle laufen und dem Unternehmen mitgeteilt werden. Schnell passierte das Gegenteil: Mindestens ein regimeloyaler Regierungskontakt im Unternehmen begann in geheimer Absprache mit den Behörden damit, Videokonferenzen außerhalb Chinas zu stören und zu sperren, Accounts von chinesischen Dissidenten in den USA zu blockieren und illegal Daten von unliebsamen Nutzern zu sammeln. Erst eine FBI-Ermittlung und Anklage in den USA und der dazugehörende öffentliche Aufschrei führten zur Entlassung jenes chinesischen Mitarbeiters.

All das war bereits bei einem US-Unternehmen möglich, das den Großteil seines (Entwicklungs-)Hauptquartiers in China hatten. Bei einem völlig chinesischen Konzern ist der Durchgriff nochmal deutlich einfacherer und schwieriger von außen überhaupt zu entdecken – die Spionage- und Propagandamöglichkeiten sind neben der Zensur (die auch versteckt über Shadowbanning stattfinden kann) unbegrenzt. Tatsächlich gibt es bereits Parallelen zu Zoom (und das sind nur die bekannten Fälle): So wurden offenbar US-Mitarbeiter von China aus angewiesen, US-Nutzerdaten nach China zu schicken – obwohl das Unternehmen immer wieder versicherte, dies sei gar nicht möglich.

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Am Ende ist eben doch alles möglich, weil Management und Technik TikToks in China sitzen und dort unter Kontrolle der kommunistischen Partei stehen. Zu verhindern, dass eine solche Plattform im Westen wie eine vermeintlich ganz normale Social-Media-Firma auftritt, ist alles andere als autoritär.

Auch digitaler Handel basiert auf Gegenseitigkeit

Tatsächlich ist es viel sinnvoller in der TikTok/Tech-Auseinandersetzung mehr im Rahmen von Handelsbeziehungen zu denken: Nur weil man bestimmte Produkte aus einem bestimmten Land nicht ins eigene Land lassen will, heißt das nicht, man will entsprechende Eigenproduktionen (also westliche Soziale Medien) verbieten. Und Handel und Zölle basieren auch auf Gegenseitigkeit.

China verbietet Twitter, Facebook und Instagram im Land. Sie sind dem Regime ein Dorn im Auge, weil dort nicht so zensiert wird, wie von der Partei gewünscht. Warum also sollte der Westen eine von der kommunistischen Partei kontrollierte App im Westen erlauben?

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Und nein, die Meinungsfreiheit oder Existenz anderer westlicher sozialer Medien ist durch das Gesetz nicht bedroht. Es definiert klipp und klar, wen ein Bann treffen kann: nämlich nur solche Apps aus China, Russland, Nordkorea oder dem Iran. Alle anderen, auch nicht-amerikanische Plattformen, etwa aus der EU oder anderen Ländern, fallen in keinem Fall darunter.

Es würde also bereits reichen, wenn ByteDance TikTok an ein Unternehmen aus solchen Ländern verkauft und ein US-Verbot würde ausbleiben. Mit einer erzwungenen US-Übernahme hat es also nichts zu tun, Ziel ist ein erzwungener chinesischer Verkauf. Aber ByteDance erklärt felsenfest, man werde nicht verkaufen.

Eine digitale Waffe

Warum eigentlich nicht? Klar, die Umstände mögen den chinesischen Eigentümer missfallen, aber aus rein wirtschaftlicher Sicht wäre es das Geschäft ihres Lebens und vermutlich plante man sowieso früher oder später einen Börsengang. Interessierte Käufer, die sich um die Plattform schlagen würden gibt es in der ganzen westlichen Welt genug.

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Aber es spielen eben nicht nur wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Das ist der entscheidende Unterschied zum Westen: Im kommunistisch regierten China toleriert man Märkte in einem gewissen Ausmaß für Wachstum und Aufstieg eigener Konzerne, aber trotzdem hat die Marktwirtschaft dort nicht das letzte Wort, sondern die Partei. Und die definierte TikTok längst durch Behörden als Schlüsseltechnologie, die Exportkontrollen unterliegt, wie hierzulande etwa Militärgerät.

Das zeigt einmal mehr: In Peking sieht man TikTok als Waffe.

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