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Weinsteins Vergewaltigungs-Urteil aufgehoben – der Rückschlag der #metoo Bewegung?

2020 wurde Harvey Weinstein von einem Gericht in New York zu 23 Jahren Haft wegen zwei Sexualstraftaten verurteilt. Ein Berufungsgericht hob dieses Urteil nun wieder auf. Das ist kein Rückschritt für die Rechtsstaatlichkeit, sondern ein Sieg.

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Mit ihm ging alles los – die Stunde Null der #metoo Bewegung: Der Gerichtsprozess gegen Harvey Weinstein. Besser gesagt, die Prozesse. Im Oktober 2017 wurden die Vorwürfe der sexuellen Nötigung, Belästigung und Vergewaltigung gegen ihn zum ersten Mal laut. Im März 2020 wurde er in New York dann zu 23 Jahren Haft verurteilt. Im Februar 2024 in Los Angeles nochmal zu 16 Jahren. Doch nun hob ein Berufungsgericht das New Yorker Urteil wieder auf. 

Wer will, kann viel über die Prozesse gegen Weinstein herausfinden. Es hätte eigentlich nur noch gefehlt, dass die Verhandlungen aufgenommen werden. Wie zu erwarten, bei einem Verfahren, das die Vorwürfe sexueller Belästigung und Vergewaltigung aufarbeitet, waren die Details, die es vom Zeugenstand in die Presse schafften, sehr intim.

So schilderte etwa eine der Klägerinnen im zweiten Prozess „Jane Doe 4“ (die sich als Jennifer Siebel Newsom, die Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom, herausstellte), in ihrer Aussage detailliert, wie „fischartig“ und verkrüppelt das Glied von Weinstein gewesen sei, dass es so eklig ausgesehen habe, dass sie Angst hatte, sich mit Geschlechtskrankheiten anzustecken. Dass er zuerst nicht erigiert war, weshalb der Akt ihm schwer fiel und sie irgendwann stöhnte, damit er endlich fertig würde. 

Eine andere Frau, Dawn Dunning, erzählte der Presse über den Prozess: „Mein Vater musste über meine Vagina in der New York Times lesen“, es sei das erniedrigendste gewesen, dass sie jemals erlebt hatte. Die italienische Schauspielerin Emanuela Postacchini, die selbst eine im Grunde einvernehmliche sexuelle Beziehung mit Weinstein geführt haben soll, beschrieb einen Dreier, den sie mit Weinstein und Jessica Mann gehabt haben soll, bis diese weinend und panisch aus dem Zimmer flüchtete. Wegen der Vergewaltigung an Jessica Mann wurde Weinstein im ersten Prozess tatsächlich schuldig gesprochen.

Das Model Ambra Guttierez beschuldigte Weinstein, ihr 2015 die Hand unter den Rock geschoben und sie nicht einvernehmlich penetriert zu haben. Die Polizei schickte sie daraufhin verkabelt zu einem folgenden Meeting in einem Hotel. Die Ton-Aufnahme, die dabei heraus kam, in der Weinstein sie unter anderem auffordert, ihm beim Duschen zuzuschauen oder sie zu massieren, ist im Internet zu Teilen abrufbar, da das Model die Aufnahme an die Presse durchstach. 

Zu viele Zeugen?

Über 100 Frauen. Das liest man immer wieder – über 100 Frauen haben Harvey Weinstein beschuldigt, sie vergewaltigt, genötigt, belästigt oder erpresst zu haben. Nach außen hin wirkt der Fall klar und für Weinstein hoffnungslos. Hunderte Zeugen, Tonaufnahmen – wie oft hat man schon so viel Beweismaterial? 

Die politische Debatte fand weniger auf der Ebene statt, ob Weinstein diese Taten tatsächlich begangen hat – denn das schien klar. Man diskutierte eher, wie verwerflich sie wirklich waren. Immerhin hatten einige Frauen selbst ausgesagt, dass sie eingewilligt haben, um ihre Karriere zu fördern.

Doch gerade das, was den Fall nach außen so eindeutig wirken ließ, hat ihn nun in sich zusammen fallen lassen. Im amerikanischen Prozessrecht gibt es ein sehr wichtiges und grundlegendes Prinzip: Gegen einen Angeklagten dürfen im Grunde nur Beweise erbracht und Zeugen angeführt werden, die zu dem Fall gehören, der vor Gericht verhandelt wird. Anschuldigungen darüber hinaus sind nicht zulässig. 

Harvey Weinstein wurde von 100 Frauen beschuldigt. Es ist schwer auseinander zu halten, wer sich nur der Presse gegenüber geäußert hat, wer nur als Zeugin ausgesagt hat und wer tatsächlich Klägerin war. Einige Frauen sagten vor Gericht als Zeuginnen aus – allerdings gar nicht zu den Fällen, die verhandelt wurden, sondern über eigene Anschuldigungen. Weinstein und seine Anwälte sahen sich mit unzähligen Zwischenfällen und Behauptungen konfrontiert, die sie unmöglich alle ausräumen konnten, zumal viele der Fälle schon lange her waren. 

Schaut man sich den Fall an, beginnt dieses „halb aussagen, halb neu beschuldigen“-Muster schon bei einer der prominentesten Figuren des Prozesses, Annabella Sciorra. Weinstein soll sie bereits in den 90er Jahren vergewaltigt haben, die Tat war zur Zeit des Prozesses aber bereits verjährt. Sie durfte aber trotzdem aussagen, um ein Verhaltensmuster von Weinstein nachzuweisen. 

Verrat an den Frauen und dem Rechtssystem

Diese Argumentation wurde für sämtliche Frauen angeführt, die nicht Teil der Klage waren, aber trotzdem aussagten. Es ginge um den Beweis eines Musters. Dass Weinstein ein Triebtäter sei. Das war unangemessen und rechtswidrig, wie das Berufungsgericht befindet. 

Die Opfer und Zeuginnen des Prozesses und prominente Figuren der #metoo-Bewegung, wie etwa ihre Gründerin Tarana Burke, zeigten sich den Medien gegenüber bestürzt. Die Hauptzeugin Miriam Haley ließ verlauten, sie müsse noch abwägen, ob sie erneut gegen Weinstein aussagen wird. Die letzte Gerichtsverhandlung sei „retraumatisierend, zermürbend und anstrengend“ gewesen. „Ich möchte das definitiv nicht nochmal durchmachen.“ 

Lindsay Goldbrum, die mehrere Klägerinnen gegen Weinstein vertritt, nannte es gegenüber ABC News sogar einen „Rückschritt für die Rechtssstaatlichkeit“. Dabei sollte ausgerechnet sie es als Juristin besser wissen. Es ist komplett egal, was man von Harvey Weinstein denkt, ob man glaubt, dass er schuldig ist. Das Urteil des Berufungsgerichts war die einzig richtige Entscheidung. Zum Schutz aller Opfer – ob Opfer von Straftaten oder falscher Anschuldigungen. Ein fairer Prozess ist die absolute Basis eines Rechtsstaates. 

Tatsächlich ist es nicht das Rechtssystem, dass die Frauen im Stich gelassen hat. Es sind auch nicht die Richter des Berufungsgerichts. Es war die Staatsanwaltschaft, die wusste, dass sie gegen das Gesetz verstößt. Der Richter, der sie gewähren ließ. Sie wussten, dass das den Fall angreifbar machen würde. Sie wussten, dass das bedeuten könnte, dass die Opfer wieder aussagen müssen und dann alles umsonst wäre. Und sie haben es trotzdem getan. 

Sie brachen das Gesetz, weil sie überzeugt davon waren, im Recht zu sein. Weil sie ihn schnell hinter Gitter bringen wollten, um einen politischen Sieg einzufahren. Frei ist Harvey Weinstein nicht, da seine zweite Gefängnisstrafe noch immer steht. Doch auch diese könnte aus den gleichen Gründen angreifbar sein, wie der erste. Weinsteins Anwälte kündigten bereits an, dass sie sich auch in diesem Fall gute Chancen ausmalen. Das hat man nun davon: Der Verrat am Rechtssystem – und an den Frauen, die nun wieder von vorne über Weinsteins Glied aussagen müssen.

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