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Union unterstützt GG-Änderung für Verfassungsgericht – und legt sich dabei selbst Steine in den Weg

Auch die Union unterstützt nun Ampel-Vorschläge, das Verfassungsgericht gegen eine künftige, absolute AfD-Mehrheit „abzusichern“. Implizit wird damit auch das Parteien-Proporz-System für die Richterwahl in Stein gemeißelt – und mögliche Änderungen daran durch eine Koalition nach der Ampel praktisch unmöglich gemacht.

Bildquelle: Mehr Demokratie, Wikimedia Commons via CC BY-SA 2.0

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Glaubt der Bundestag, eine absolute AfD-Mehrheit stehe bevor? Das könnte man meinen, wenn man die Nachrichten der letzten Tage liest. Die Ampel plane eine Grundgesetz-Änderung, um das Bundesverfassungsgericht „abzusichern“, heißt es. Damit sollen Änderungen am Bundesverfassungsgerichtsgesetz verhindert werden, die aktuell mit einfacher Mehrheit stattfinden können.

Dabei scheint – trotz aller Aufregung und des AfD-Höhenflugs – eine absolute Mehrheit für die Partei in weiter Ferne. Keiner im politischen Berlin glaubt daran, stattdessen dürften viele angesichts aktueller Umfragen eher einsehen, dass die Tage der Ampel spätestens mit der nächsten Legislaturperiode gezählt sind. Die Union wird ins Kanzleramt zurückkehren – so sieht es jedenfalls aus.

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Und trotzdem springt die Union auf den Ampel-Vorschlag auf, der vorsieht, wahlweise das aktuelle Gesetz zum Verfassungsgericht, nur noch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit änderbar zu machen oder direkt Bestimmungen daraus ins Grundgesetz aufzunehmen: Im Kern dreht sich dabei vieles vor allem um die aktuell nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zur Wahl von Verfassungsrichtern.

Die kann man bisher eher als eine Konvention oder Selbstverpflichtung wahrnehmen, schließlich könnte eine einfache Mehrheit diese Zwei-Drittel-Mehrheit aktuell wieder auf eine normale Mehrheit heruntersetzen. Mit der Grundgesetz-Änderung würde diese Option wegfallen. Ein Weg, um eine Politisierung des Gerichts zu verhindern, argumentieren Ampel-Politiker.

Die Änderung soll auch das Partei-Proporz-System festlegen

Dabei ist das Gericht jetzt schon parteipolitischer Spielball: Richter werden dort nach einem Proporz-Prinzip gewählt, auf das sich die Parteien geeinigt haben. So steht jeder Partei eine gewisse Anzahl an Richterposten zu und immer wenn ein Richter in den Ruhestand geht, wird im Sinne dieses Systems überparteilich sein Nachfolger gewählt, dadurch nehmen die Richterkandidaten jedes Mal die Zwei-Drittel-Hürde. Mit einer starken – aber bei weitem nicht mehrheitsfähigen – AfD tut sich am Horizont nun das Szenario auf, dass man dann eigenlich auch AfDler ins Verfassungsgericht wählen müsste. Gerade linke Parteien wollen die Partei davon aber abhalten und stattdessen wohl ein Proporz-System unter Ausschluss der Partei weiterführen.

Mit dem neuen Vorschlag soll genau dieses Partei-Proporz-System für die Richterwahl damit auch implizit in Stein gemeißelt werden. Sollte sich die CDU schließlich später einmal entscheiden, doch die AfD einzubeziehen und deren Kandidaten mitzutragen, könnten SPD und Grüne das verhindern. Und noch viel wichtiger: Man verhindert, dass es später, etwa unter einer Unionsregierung ein Ende des Proporz-Verfahrens gibt.

Bisher wäre es möglich, dass sich eine Koalition zum Beispiel für ein anderes Wahlverfahren entscheidet: etwa Vorschlag von Richterkandidaten durch den Justizminister mit Wahl durch eine einfache Mehrheit im Parlament. Mit einer einfachen Gesetzesänderung wäre so etwas aktuell möglich. Mit der Grundgesetz-Änderung nicht mehr.

Vor allem steht zukünftig die Gefahr im Raum, dass das Gericht mit einer Zwei-Drittel-Hürde – mit anderen Worten einem Ein-Drittel-Veto – an demokratischer Legitimität verliert. Will die Mehrheit der Bürger eine andere Grundgesetzinterpretation als das Gericht, etwa weil es schwere Fehlentscheidungen trifft, gäbe es keine Möglichkeit, dessen Zusammensetzung – selbst graduell mit der Neubesetzung scheidender Richter – zu ändern. Man bräuchte dafür die gleiche Mehrheit wie für eine Verfassungsänderung, die ohnehin mögliche Problemartikel entfernen könnte.

Vorschlag öffnet selbst die Tür für AfD-Blockade

Ein weiteres Problem, dass die meisten Ampel- und Unions-Politikern dabei ebenso übersehen: Wenn man schon vor einer absoluten AfD-Mehrheit Angst hat, wie stellt man sich unter solcher dann eine Richterwahl vor? Schon ein Drittel der Sitze reicht dann schließlich aus, um die Wahl jedes neuen Richters zu blockieren und das Gericht auf kurz oder lang völlig lahmzulegen – und so ein Szenario wäre zwar auch noch weit entfernt, aber schon weitaus realistischer als eine AfD irgendwo in der Nähe von 50 Prozent. Zumindest in vielen ostdeutschen Bundesländern stellt sich bald diese Frage, weil die Partei dort in Umfragen teilweise weit über 33 Prozent rangiert.

Vielleicht wäre es zur Abwechslung einmal eine gute Idee, nicht vorschnell das Grundgesetz zu ändern – schließlich ist es schon jetzt eine der am häufigsten geänderten Verfassungen der Welt.

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