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Tattoos, Tanzen, TikTok – die Festivalisierung des Bundestags ist unerträglich

Mit skurrilen Tattoo-Aktionen und TikTok-Videos will die Bundesregierung junge Leute für ihre Politik begeistern. Doch das kann nur nach hinten losgehen. Die Infantilisierung der Politik ist einfach nur peinlich.

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Einen Kreis und zwei Halbkreise. Das lassen sich am heutigen Donnerstag 19 Bundestagsabgeordnete und 30 Mitarbeiter tätowieren. Ausgedacht hat sich das der SPD-Politiker Stefan Schwartze – ein Mann, der in der kommenden Woche fünfzig Jahre alt wird und nun ein Foto von sich auf Instagram veröffentlicht hat, das ihn stolz mit dem neu gestochenen Tattoo auf seinem Oberarm zeigt. Schwartze ist Patientenbeauftragter der Bundesregierung und möchte mit der Aktion gezielt junge Leute für die Organspende gewinnen. Das Tattoo soll als Signal dienen, dass man sich dazu bereit erklärt, seine Organe zu spenden. Immerhin könne man aus der Aneinanderreihung der Buchstaben ein „O“ und ein „S“ herauslesen, was für „Organspende“ stehen soll. 

Wie ich den Mann da so sehe, mit dem kleinen Tattoo auf seinem Arm, das jedem Hipster eine Inspiration sein dürfte, muss ich unmittelbar an ein paar Nächte denken, die ich in Berliner Clubs verbracht habe. Irgendwann hat es angefangen, dass es den Veranstaltern nicht mehr reichte, ihr Publikum mit guter Musik und leckeren Drinks für ihren Laden zu begeistern. Erst versuchten sie, junge Leute mit Gratispizza anzuwerben, später gab es Glitzer-Make-up für alle. Eines Abends dann schlängelte ich mich durch eine Menschenmenge vor der Tanzfläche eines Clubs und sah, dass sich darin zahlreiche junge Leute vor einem Metallkäfig angestellt hatten. Als ich an den Käfig herantrat, entdeckte ich darin eine junge Frau, die sich von einem stark gepiercten Wesen einen kleinen Hund auf ihren Finger tätowieren ließ. 

Danach fielen mir immer öfter Clubs auf, die mit Gratis-Tätowierungen warben. Selbst auf Musikfestivals konnte man sich plötzlich zwischen Batik-Workshops und kollektiver Straßenmalerei an kleinen Ständen Bilder in die Haut stechen lassen. Nun gibt es die Festival-Bespaßung also auch im Bundestag. Überhaupt häufen sich in der letzten Zeit Aktionen von Politikerin, um sich – so scheint es – an die jungen Wähler heranzuschmeißen. Spätestens seit Statistiken zeigten, dass die AfD die auf TikTok mit Abstand beliebteste deutsche Partei ist, tummeln sich zahlreiche Politiker auf der Videoplattform. 

Seitdem sollen sich junge Leute auf TikTok angucken, wie unser Bundeskanzler Kartoffelgerichte von eins bis zehn rankt, Katzen über Habecks klimafreundlichen Netzausbau reden und sich einen FDP-Politiker anlässlich der Cannabis-Legalisierung einen Brokkoli anzündet. Ricarda Lang erzählt den Zuschauern, was ihre Lieblingsbrotgerichte sind und Karl Lauterbach gratuliert seinem Lieblingsfußballteam. Auf ihrem offiziellen Parteiaccount tanzen Grüne gemeinsam mit animierten Aliens zu Brokkoli, der durch die Luft fliegt.

Grünen-Chef Omid Nouripour sagt betont cool in die Kamera, dass er sich darauf freue, „wie Hafti“ eine Deutschlandtour zu machen – gemeint ist damit wohl der Rapper Haftbefehl, der aktuell auf Deutschland-Tournee ist. Und natürlich liefert auch Grünen-Kücken Emilia Fester regelmäßig Videos, in denen sie politische Inhalte entweder durch Tänze oder Lipsync-Formate „erklärt“. 

Mich würde wirklich interessieren, ob irgendein junger Mensch diese Videos ansprechend findet. Ich kann es mir schwer vorstellen. Immerhin kommen die Videos ungefähr so cool rüber, wie Eltern, die auf den Geburtstagsfeiern ihrer Schulkinder plötzlich anfangen, betont laut Jugendwörter zu verwenden. Ich glaube auch nicht, dass man mit solchen Videos auch nur einen jungen Menschen aus der Politikverdrossenheit locken kann – geschweige denn ihn für linke Themen begeistern kann, wenn er sonst eher rechts tickt. 

Wenn die Politiker mit ihren Videos eines zeigen, dann doch vor allem, für wie beschränkt sie die jungen Leute halten. Ein paar fliegende Brokkolis hier, ein paar Tanzvideos da – und schon sollen junge Leute ihre Meinung ändern und das Kreuz bei den Ampelparteien setzen. Ich glaube nicht, dass das wirkt. Im Gegenteil: Solchen wortwörtlichen Hampelmännern traut man immer weniger zu, sinnvolle Politik zu machen. Die Infantilisierung des Bundestags – sie ist wohl auch ein Grund, warum sich immer mehr junge Leute nach konservativen Politikern umsehen. Immerhin strahlen diese zum Teil noch eine gewisse Kompetenz aus, die man in der Bundesregierung vergeblich sucht. Davon können auch keine Gratis-Tattoos ablenken.

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