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Strafverteidiger zu Ballweg-Beschluss: „Natürlich wird auf Richter politischer und gesellschaftlicher Druck ausgeübt“

Neun Monate saß Querdenken-Gründer Michael Ballweg in Untersuchungshaft, bevor die Anklage erhoben wurde. Nun beschloss das Landgericht Stuttgart, das Hauptverfahren aufgrund mangelnden Tatverdachts gar nicht erst einzuleiten. Apollo News sprach mit dem renommierten und bekannten Strafverteidiger Udo Vetter über den Fall.

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Apollo News: Sehr geehrter Herr Vetter, das Landgericht Stuttgart hat beschlossen, das Hauptverfahren gegen Michael Ballweg wegen versuchten Betrugs und Geldwäsche nicht einzuleiten – und das, nachdem Ballweg neun Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte. Kommt diese Entscheidung überraschend?

Vetter: Das überrascht extrem. Es entspricht nicht der üblichen Dynamik eines Strafprozesses. Michael Ballweg wurde wegen der Vorwürfe Spendenbetrug und Geldwäsche in Haft genommen. Das setzte einen dringenden Tatverdacht voraus. Die Staatsanwälte und Untersuchungsrichter mussten also seinerzeit gewichtige Anhaltspunkte dafür bejahen, dass Ballweg die Taten begangen hat. Kurz gesagt: Haft darf nur angeordnet werden, wenn eine spätere Verurteilung sehr wahrscheinlich ist.

Nun sagt das Landgericht Stuttgart: Wir eröffnen das Hauptverfahren nicht, weil gar kein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Der hinreichende Tatverdacht ist aber viel, viel weniger als der dringende Tatverdacht. Von daher tut sich da eine massive Schere auf. Es stehen große Fragezeichen im Raum: Wie kann ein angeblich dringender Tatverdacht im Nachhinein so massiv schrumpfen, dass das zuständige Gericht gar keine Verurteilung mehr erwartet und den Fall brüsk ablehnt? Wurde da was aufgebauscht? Haben die verantwortlichen Richter die Haftanträge der Staatsanwaltschaft nicht sorgfältig genug geprüft? Die Entwicklung wirft kein gutes Bild auf die Strafverfolger. Jedenfalls kann ich nach 30 Jahren Strafverteidigung sagen, dass Tatvorwürfe nach Erlass eines Haftbefehls normalerweise nicht mit so einem lauten Knall implodieren.

Andererseits muss man sehen, dass das Oberlandesgericht den Haftbefehl gegen Ballweg schon im Frühjahr außer Vollzug gesetzt hat. Ob tatsächlich nur die Fluchtgefahr entfallen war, darf nun bezweifelt werden. Vieles spricht dafür, dass die Richter schon damals sahen, dass die Vorwürfe wackelig sind. Insoweit hat die richterliche Kontrolle ja funktioniert – wenn auch sehr spät. Dass die Staatsanwaltschaft dennoch Anklage erhebt und nun eine Bruchlandung hinlegt, zeigt eine gewisse Verbissenheit. Die Zurückweisung der Anklage ist aus fachlicher Sicht eine heftige Klatsche für die Staatsanwaltschaft. So was kommt nur selten vor. Schlimmer geht’s für Staatsanwälte eigentlich nimmer.

Während Ballweg in Untersuchungshaft saß, versuchten seine Anwälte mehrmals, seine Freilassung zu erwirken – und scheiterten. Auch das Bundesverfassungsgericht nahm seine Verfassungsbeschwerde gegen seine Untersuchungshaft gar nicht erst zur Entscheidung an. Erst im Frühjahr wurde Ballweg nach einer Haftüberprüfung unter Auflagen entlassen. Nun gibt es offenbar nicht einmal genug belastende Informationen, um das Verfahren zu eröffnen. Wie passt das zusammen?

Vetter: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf man nicht überbewerten. Die Richter haben Ballweg zu Recht darauf hingewiesen, dass er erst mal alle Rechtsmittel ausschöpfen muss. Auch ansonsten mischt sich das Verfassungsgericht nur extrem selten in Haftfragen ein, es empfindet sich nicht als Super-Revisionsinstanz.

Allerdings dürften die Worte aus Karlsruhe einen Denkprozess angestoßen haben. Das Oberlandesgericht setzte Ballweg ja kurz darauf auf freien Fuß. Ob tatsächlich nur die Fluchtgefahr entfallen war, erscheint nun fraglich. Womöglich hatten die Richter schon damals den zutreffenden Eindruck, dass Spendenbetrug und Geldwäsche nicht nachweisbar sein könnten.

Wieso damals ein Richter den Haftbefehl unterzeichnete, muss nun hinterfragt werden. Man muss allgemein wissen, dass die Staatsanwaltschaft dem Richter den Haftbefehl vorformuliert. Winkt der Richter den Entwurf durch, hat er am wenigsten Arbeit. Die meisten Menschen machen sich möglichst wenig Arbeit. Es kann also durchaus vorkommen, dass die vorgebrachten Haftgründe nicht mit der erforderlichen Sorgfalt hinterfragt werden. Auch wird auf Richter natürlich politischer und gesellschaftlicher Druck ausgeübt. Gute Richter widerstehen diesem Druck. Andere nicht. Die Entwicklung im Fall Ballweg zeichnet, wie gesagt, kein gutes Bild von den Anfängen des Verfahrens. Aber eine konkrete Bewertung der Vorgänge wird erst möglich sein, wenn wir wissen, was für Belege den Haftrichtern seinerzeit vorgelegt wurden.

Wie sind die neun Monate Untersuchungshaft nach dieser Entscheidung des Landesgerichtes einzustufen? Hat Herr Ballweg juristische Möglichkeiten, nachträglich Entschädigungen oder Ähnliches für den Freiheitsentzug zu erwirken?

Vetter: Neun Monate Untersuchungshaft sind eine lange Zeit. Darüber zerbrechen normalerweise Existenzen. Wenn die haftauslösenden Gründe sich dann noch durch einen Federstrich des Gerichts pulverisieren, ist das im Rechtsstaat fast eine unerträglich lange Zeit. Herr Ballweg wird Anspruch auf Entschädigung haben, wenn die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart rechtskräftig ist. Für jeden Tag unrechtmäßiger Haft kriegt man bei uns 75 Euro pro Tag.

Das Landgericht Stuttgart erteilte dem Verfahren gegen Michael Ballweg vorerst eine Absage. Dabei negierte es den hinreichenden Tatverdacht – die Staatsanwaltschaft spricht in ihrer neuesten Pressemitteilung von Dienstag aber von einem dringendem Tatverdacht und legte Beschwerde gegen das Urteil ein. Nun soll das Oberlandesgericht entscheiden. Warum hält die Staatsanwaltschaft an den Anklagepunkten fest und wie beurteilen Sie die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, Beschwerde einzulegen?

Es gibt ja den Grundsatz: Zwei Juristen, drei Meinungen. Es kommt also durchaus vor, dass Staatsanwaltschaft und Gericht unterschiedlicher Meinung sind. Allerdings ist das bei der Zulassung von Anklagen meist nicht der Fall. Rund 90 % der Anklagen werden nach meiner Erfahrung unverändert zugelassen. In den restlichen Fällen verlangen die Gerichte oft nur kosmetische Korrekturen. Hier werden die tragenden Anklagepunkte abgeschmettert, dieser Vorgang ist ungewöhnlich.

Es kommt jetzt darauf an, wie das Oberlandesgericht über die Beschwerde entscheidet. Die dortigen Richter prüfen die Anklageschrift eigenständig. Sie können die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart auch korrigieren. Das hätte dann zur Folge, dass die Richter am Landgericht über einen Fall entscheiden müssen, an den sie selbst nicht glaubten.

Das Landgericht Stuttgart lehnte den Prozess wegen versuchten Betrugs und wegen Geldwäsche ab. Stattdessen soll Ballweg nun wegen Steuerdelikten vor Gericht. Worum geht es hier? Welche Schritte sind infolgedessen seitens des Angeklagten zu erwarten?  

Vetter: Einzelheiten zu den Vorwürfen kenne ich nicht. Steuerdelikte muss man natürlich auch ernst nehmen. Fakt bleibt aber, dass die Hauptanklagepunkte gegen Michael Ballweg weggebrochen sind. Es ist nach meinen Informationen auch noch offen, ob die Anklage wegen der Steuerdelikte zugelassen wird. Sollte das geschehen, kann es auch sein, dass die Sache wegen der nun erheblich niedrigeren Straferwartung an das Amtsgericht abgegeben wird.

Welches Urteil erwarten Sie vom Oberlandesgericht? Falls es der Beschwerde der Staatsanwaltschaft zustimmen würde, was erwartet dann Ballweg als Nächstes?

Vetter: Ich gehe davon aus, dass sich die Richter am Stuttgarter Landgericht Mühe mit ihrer Entscheidung gegeben haben. Übergeordnete Richter handeln meist nach dem Grundsatz: Wir setzen nicht unsere Meinung auf Biegen und Brechen durch. Vielmehr überprüfen wir, ob die Meinung der Kollegen an der Basis vertretbar ist. Mit einer Zulassung der Anklage ist nach meiner Meinung nur zu rechnen, wenn die Richter am Landgericht argumentativ einen großen Bock geschossen haben.

Vielen Dank für das Interview.

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