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NRW

Staatsanwaltschaft geht gegen Journalisten vor, die skandalöses Behördenversagen aufdeckten

Gewalttätig stürmt das SEK in NRW eine Wohnung - doch es ist das falsche Zielobjekt, die Bewohner unbescholtene Bürger. Statt sich zu entschuldigen, will man den Fall totschweigen - die Staatsanwaltschaft geht gar gegen die Presse vor, die darüber berichtet.

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Monheim am Rhein ist eine Stadt in Nordrhein-Westfalen mit rund 43.000 Einwohnern – und zu vielen Ercans. Das zumindest ist die Ausrede der Behörden für einen folgenschweren Fehler, den die Polizei im Sommer 2024 vollzog. Amtsgericht, Staatsanwaltschaft und SEK sind in einen Skandal verstrickt, der immer weitere Kreise zieht.

Was war passiert? Welt berichtete in den letzten Tagen über den Fall, der, wenn er nicht so ernst wäre, fast aus einer Komödie stammen könnte. Im örtlichen Rocker-Milieu kam es zu einer schweren Straftat: Ein Mann attackierte mehrere Menschen mit einer Axt und einem Messer. Laut Zeugenaussagen handelte es sich um einen Ercan, Nachname unbekannt. Auch die Straße, in der der Täter wohne, wird genannt.

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Die Polizei wird aktiv, fragt über das Einwohnermelderegister die Namen aller Bewohner der Straße ab. Drei Männer mit dem Vornamen Ercan leben dort. Laut Zeugenaussagen soll der gesuchte Ercan ein junger Mann sein. So suchen sich die Beamten einfach den jüngsten Ercan in der Straße heraus – das reicht offenbar für einen Durchsuchungsbeschluss.

Massiver Grundrechtseingriff

In diesem Durchsuchungsbeschluss hieß es, Ercan T. sei zwar bisher nicht als Mitglied der Szene bekannt gewesen – man könne aber vermuten, dass auch er einer Rockergruppe angehöre. Anders seien die Angriffe nicht zu erklären, heißt es in dem Beschluss. Die Durchsuchung sei notwendig, ein milderes Mittel gebe es nicht.

Der Beschluss wird mitten in der Nacht vollstreckt, das SEK rückt an. Die Spezialeinheit zertrümmert die Tür, dringt in die Wohnung ein und packt sich den Ercan, den sie zu suchen glauben. Dabei schlagen die Beamten ihm brutal ins Gesicht – T. ist krankenhausreif, muss später operiert werden. Sie schleifen den Mann aus der Wohnung, packen ihn ins Auto und bringen ihn aufs Polizeipräsidium. Der verletzte Ercan T. muss Stunden dort ausharren, bis die Polizei ihn schließlich gehen lässt.

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Was den Beamten schnell klar wird: Sie haben den falschen Ercan. Ercan T. hat zwar den Vornamen und ein entsprechendes Alter, aber sonst verbindet ihn nichts mit dem Tatverdächtigen, der sich später selbst der Polizei stellt. T. ist kein Rocker, sondern offenbar unbescholtener Bürger, der in der Vergangenheit sogar als Contractor für die Bundespolizei tätig war. Vor dem Vorfall machte er auch eine Ausbildung. Mit dem Milieu hat er nichts zu tun – und zum Tatzeitpunkt ein wasserdichtes Alibi, das unter anderem durch Überwachungskameras und die Aussagen eines Polizeibeamten gestützt wird.

Schlampige Arbeit der Polizei

Schwerer könnte ein Fehler in einem Rechtsstaat kaum wiegen: Mitten in der Nacht brechen Beamte brutal in eine falsche Wohnung ein und misshandeln einen Mann, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Offenbar passierte das nur aus Schlampigkeit. So berichtet es zumindest die Welt, deren Redakteure seit Monaten zu dem Fall arbeiten und recherchieren. Was sie noch erleben werden, wird ein Skandal im Skandal.

Die Polizei hätte offenbar Möglichkeiten gehabt, den Täter genau zu identifizieren: Zeugen übergaben den Behörden nach der Tat eine Tatwaffe und ein Smartphone des Täters. Darüber hätte man ihn so gut wie zweifelsfrei identifizieren können. Stattdessen folgten Polizei und Gericht einfach den ungefähren Angaben eines Zeugen, glichen diese mit dem Alter der in der betreffenden Straße wohnenden Ercans ab und kamen zu dem Schluss, dass Ercan T., Jahrgang 1998, der Täter sein muss. „Die haben einfach irgendeinem Zeugen geglaubt und dann überhaupt nicht mehr recherchiert“, meint Ercan T. dazu. „Wie kann so etwas passieren?“

Wie kann so etwas passieren – das ist auch eine Frage, die sich die Investigativ-Journalisten der Welt stellen. Die beginnen schnell, den Behörden im Fall Ercan T. auf den Zahn zu fühlen. Zunächst sehen sie sich mit einer selbstbewussten Polizei konfrontiert, die erklärt: Selbstverständlich habe man mit T. den richtigen Tatverdächtigen. Bald darauf wird die Pressestelle schon kleinlauter, räumt ein, dass Ercan T. nicht mehr tatverdächtig sei. Man habe nun „den Richtigen“ Ercan als Tatverdächtigen identifiziert. Ohne T. mit Nachnamen. Später spricht man von „erwiesener Unschuld“ für T.

Erst mauern die Behörden – dann droht man der Presse

Fehler einräumen, sich gar entschuldigen? Dazu kann sich die Polizei nicht durchringen. Und auf Nachfragen der Journalisten von Welt mauert man. Was sagt der Staat zu diesem Versagen? Das Amtsgericht Düsseldorf schweigt, die Polizei verwies an die Staatsanwaltschaft, die wiederum auf alte Pressemitteilungen ohne Erkenntnisgewinn verwies, in denen zwar die Verwechslung zugegeben wird, aber elementare Fragen unbeantwortet blieben: Warum passierten solche Fehler? Welche Konsequenzen wurden aus dem Versagen gezogen? Zu all dem keine Auskunft, sondern nur der schlichte Hinweis, dass wegen Körperverletzung im Amt gegen Beamte ermittelt werde. Auch das NRW-Innenministerium wollte sich mit Verweis auf ein „laufendes Verfahren“ nicht äußern, berichtet Welt.

Am vergangenen Wochenende berichtet Welt-Investigativjournalist Tim Röhn dann beim Fernsehsender der Mediengruppe über den Fall. Die Behörden haben das Versagen vertuschen wollen, würden keine Fehler einräumen oder Besserung geloben. Dann schießt sich die Staatsanwaltschaft Düsseldorf auf ihn ein. Bald darauf kommt ein Brief: Die leitende Oberstaatsanwältin verlangt von der Welt-Redaktion Unterlassung.

Röhn und die Zeitung dürften etwa den Vorwurf der Vertuschung nicht wiederholen – ansonsten droht man mit „rechtlichen Maßnahmen“. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft wirkt wie eine Maulkorb-Taktik, um unliebsame Berichte zu unterdrücken und einen Journalisten mundtot zu machen. Die Welt verweigert die Unterzeichnung der Unterlassungserklärung.

Röhn sagt: „Was da passiert ist, muss auf den Tisch“ – von dieser Arbeit werde man sich auch nicht von einer drohenden Staatsanwaltschaft und Unterlassungserklärungen abbringen lassen. Dass die Staatsanwaltschaft scheinbar ihr Versagen und eine massive Grundrechtsverletzung durch ein Vorgehen gegen die Presse weiter verschleiern will – darin liegt ein ganz eigener Skandal.

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