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Editorial

Schäfer und Schläfer

Es sind noch fünf Wochen bis zur Bundestagswahl und eigentlich geht es um gar nicht viel. In Berlin ist alles wie immer, also murmelt man sich ein. Es wird alles gut.

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Die FAZ macht mit der Überschrift auf: „Wie der Hass das politische Klima vergiftet“ und man wird müde. Nehmen wir doch noch etwas Baldrian: Robert Habeck möchte irgendwas mit Sozialabgaben auf Aktien, denn Aktien sind böse. Olaf Scholz möchte auch mehr Belastung, aber nur für Privatversicherte, die sind auch böse und ohnehin schuld daran, dass die Krankenkassen pleite sind, das weiß jeder brave Deutsche. Die EU-Kommission kämpft gegen X, endlich, das ist jetzt ganz wichtig. 

Es sind noch fünf Wochen bis zur Bundestagswahl und eigentlich geht es um gar nicht viel. Lässt man die Welt einmal beiseite, dann kann ich es ja wirklich verstehen: Dann lesen wir das neue Buch von Robert Habeck und träumen von Fahrradwegen und denken darüber nach, wie schön er doch formulieren kann, dieser tiefsinnige Mann mit den traurigen Augen. Oder wie böse doch Elon Musk ist und die sozialen Netzwerke, die immer und immer wieder irgendetwas von Katastrophen oder Problemen ausspucken, die es aber doch gar nicht gibt, wie wir alle wissen. Das sind ja alles Populisten und Angstmacher da, diese unregulierten Massen, die uns nerven und stören, aber sie sind überhaupt nicht konstruktiv, das hilft auch alles gar nicht, kann man die abschalten? Oder wenigstens ein bisschen leiser drehen? 

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Ja, die Wirtschaft hat Probleme, es lief nicht alles toll, aber das weiß der Habeck ja auch, er hat auch viel gelernt, sagt er. Mit etwas UNTERHAKEN und ZUVERSICHT geht es ja dann auch bald schon wieder aufwärts. Und unterm Strich stehen wir doch auch ganz gut da, wer braucht schon Innovationen, wenn er den DGB hat oder die hochpräzise arbeitenden Behördenblöcke in Brüssel? Das reicht doch. Wenn bei VW ein paar Jobs wegfallen – hier können wir sie ja doch sowieso gut gebrauchen. 

DIE ZEIT versorgt uns mit einer neuen Überschrift: „Social Media ist tot“. Hier erklärt man uns, dass das Konzept von Instagram und Facebook „nie ganz aufgegangen“ sei. Ja, das stimmt schon, das wird sicher wieder vorbeigehen mit den sozialen Medien. Und dem Internet. Mit den Leserzahlen der ZEIT kann ohnehin keiner aus dem Silicon Valley mithalten, also vergessen wir das alles doch einfach. Es sind ja ohnehin überwiegend alles Bots da draußen, vermutlich. Wir müssen es nur noch kurz aussitzen – aussitzen, das macht Spaß. 

Hier in Berlin-Friedrichshain ist alles ja eigentlich in Ordnung: Kein Trump, kein Musk, kein – Gottseibeiuns – Milei, weit und breit. Keine Spur davon, dass der Wind sich dreht. Also murmeln wir uns ein, es wird schon alles vorbeigehen.

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Hier hängt ein Plakat gegen ein neues Hochhaus in Berlin, die neue Europa-Zentrale von Amazon. Vermutlich verbaut es die Aussicht einer Altbauwohnung eines Marketing-Kreativen bei der deutschen Rentenversicherung oder es ist irgendwas mit bösem Kapitalismus. Aber keine Sorge, liebe Freunde, auch das wird vorübergehen, schon bald wird niemand mehr Hochhäuser in Deutschland bauen wollen, wozu auch. Die Idylle wird überleben. 

Jetzt nochmal kurz die Augen zusammenkneifen und dann wird die AfD schon geschlagen, inhaltlich gestellt und eingebrandmauert und dann wird Friedrich Merz Kanzler oder Robert Habeck oder beide. Und dann werden wir irgendetwas Schönes machen, irgendein Gute-Wirtschaft-für-alle-Gesetz. Und dann sagt Merz dem Trump einmal richtig die Meinung, natürlich nicht direkt, sondern im Spiegel-Interview. Und dann wird alles gut sein. Vier Schäfchen, fünf Schäfchen, sechs Schäfchen. 

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