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Regierungsbildung in Frankreich: Macrons Premier will Sozialisten ins Boot holen

Frankreichs neuer Premierminister François Bayrou bastelt an einer neuen Regierung - eine „Himalaya-Aufgabe“ für den Zentristen, wie er es selbst nannte. Kommen bald Sozialisten an die Regierung oder bricht der Traum von Stabilität in Krisenzeiten gleich wieder?

Frankreichs neuer Premierminister: François Bayrou.

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Die politische Lage in Frankreich ist so chaotisch wie noch nie in der Fünften Französischen Republik. Am Donnerstag hat Emmanuel Macron den Zentristen François Bayrou als neuen Ministerpräsidenten Frankreichs bestimmt. Die Probleme seines abgewählten Vorgängers Michel Barnier bleiben an ihm haften: Für den 73-Jährigen wird es eine Mammutaufgabe, zwischen dem rechten „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen und dem Linksbündnis „Nouveau Front Populaire“ eine stabile Regierung zu bilden.

Noch schwieriger wird es für Bayrou, die notwendigen massiven Haushaltseinsparungen zur Bekämpfung der Finanzkrise durch die Nationalversammlung zu bringen. Weder das RN noch das linke „Nouveau Front Populaire“ zeigen bislang Bereitschaft, von ihren Forderungen, die nur geringe oder gar keine Einsparungen vorsehen, abzuweichen.

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Barnier scheiterte genau an dieser Haushaltsfrage. Die französische Verfassung ermöglicht es dem Premierminister, gemäß Artikel 49.3 den Haushalt auch ohne Abstimmung und Mehrheit in der Nationalversammlung durchzusetzen. Genau das versuchte Barnier am Montagnachmittag vor der Nationalversammlung. Der Haken ist: Ein so durchgesetzter Haushalt kann nur Bestand haben, wenn kein erfolgreiches Misstrauensvotum folgt. Genau das passierte. RN und das „Nouveau Front Populaire“ stimmten gemeinsam für seine Abwahl – vor allem, um den verhassten Präsidenten Emmanuel Macron abzustrafen – es war das wenig glamouröse Ende des Premiers.

Auch Bayrou droht ein ähnliches Schicksal. Der Gründer der zentristischen Partei „Mouvement démocrate“ (MoDem) und Bürgermeister der südwestfranzösischen Stadt Pau genießt in Frankreich den Ruf eines Vermittlers – vermutlich der Hauptgrund, warum Macron ihn nominierte. Der Präsident braucht dringend einen politischen Erfolg und einen verabschiedeten Haushalt, denn Neuwahlen zur Nationalversammlung kann er erst ein Jahr nach der Abwahl eines Premierministers ausrufen. Bis dahin muss das Land funktionieren – und das möglichst, ohne dass Macron einer der beiden politischen Hauptgegnerinnen, Le Pen oder Mélenchon, zu viele Zugeständnisse machen muss. Le Pen, die angesichts einer drohenden Strafe auf EU-Ebene womöglich bald kein Amt bekleiden darf, brennt der Wunsch nach dem Präsidentenamt unter den Nägeln, und auch die Gallionsfigur der französischen Linken, Jean-Luc Mélenchon, hegt Ambitionen auf das höchste Amt.

Für Bayrou gibt es derzeit drei Szenarien: Entweder er nähert sich einer der politischen Kräfte an, riskiert wie Barnier eine schnelle Abwahl über die Haushaltsfrage, oder er setzt auf seine Vermittlungsfähigkeiten. Während viele Beobachter ein Scheitern erwarten, gibt es Anzeichen, dass dem Zentristen ein überraschender Schachzug gelingen könnte.

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Warum nicht mit den Kommunisten?

Die Idee von Bayrou: Das linke Bündnis brechen. Denn das linke Nouveau Front Populaire ist zwar bei den Neuwahlen im Juni 2024 gemeinsam angetreten – eine Fraktion innerhalb der Nationalversammlung bildeten die vier Parteien aber nie. Ein Angriffspunkt für Bayrou. Die Sozialistische Partei zählt derzeit 66 Sitze, Les Écologistes (Grüne) haben 38 Sitze inne, die Kommunistische Partei Frankreichs zählt 17 Sitze – La France insoumise (LFI), die Partei von Jean-Luc Mélenchon, ist die größte Fraktion unter den linken Kräften mit 72 Sitzen und mit Abstand die gefährlichste für das Amt von Macron und die Karriere von Bayrou.

Bayrou will Mélenchons Partei von den übrigen linken Gruppen trennen, indem er diesen genug Zugeständnisse macht, damit sie einem Misstrauensvotum nach seinem Haushaltsvorschlag nicht zustimmen. Damit hätte Frankreich einen Haushalt und eine halbwegs stabile Regierung – ohne dass Bayrou mit Le Pen oder Mélenchon koalieren müsste.

Die Herausforderung: Bayrou müsste Sozialisten, Grüne und Kommunisten davon überzeugen, seine zentristische Regierung zu tolerieren. Einige Experten halten es sogar für möglich, dass Vertreter dieser Parteien Regierungsämter übernehmen könnten, falls Bayrou entsprechende Zugeständnisse macht.

Die Frage ist, wie weit Bayrou den Linken bereit ist, Angebote zu machen. Sozialisten an der Regierungsmacht? Ist das wirklich das, was er und Schirmherr Macron verantworten wollen, nur um nicht mit dem RN regieren zu müssen und Mélenchon zu entgehen? Und sind die Linken überhaupt bereit, irgendeine weitere Macron-Regierung mitzutragen, auch wenn sie dieses Mal einen stark linken Einschlag haben könnte?

Frankreichs Zukunft liegt auf dem Verhandlungstisch – der Weg der Linken geebnet?

Es sind Fragen, die wichtige Weichen für Frankreichs Zukunft stellen werden. Derzeit liegt alles auf dem Verhandlungstisch. Seit dieser Woche lädt Bayrou Partei für Partei in sein Amtsgebäude, das Matignon, ein, bis auf RN und LFI auch, um über die Bildung einer Regierung zu sprechen. Ob und wie das zukünftige Bündnis Frankreichs aussieht und ob es überhaupt eines geben wird, das wenige Wochen überdauern könnte, liegt jetzt also auf dem Verhandlungstisch dieses Gebäudes. Wie Frankreich sich aus der überbordenden Schuldenkrise retten will, hängt wohl von diesen Gesprächen ab.

Die Sozialistische Partei (PS) scheint sich in einer günstigen Position für eine Regierungsbeteiligung zu befinden, insbesondere da sie sich von der radikaleren LFI unter Jean-Luc Mélenchon zu lösen beginnt. Dies zumindest deutete Prisca Thevenot, Abgeordnete von Präsident Macrons Partei „Ensemble pour la République“, in einem Interview mit Sud Radio an. Auf die Frage, ob sie sich eine Koalition mit den Sozialisten vorstellen könne, antwortete sie ohne Zögern: „Warum nicht?“ Sie lobte die Sozialisten dafür, dass sie offenbar bereits begonnen hätten, „die Kontrolle über Mélenchons LFI abzuwerfen“. Sie fügte hinzu, dass sie sich sogar einen Bruch zwischen den beiden verbündeten Parteien „wünsche“.

Auch Maud Gatel, Generalsekretärin von Bayrous Partei MoDem, signalisierte Dialogbereitschaft. „Wir brauchen wirklich jemanden, der in der Lage ist, alle politischen Kräfte zusammenzubringen, die im Interesse unseres Landes handeln wollen“, erklärte sie in einem Gespräch mit Le Parisien. Bayrou sei ihrer Meinung nach genau die richtige Person für diese Aufgabe. „Es wird keine MoDem-Regierung sein, sondern mit sozialdemokratischen Frauen und Männern, Ökologen, der republikanischen Rechten, einer breiten Mitte, um eine Notstandspolitik von allgemeinem Interesse, aber keine MoDem-Politik zu machen“, so Gatel weiter.

Die Sozialisten selbst zeigten sich nach Gesprächen mit Bayrou zurückhaltend optimistisch. Olivier Faure, Erster Sekretär der Partei, sprach von „ernsthaften und herzlichen Gesprächen“. Obwohl ein förmliches Abkommen – etwa über eine Duldung der Regierung – noch nicht abgeschlossen sei, sehe man Fortschritte. „Wir haben viel über einen Nicht-Zensur-Pakt gesprochen“, gab Faure zu, „aber zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch kein Nicht-Zensur-Abkommen“, sagte er und fügte hinzu, dass „weitere Treffen stattfinden“ würden. Es müsse „vorwärts gehen“, kündigte der Sozialist an.

Das rechte RN kritisierte die Vorgänge: Was die Verfassung der Regierung angeht, äußerte Marine Le Pen gegenüber François Bayrou ihre „Vorbehalte“ gegenüber „einer bestimmten Anzahl von Persönlichkeiten“, ohne diese vor Journalisten namentlich nennen zu wollen. „Niemand darf auf eines der Instrumente verzichten, die uns durch die Verfassung gegeben wurden und zum normalen demokratischen Funktionieren gehören“, sagte die RN-Abgeordnetenführerin zur Möglichkeit, dass die Sozialisten bei einem Misstrauensvotum den Premierminister nicht abwählen würden.

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