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Netanjahu unter Druck: Was jetzt im Nahostkonflikt?

Am Samstag erlebte Israel seinen Elften September: Über 300 Tote und tausende Verletzte sind die traurige Bilanz der palästinensischen Terroroffensive. Ein Ende ist nicht in Sicht - und Israel ist zu entschiedenem Handeln gezwungen. Ein Aus- und Überblick.

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Israel ist im Krieg: Am Samstag wurde das Land von einer Invasion palästinensischer Terrormilizen völlig überrascht. Die Folge: Massaker in den Städten und Dörfern rund um den Gazastreifen. Israel ist erschüttert – und die Regierung um Ministerpräsident Netanjahu steht gewaltig unter Druck. Angesichts 300 toter Israelis und fortwährenden Angriffen steht der jüdische Staat im Feuer wie seit Jahrzehnten nicht. Genau genommen gibt es keine historische Äquivalenz zu dem, was am Samstag passierte – noch nie attackierten die Palästinenser Israel so durchschlagend und brutal effizient.

Wie konnte Israel überrascht werden?

Viele sprechen angesichts der Ereignisse von „Israels elftem September“ – und liegen damit nicht falsch. Schwer wurde die israelische Gesellschaft von dem Angriff erschüttert. Auch, weil der umfassende Sicherheitsapparat offenbar unfähig war, den Angriff vorauszusehen oder abzuwehren: Israel hat entlang der Grenze zum Gazastreifen einen massiven Zaun errichtet, der Infiltrationen verhindern soll. Er verläuft auch tief unter der Erde und ist mit Kameras, Hightech-Sensoren und empfindlicher Abhörtechnik ausgestattet. Jerusalems Geheimdienste sind bekannt dafür, herausragend effizient und über Vorgänge im Gazastreifen meist bestens informiert zu sein – die israelischen Frühwarnsysteme gelten als weltweit stärkste. Wie die Palästinenser all das überwinden und eine umfassende militärische Operation planen und organisieren konnten, wird in den kommenden Wochen zur heiklen Frage für Ministerpräsident Netanjahu und sein Kabinett werden. Klar ist: Israels Sicherheitsapparat hat versagt.

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Steht nach dem Versagen der Sicherheitsorgane unter Druck: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Bildquelle: U.S. Embassy Jerusalem via Wikimedia Commons

Doch die tatsächliche Tragweite der Geschehnisse steht noch nicht fest – auch, weil davon auszugehen ist, dass sie andauern werden. In der Nacht zum Sonntag reißt das Raketenbombardement nicht ab. Gegen 1:30 Uhr wurde ein Krankenhaus in der Stadt Aschkelon von palästinensischen Raketen getroffen. Die Region um die Großstadt im Nordosten des Gazastreifens ist zu dieser Zeit noch regelmäßigem Beschuss ausgesetzt. Die Eskalationsspirale wird sich wahrscheinlich weiterdrehen: Berichten zufolge hält Israel signifikante Truppen im Norden an der Grenze zu Libanon und Syrien vor. Ministerpräsident Netanjahu sprach am Samstag davon, Angriffe im Norden zu erwarten. In der Nacht kam es dort dann auch zu Raketenangriffen der Iran-nahen Terrorgruppe Hisbollah. Am Sonntagmorgen ist klar: Mit dem Terrorkrieg gegen Israel geht es gerade erst los.

Israel muss kompromisslos reagieren: Es geht um das Überleben von Staat und Regierung

Der israelische Ministerpräsident stellt den Kriegszustand fest, das Land wird mobilisiert. Ein Sprecher der israelischen Armee erklärt – auf Arabisch – dass die Hamas für den Gazastreifen „die Tore zur Hölle geöffnet“ habe. Für den Staat Israel ist es auch eine Existenzfrage: Das Leben seiner Bürger inmitten von Feinden zu schützen, ist dort die grimmige Kernaufgabe des Staates wie in kaum einem anderen Land. Die kompromisslose Rhetorik israelischer Politiker und Militärs hat Substanz – denn sie sind gezwungen, zu handeln. Ob Präventivschläge gegen die Hisbollah und andere Proxys des Irans in der Region, ein voller Einmarsch in Gaza oder gar auch im Südlibanon: Der Staat Israel muss und wird jetzt alles tun, um die Terroristen auszuschalten und das Land wieder zu sichern. Es ist für ihn existenzielle Notwendigkeit.

Ein schwer bewaffneter Polizist im südisraelischen Aschkelon. Die Stadt wurde schwer von palästinensischen Angriffen erschüttert.

In Gaza droht ein Blutbad für beide Seiten

Analysten fürchten bereits jetzt, wie brutal diese Notwendigkeit werden könnte. „Eine Bodenoffensive in Gaza wäre eine sehr ernste Angelegenheit“, meint der amerikanische Nahostexperte Aaron David Miller. „Es würde signifikante israelische Opferzahlen geben – und noch sehr viel mehr Opfer auf Seiten der Palästinenser.“ Israels Invasion des Gazastreifens wäre ein blutiges Unterfangen – urbane Gefechte zwischen IDF-Soldaten und Hamas-Terroristen in Gaza-Stadt sind aus gutem Grund ein Szenario, welches das israelische Militär seit Jahren stets zu vermeiden versucht. Eine unbekannte Zahl von israelischen Geiseln dient darüber hinaus in ganz Gaza als menschliche Schutzschilde, um israelische Gegenangriffe zu verunmöglichen: „Was den Menschen im Gazastreifen passiert, wird auch den Geiseln passieren“, drohen Terroristenvertreter laut palästinensischen Medien.

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Auch wirtschaftlich ist ein langer Krieg eine enorme Herausforderung für Israel: Der ökonomische Schaden für das Land nach den Kämpfen der zweiten Intifada, dem bisher größten israelischen Militäreinsatzes in den Autonomiegebieten der jüngsten Zeit, war bereits immens: Insbesondere durch den drastischen Rückgang des Tourismus beliefen sich die Verluste nach Schätzungen der israelischen Handelskammer auf 35–45 Milliarden US-Dollar, verglichen mit einem BIP von 122 Mrd. US-Dollar im Vorjahr. Der wirtschaftliche Schaden eines nun viel umfangreicheren Einsatzes wäre wohl nochmal um einiges höher. Israel muss aufgrund seiner geringen Einwohnerzahl seine gesamte Bevölkerung mobilisieren – das wirtschaftliche Leben liegt brach. Ein andauernder Einsatz im Gazastreifen oder darüber hinaus könnte für die Israelis bald schwer bezahlbar werden.

Drahtzieher Iran: Das Mullah-Regime steht hinter den Angriffen

Die Angriffe der Terroristen aus Gaza hatten eine neue Qualität: Was die Palästinenser am Samstag praktizierten, war offensiver Bodenkrieg. Bisher beschränkten sich die Angriffe der islamistischen Milizen in Gaza auf Raketenbeschuss und das Einschleusen von einzelnen Attentätern. Am Samstagmorgen hingegen durchbrachen taktisch organisierte Einheiten systematisch Grenzbarrieren am gesamten Gazastreifen und besetzten bedeutende Teile Südisraels. Für die Palästinenser ist das ein bisher unbekanntes Level an militärischer Fähigkeit. Auch dass israelische Geheimdienste von den Angriffen scheinbar völlig überrascht wurden, spricht dafür, dass sie nicht in Gaza geplant und organisiert wurden. Auch, wenn es noch keine felsenfesten Beweise gibt: Es ist davon auszugehen, dass die Drahtzieher des Angriffes in Teheran sitzen. Der Iran erklärt sich nicht nur offen solidarisch mit den Attacken – Bilder zeigen auch, dass die Hamas-Terroristen immer wieder iranische Waffen und Ausrüstung einsetzen. Es gibt also Grund zur Annahme, dass die radikal-islamischen „Revolutionsgarden“, die fundamentalistische Elitetruppen der islamischen Republik, sich als der Kopf hinter der gesamten Operation gegen Israel entpuppen werden.

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