Über prägende Persönlichkeiten der Weltgeschichte wird oft gesagt, sie würden eine Art Gravitationsfeld der Illusionen um sich aufbauen; die Realität wird in ihrer Nähe gekrümmt. Über Steve Jobs wird gesagt, er habe das iPhone nur dadurch erschaffen können, dass er permanent Dinge, die niemals funktionieren konnten, für möglich erklärte, um dann die Hälfte davon tatsächlich zu erreichen. Hitler überzeugte seine Getreuen noch von der Einsatzbereitschaft 1000 modernster Strahljäger, da standen die Russen wenige Kilometer vor der Reichskanzlei. Auch Angela Merkel hatte in gewisser Hinsicht ein solches Feld gespannt, zumindest über das politische Berlin – jetzt hält sie dem Land den Spiegel vor.
Sie hat ein Buch geschrieben. Bisher ist nicht viel bekannt, außer dem Cover. Und kein Cover hätte ihre Amtszeit besser treffen können. Das leere Strahlen in den Augen, überblendet, verblendet. Überschminkt und dann noch gephotoshoppt, alles leicht übersättigt, wie auf Werbefotos aus den 80ern. Merkel trägt Mittelblau vor mittelblauem Grund. Kragenform Kim Jong-un. Und sie grinst irgendwie. Die Mundwinkel sind angezogen, perfekt in Position, irgendwie passt alles, aber ein Lächeln ist da doch nicht. Als wäre es KI generiert. Die Mona Lisa im sozialistischen Realismus.
Freiheit nennt sich dieses Buch. Irgendwie fühlt es sich auch an wie eine späte Rache. Als würde Merkel denjenigen, die all die Jahre ihre Politik schönredeten, noch sagen wollen: Haha! Am selben Tag der Ankündigung des Buches tritt sie bei der Veranstaltung zur Verabschiedung von Jürgen Trittin auf. Hallooooo sagt sie großmütterlich in die Kamera. Teilnehmer berichten, sie habe in einer Rede bedauert, dass es nicht schon 2013 zu einer schwarz-grünen Koalition kam. Über Trittin sagte sie, als Umweltminister habe er „tiefe Spuren hinterlassen“. Das soll wohl ein Kompliment sein, doch in der ihr typischen Formulierungsweise schwingt trotzdem alles mit – tiefe Spuren der Verwüstung.
Was blieb schon von Merkel – darüber wurde genug geschrieben: rückgängig gemachte Wahlen, Abhängigkeit von Autokratien, Grundrechts-Demontage im Namen der Gesundheit, Bruch aller europäischen Prinzipien, Ausverkauf der deutschen Wirtschaft. Leben von der Substanz, kurz bevor dieses System kollabierte, verschwand sie quasi spurlos. Jetzt ist sie erstmals wieder öffentlich zurück.
Sie hat keine Ahnung, was Freiheit ist
In der CDU ist man sich immer noch über 16 gute Jahre einig. Veranstaltungen ihrer Partei bleibt Merkel derweil fern. Nicht mal Wolfgang Schäuble wollte sie die letzte Ehre erweisen. Merkel hat ihre Partei abgewirtschaftet, dennoch schafft sie es, sich schneller von ihr abzuwenden als die Partei von ihr. Und was zurückbleibt, sind die Menschen, die sich in Merkels merkwürdigem Gravitationsfeld eingenistet hatten. Die von Führerin der freien Welt schwadronierten, als Merkel das westliche Bündnis wegen Trump aufbrach. Die von Besonnenheit sprachen, als sich während Corona der Wahnsinn Bahn gebrochen hat. Die Charme in einer hilflosen Raute suchten und sie zum Markenzeichen umdeuteten. Die sich in den Händen prinzipienfreier Machtpolitik geborgen fühlten.
Und jetzt kommt Merkels hintergründige Rache. Freiheit. Das ist schon ein Schlag ins Gesicht, eine Andeutung am Horizont der Geschichte.
Merkel schreibt in diesem Buch: „Was ist für mich Freiheit? Diese Frage beschäftigt mich mein ganzes Leben. Natürlich politisch, denn Freiheit braucht demokratische Bedingungen, ohne Demokratie gibt es keine Freiheit, keinen Rechtsstaat, keine Wahrung der Menschenrechte. Die Frage beschäftigt mich aber auch noch auf einer anderen Ebene. Freiheit – das ist für mich, herauszufinden, wo meine eigenen Grenzen liegen, und an meine eigenen Grenzen zu gehen. Freiheit ist für mich, nicht aufzuhören zu lernen, nicht stehen bleiben zu müssen, sondern weiter gehen zu dürfen, auch nach dem Ausscheiden aus der Politik.“
Kurz gesagt: Sie hat keine Ahnung, was Freiheit ist. Bemerkenswert, nachdem man ein Buch darüber geschrieben hat. Das ist wohlgemerkt die vom Verlag zur Vorbewerbung veröffentlichte zentrale Passage des Buches. Belangloser kann man kaum formulieren. Immer wieder denkt man sich: Das kann gar nicht ernst sein. Wird es immer noch Hauptstadtjournalisten geben, die sich das schön formulieren?
Merkel sagte in ihrer Karriere einen einzigen Satz, der tiefsinnig klingt – dass sie bekanntlich alles vom Ende her denkt. Und natürlich könnte nichts falscher sein. Denn das jetzt ist nun wirklich das Ende Ihrer Karriere, das Finale. Und was ist da? Kein Gedanke, keine Formel, kein Vermächtnis. Eine einfache Wahrheit, die so viele so lange nicht sehen wollten. Bis zum bitteren Ende. 16 gute Jahre. Pure Illusion, ein Feld der Realitätsverzerrung, das gut zwei Jahre nach ihrem Abtritt betrachtet unglaublich wirkt.
Das ist das, was dieses Merkel-Comeback uns zeigt: Es zeigt uns, wie sie immer war – nur jetzt ohne den Nimbus der Macht, die Illusionen und Mythen. Und man bleibt fassungslos, ratlos zurück, wie so jemand dieses Land so lange prägen konnte. Eine bemerkenswerte Selbstentzauberung zum Schluss. Unter hinter all den Schichten Schminke, der Unschärfe und diesem Lächeln? Der Blick ins Nichts.
Sie haben brisante Insider-Informationen oder Leaks? Hier können Sie uns anonyme Hinweise schicken.
Danke für die sehr gute Analyse.
Die Abrissbirne aus der Uckermark, die erste Kanzlerin der Grünen mit CDU-Parteibuch und die meist überschätzte Politikerin Deutschlands.
Für mich persönlich eine Hochverräterin.
Der Artikel ist gut und richtig, ABER zum ersten mal wurde mir beinahe übel, als ich „Apollo News“ angeklickt habe.
Sich diese Visage in Großformat anschauen zu müssen, ist eine Zumutung.
Mir völlig unverständlich, wie immer noch 30 Prozent diesen Speichelleckerverein CDU wählen wollen.
Die Medien haben alle mitgemacht und Sie zu dem erhoben, was Sie war.
Was sollen die Bürger mit einem Buch einer Kanzlerin, die es geschafft hat eine DDR ähnliche Republik aus Deutschland zu machen.
Die Grünen sind ihre Lieblinge und ihre Partei hat „Mutti“ zu einer Blockpartei gemacht. Merkel hat Deutschland geschadet und muss ihr Versagen auch noch beschreiben. Wer dieses Buch kauft dem ist nicht mehr zu helfen.
Wow, was für ein großartiger Artikel. Hut ab.
Wurde wohl gleich für den Grabbeltisch produziert.
… alles vom Ende her denkt.
Dazu passend: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat ein Buch über den Zusammenhalt in Staat und Gesellschaft geschrieben. „Wir“