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„Finanzierungslücke“

Mega-Papier der EU-Kommission: Zusätzliche Ausgaben in Höhe von 420 Milliarden Euro pro Jahr

In einem Analysepapier fordert der ehemalige italienische Premierminister eine Reform des EU-Binnenmarkts. Die EU solle staatliche Investitionen in Milliardenhöhe vornehmen. Auf Deutschland könnten zusätzliche Ausgaben an die EU in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro zu kommen.

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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich hatte den ehemaligen italienischen Premierminister Enrico Letta im vergangenen Jahr beauftragt, ein grundlegendes Reformpapier zur Zukunft des EU-Binnenmarkts anzufertigen. Letta ist zudem Präsident des Jacques Delors Instituts. Delors fertigte in den 1980ern einen Bericht zum Binnenmarkt an, in welcher er die Vereinheitlichung des Wirtschaftsraums propagierte. Seine Ideen gaben Anstoß für die Maastrichter Verträge und die Einführung des Euros. Letta selbst scheint sich nun in der Tradition Delors zu wähnen. In dem Papier fordert der ehemalige italienische Premierminister die „Vollendung“ des Binnenmarkts.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, erklärte Letta. Um den Binnenmarkt zu stärken, sei die Schaffung der Kapitalmarktunion unumgänglich. Diese könne im Konkurrenzkampf mit China und den USA ein „echter Gamechanger“ sein, so Letta. Unter dem Stichwort der europäischen Kapitalmarktunion wird die Harmonisierung von Regelungen, insbesondere im Insolvenz- und im Steuerrecht verstanden. Letta zufolge könne man so die Investitionen in Europa erheblich erhöhen. Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi erklärte erst kürzlich, dass Europa 600 Milliarden Euro private Investitionen pro Jahr benötige, um in den Bereichen Klima, Digitales und Verteidigung voranzukommen.

Aktuell würden große Hindernisse für Kapitalmarktgeschäfte zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bestehen, so Letta. Vielmehr sei die USA regelmäßig attraktiver für Investitionen. „Rund 300 Milliarden Euro fließen deshalb aus der EU in die USA. Dieses Geld brauchen wir aber für Investitionen in Europa“, so der ehemalige Premierminister Italiens. In Europa müsse man nun „einen Werkzeugkasten entwickeln, um die faire, grüne und digitale Transformation hinzubekommen“, fordert Letta. Man müsse deswegen anstreben, die Regelungen innerhalb der EU zu harmonisieren und den Zugang von Unternehmen zu Kapitalmarktfinanzierungen zu erleichtern.

Wie jedoch diese Harmonisierung von Regelungen und die gemeinsame Bankenhaftung Europa konkret attraktiver machen sollen, bleibt im Unklaren. Schon die Etablierung der Bankenunion wurde mit einer höheren Investitionsattraktivität für Europa begründet. Dennoch wurde die EU in den vergangenen Jahren von den USA wirtschaftlich abgehängt. Neben der Kapitalunion zielt Letta in seinem Strategiepapier vor allem auf eine gemeinsame Industriepolitik.

„Angesichts des starken globalen Wettbewerbs müsse die EU ihre Anstrengungen verstärken, um eine wettbewerbsfähige Industriestrategie zu entwickeln“, so Letta. Die Kombination aus hohen Zinsen, steigenden Energiepreisen und beträchtlichen Subventionen aus den USA und China stellt eine zunehmende Gefahr für die industrielle Leistungsfähigkeit Europas dar. Die Europäische Union „kann und darf seine industrielle Führungsrolle nicht an andere abtreten“, so der ehemalige italienische Premierminister weiter.

Ein Beitragsmechanismus, der Deutschland endgültig zum Zahlmeister macht

Dafür brauche es erhebliche staatliche Ausgaben auf EU-Ebene. Das Wort Euro-Bonds, also die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Aufnahme von Schulden, vermeidet Letta. In seinem Papier zielt er de facto jedoch darauf ab. Demnach soll die EU mittels öffentlicher Ausgaben in die Industrie investieren. Insgesamt müsse die europaweite Finanzierungslücke geschlossen werden, so Letta. Diese beläuft sich nach Schätzungen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) auf 300 bis 420 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspricht 2,1 bis 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU. „Die Frage ist nicht mehr, ob Europa diese Ziele erreichen wird, sondern wie“, heißt es in dem Papier.

Konkret erklärt Letta: „Eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu überwinden, könnte darin bestehen, ein Gleichgewicht zwischen einer strengeren Durchsetzung staatlicher Beihilfen auf nationaler Ebene und einer schrittweisen Ausweitung der finanziellen Unterstützung auf EU-Ebene herzustellen“. Und weiter: „Konkret könnten wir uns einen Beitragsmechanismus für staatliche Beihilfen vorstellen, der von den Mitgliedstaaten verlangt, einen Teil ihrer nationalen Mittel für die Finanzierung europaweiter Initiativen und Investitionen bereitzustellen“.

Auf nationaler Ebene ist das Betreiben von Industriepolitik EU-weit strengen Regulierungen unterworfen. Die EU gibt vor, damit verhindern zu wollen, dass sich wohlhabendere Länder wie Deutschland mittels öffentlicher Investitionen einen Vorteil verschaffen. Vielmehr sei es vonnöten, dass sich die europäischen Volkswirtschaften aufeinander zu bewegen. Tatsächlich ist sowohl die Verschuldung als auch das Haushaltsdefizit in vielen anderen europäischen Staaten noch größer als in Deutschland.

Über einen neuen Beitragsmechanismus soll Deutschland also abermals zum Zahlmeister auserkoren werden. Derzeit beträgt der deutsche (Brutto-) Beitrag zum EU-Haushalt rund 24 Prozent. Bei geforderten Investitionen von bis zu 420 Milliarden müsste Deutschland also zusätzliche 100 Milliarden Euro pro Jahr an die Europäische Union zahlen.

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