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Konservativer Kollaps

Merz und die CDU haben die fundamentale Wende im Parteiensystem verschlafen. Die Union will „Volkspartei der Mitte" bleiben - in einem System, dass Volksparteien nicht mehr kennt und in dessen „Mitte" nur tote Fische schwimmen. Das ist ihr politisches Todesurteil.

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Es hat bei Merz mittlerweile schnöde Regelmäßigkeit: Der CDU-Parteichef tritt in einer Sendung auf und, so wirkt es, lässt seine Emotion mit sich durchgehen. Er sagt einen Satz, der für Empörung sorgt. Am nächsten Tag will er dahinter zurückgehen, verheddert sich, stürzt.

Diesmal war es die Geschichte vom Zahnarzt. In einer Migrationsdebatte beim Sender Welt sagte Merz mit Blick auf die Leistungen für Asylbewerber: „Auch die Bevölkerung, die werden doch wahnsinnig, die Leute. Wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber, die abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen, die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“

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Der erwartbare Shitstorm war perfekt. Es sei Hetze, Lüge, Populismus, was Merz da sage, tönt es direkt auch den Social-Media-Blasen und medialen Debattenräumen der Republik. Faktenfreies Gepolter sei es, was der CDU-Parteichef da veranstalte. Und was machen Merz und die CDU? Sie ziehen sich eilig zurück – und stolpern beim Weglaufen vor sich selbst über ihre eigenen Füße. Die Partei zensiert ihren Vorsitzenden, löscht die Aussagen von der eigenen Website. Nur, um dann vor den wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Bayern doch nochmal die Reihen zu schließen und sich einmal geschlossen hinter den Vorsitzenden zu stellen.

Ein konservativer Pappkamerad, der jedes mal umfällt

Zu Merz‘ Auftritt lässt sich sagen: Ja, das ist Gepolter. Aber so kann man auftreten, wenn man ein ordentliches „Jawoll“ des sprichwörtlichen Stammtisches mitnehmen will – das geht. Das ist auch legitim. Was nicht geht: Immer wieder einen Spruch raushauen, den man dann mit ein, zwei Tagen Verzögerung wieder reumütig einkassiert. Merz steht längst als hohle Pappfigur eines Konservativen da: Dahinter steckt nichts.

Poltern, um dann wieder zurückzustecken: Das ist Merz-Prinzip. Vor ziemlich genau einem Jahr schimpfte Merz über einen „Sozialtourismus“ von Ukraine-Flüchtlingen. Es kam zum Aufschrei – Merz zuckte zurück und erklärte, er bedaure die Wortwahl. Im ZDF-Sommerinterview öffnete der CDU-Chef sich deutlich für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Es kam zum Aufschrei – Merz erklärte, er habe das nie gesagt und sei gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD. Jetzt der Zahnarzt-Satz, der wieder zeigt: Merz hat keine Kraft, eine Linie gegen den Empörungssturm der Linken zu halten. Der konservative Pappkamerad fällt um – immer.

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Die CDU verliert den Kampf ums eigene Überleben

Das zeigt auch der Fall Andreas Rödder: Der Historiker wurde von den Merkel-Granden der Partei aus seiner Rolle als Chef der CDU-Grundwertekommission herausgeekelt. Merz schützte den Konservativen nicht, sondern drosch auch noch selbst auf ihn ein. Die Grundwertekommission unter Rödders Führung wäre vielleicht die wichtigste Säule für eine konservative Wende in der Partei gewesen – ein kleiner Sprössling konservativer Kraft aus Überzeugung. Doch er wurde in der Partei abgeurteilt, weil er Überlegungen zu Regierungen mit Stimmen der AfD anstellte. Minderheitsregierungen der CDU in den ostdeutschen Bundesländern mit Tolerierung durch die AfD – darum wird die Union nicht herumkommen, wenn sie zwischen Elbe und Oder nicht in totaler Bedeutungslosigkeit versinken will. Rödder sprach das Unausweichliche aus. Denn was die CDU noch immer nicht verstanden zu haben scheint: Es geht nicht mehr um die AfD und das für und wider im Verhältnis zu ihr. Es geht längst um das politische Überleben der CDU.

Dass die Zeiten der großen Volksparteien vorbei sind, ist mittlerweile politisches Allgemeinwissen – schon seit Jahren käuen Politikwissenschaftler diese simple Beobachtung immer wieder. Die Union jedoch hat darauf bis heute keine Antwort gefunden – obwohl genau diese Entwicklung sie in ihrer Existenz bedroht. CDU und CSU, als große Sammlungspartei des konservativen Mitte-Rechts-Spektrums konzipiert, ist ein Produkt des bundesrepublikanischen Parteiensystems, ein Kind des alten Bonns. Ihre Daseinsberechtigung im politischen Spektrum fußt auf Grundsätzen, die immer weniger gelten.

Das alte Parteiensystem geht unter – und die Union mit ihm

Rechts von der Union darf es in der Demokratie keine politische Kraft mehr geben – das war mal Wahlspruch und Erfolgsmodell von CDU und CSU. War. Heute sieht es ganz anders aus: AfD, Freie Wähler, und diverse Parteineugründungen im rechten Spektrum haben das Zeug, die CDU zu beerdigen. Und was macht die Partei? Sie macht rechts noch mehr Platz frei.

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Noch immer hängen die Funktionäre in der politischen Vergangenheit fest. Sie sind in einem Parteiensystem verhaftet, das nicht mehr lebt: Ein System, in dem Wahlen in der „Mitte“ gewonnen wurden und ein paar Wechselwähler zwischen SPD, FDP und Union die Entscheidungen um die Kanzlerschaft fällten; in dem Parteien quasi unverrückbare Stammplätze hatten und allenfalls ab und an mal Rang eins und zwei miteinander tauschten. Doch dieses Parteiensystem ist schon tot – es geht unter. Und die CDU schickt sich an, mit ihm unterzugehen.

Das zeigt beispielhaft der Freistaat Bayern. Selbst dort, wo die CSU einst unangefochtene Alleinherrscherin war, hat sich das parteipolitische Feld fundamental gewandelt. Die Christsozialen herrschten im Freistaat einst regelmäßig mit absoluter Mehrheit – jetzt halten sie sich noch bei 36 Prozent. 31 Prozent der Wähler stehen nun rechts der CSU, bei AfD und Freien Wählern. Früher wären das CSU-Wähler und die insgesamt 67 Prozent eine solide Zweidrittelmehrheit in den Händen der CSU gewesen. Eine glaubhaft konservative Union hätte eine solche Konkurrenz gar nicht. Der Abstieg der CSU in Bayern zeigt, was den Unionsparteien bundesweit droht: Unehrliche, weiche Politiker und eine Partei ohne wirkliches politisches Profil verlieren ihren Stammplatz im Parteienspektrum irgendwann.

Die CDU steht nicht mehr am Scheideweg – eigentlich hat sie die Weggabelung schon verpasst. Friedrich Merz hätte die Chance gehabt, die CDU neu auszurichten und für die Zukunft fit zu machen. Er hat sie verschlafen, war nicht stark genug, diese Neuausrichtung durchzusetzen. Das einzige, was bleibt, ist ein neues Corporate Design und ein neues Logo für die CDU – in dem von den drei schwarz-rot-gelben Balken der schwarze bezeichnenderweise der Kleinste ist.

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