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Journalisten sind wie Frauen, nur schlimmer

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

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Elisabeth Sparkle ist ein in die Jahre gekommenes Hollywood-Sternchen, mit ihrer eigenen Aerobics-Show „Sparkle your life with Elisabeth“. Doch ausgerechnet an ihrem 50. Geburtstag erfährt sie durch einen Zufall, dass sie durch eine jüngere, hübschere, frischere Frau ersetzt werden soll. Harvey, der Manager der Sendung, kann eh nicht glauben, wie eine „Oma“ wie sie sich so lange halten konnte. 

Beim Lunch, während er in Cocktail getränkte Garnelen in sich hineinfraß, offenbart er es ihr offiziell. Sie ist ausrangiert. Doch dann steckt ihr jemand einen USB-Stick mit der Aufschrift „The Substance“ – die Substanz – zu. Die Substanz verspricht ewige Jugend. Nimmt man an dem Programm teil, wird mit der Verabreichung nur einer Spitze ein zweites jüngeres Ich aus dem eigenen Körper erzeugt. Danach kann man ein Doppelleben führen, in dem man wöchentlich zwischen den beiden Körpern hin und her wechselt. 

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In der Woche, in der man im Körper des jungen Ichs lebt, muss man den alten, bewusstlosen Körper mit einer Food Matrix ernähren und für sich selbst eine Stabilisator-Substanz aus dem Körper entziehen. Nach einer Woche muss man wie Cinderella um Mitternacht in das alte Leben zurückschlüpfen. 

Elisabeth will zunächst nichts davon wissen, doch jedes Mal, wenn sie in den Spiegel schaut, sieht sie das sichtbare Alter, über das auch ihre langen schwarz gefärbten Haare nicht hinwegtäuschen können. Also willigt sie doch ein. In ihrem Badezimmer verabreicht sie sich die Substanz. Und aus ihr entsteigt Sue. Sie hat große Augen, einen vollen Kussmund, weiche glatte Porzellanhaut und einen perfekten Körper. Sie ist perfekt.

Sue bewirbt sich auf die Stelle, die nach Elisabeths Rausschmiss freigeworden ist. In ihren Aerobics-Videos streckt sie ihren perfekten runden Po in die Kamera, auf der Straße schauen ihr alle hinterher, ihr Leben ist perfekt – für eine Woche. Es dauert nicht lange, bis sie ihr altes Leben nicht mehr will – und ihre strikten Wochenwechsel überzieht, trotz der schweren und schmerzhaften körperlichen Effekte, die die Störung dieses Gleichgewichts auf beide Versionen von ihr hat. 

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Die beiden Versionen sind nicht mehr eins. Ihr junges Ich verabscheut ihr altes Ich, reißt alle Porträts von ihrem alten Leben aus ihrer Wohnung und ersetzt sie mit Großaufnahmen ihres perfekten neuen Körpers. Ihr altes Ich ist derweil ganz zerfressen vor Neid auf das junge Ich. Die beiden beginnen, sich gegenseitig zu zerstören. Elisabeth, indem sie ihren Frust in sich hineinfrisst und keine gesunde Substanz mehr für die Aufrechterhaltung von Sue produzieren kann. Sue, indem sie ihre Zeiten überzieht und Elisabeth zu sehr als Spender für ihre Substanz überlastet, wodurch sie beginnt, rasant zu altern.

Elisabeths Haar ist rau, grau und verzaust, sie ist ungepflegt, sieht aus wie eine Hexe, mit Buckel und zerbrochenem Kniegelenk. So hinkt sie im Dunkeln durch ihre Wohnung, als sie im Fernsehen die Ausstrahlung des Talkshowauftritts von Sue sieht. Sie sei der perfekte Ersatz für Elisabeth, schmeichelt ihr der Host – ach die alte Sendung? Die hat Sue gar nicht gesehen, das ist mehr was für alte Frauen. Ihr Geheimnis für ihre Schönheit? Einfach sie selbst sein. Elisabeth ist außer sich. Sue, dieser billige Abklatsch von ihr, hat ihr alles gestohlen und verleugnet sie auch noch.

Die beiden versuchen sich gegenseitig zu töten, schlussendlich sterben sie beide an den Nebenwirkungen der Substanz. Der aktuell gehypte feministische Body-Horrorfilm mit Demi Moore in der Hauptrolle der Elisabeth Sparkle soll die unerreichbaren Schönheitsideale darstellen, die Frauen an sich stellen und die an sie gestellt werden. Er zeichnet die Angst, die junge Frauen vor dem Altern haben und den Neid, den alte Frauen auf die Jugend haben. 

Doch wer glaubt, dass dieser Neid nur in der Frauenwelt auftritt – Stichwort Stutenbissigkeit – hat noch nie einen Journalisten kennengelernt. In der vergangenen Woche haben wir eine unserer größten Recherchen unseres noch sehr jungen Online-Magazins veröffentlicht. Ausgerechnet den Chef eines Landesverfassungsschutzes haben wir uns vorgenommen, als ob unsere Mütter sich nicht schon genug Sorgen um uns machen würden.

Jeder kennt die 20:15 Uhr Krimisendungen, CSI, NCIS, NYPD – zwei Klicks und man kann Telefone abhören, Chatnachrichten lesen, Wanzen drapieren. Wir haben uns die schlimmsten Dinge ausgemalt, die der Geheimdienst sich ausdenken könnte, sobald er weiß, was wir wissen. Das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes war ein schwacher Trost, die unterschwellige Angst vor einer Hausdurchsuchung in den Redaktionsräumen oder Zuhause blieb doch. Am besten jeden Anruf von anonymen Nummern aufnehmen? An dem Tag, an dem wir die Anfragen an alle Beteiligten rausschickten, legten wir natürlich alle frisch gewaschen unsere schönsten Pyjamas bereit. 

Doch aus der Politik und aus dem Verfassungsschutz kam – nichts. Man dementierte nichts, äußerte sich nicht und stellte sich tot. Wer uns angriff: unsere Kollegen. Die einen wollten es nicht bringen, die anderen ließen sich gaaaaaaaaanz lange Zeit, um das Ganze zu überprüfen. Keine Ahnung, was sie da überprüft haben – vielleicht starrten sie eine Woche lang die Buchstaben auf ihrem Bildschirm an, um einen Kommafehler zu finden, mit dem sie zu ihrem Chefredakteur rennen können, weil dieser Wisch ja offensichtlich von ahnungslosen Kindern geschrieben wurde, nichts, was ein ernstzunehmendes Medium aufgreifen sollte.

Dann gab es da noch die, die nicht ganz die Balance fanden zwischen einerseits //völliger Schwachsinn, das erwachsene Leben ist kein Actionfilm// – und //das wusste man in der Szene alles schon, süß, dass ihr das jetzt auch erfahrt//. Dann gab es noch die, die unsere ganze Recherche diskreditierten, weil unsere Doku zu spannend gestaltet ist – äh danke? Und die, die, die sich einen Absatz aus der seitenlangen Recherche herauspickten, in der wir bereits bekannte Hintergrundinformationen als Kontext zum besseren Verständnis anbrachten, um dies zum Anlass nehmen, zu behaupten, die gesamte Recherche wäre ja Schnee von gestern.

Schlussendlich mussten sie die Recherche dann doch alle aufgreifen. Es braucht sich aber auch niemand wundern, weshalb Politiker heutzutage mit so vielen durchkommen. Denn bis man über eine Recherche von diesem „Apollo News“ berichtet, schaut man doch lieber, ob man das nicht doch noch zerredet bekommt.Das einzig Positive, das man über den Vibe in der Journalismusbranche sagen kann, ist wohl, dass etablierte Journalisten – bei allem Neid auf den Hype – niemals The Substance nehmen würden. Denn in WordPress schreiben? Im Ernst? Lieber schreibt man irgendeine komische Kolumne mit einem Titelbild von sich selbst, wie man versucht, total intellektuell und interessant auszusehen. Mit einem Martiniglas in der Hand oder so. Irgendwas, das am Wochenende kommen kann, wenn die Redaktionen kaum besetzt sind und alles nehmen, was sie kriegen können. Irgendwas, für das man nicht recherchieren muss, um ja nicht bei jemandem abschreiben zu müssen.

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