Auf der politischen Rechten schätzen viele Putin und Russland. Das vor allem aus dem diffusen Gefühl heraus, der Despot und sein Staat wären so etwas wie „Bewahrer der christlichen Zivilisation“. Das liest man immer wieder, etwa, wenn auf den Unterschied zwischen dem „woken Westen“ und dem „traditionell-christlichen Russland“ verwiesen wird. Der konservative US-Politiker Pat Buchanan schrieb schon vor Jahren: „Im Kulturkampf um die Zukunft der Menschheit stellt Putin die russische Flagge fest auf die Seite des traditionellen Christentums.“ Eine Haltung, die viele in der amerikanischen und auch der globalen, christlichen Rechten teilen: Putin als Verteidiger des Abendlandes, gegen Woke-Wahn und vor allem gegen Islamisierung.
In der Realität sieht all das anders aus. Wer Putin als Verteidiger des Abendlandes sieht, würde bei einem Moskau-Besuch ziemlich überrascht werden: Mitten in der Stadt thront eine goldene Kuppel und ein großes Minarett. Es handelt sich um die Jumah-Moschee. Mit ihrer 46 Meter hohen Kuppel und ihren großen Minaretten ist sie im Stadtbild Moskaus unübersehbar. Zu dem Komplex gehören mehrere Gebets- und Konferenzräume, ein Hotel sowie Bibliotheken. Eine Art riesige Islam-Zentrale, mitten im so christlichen Moskau?
Die Moschee ist auch kein historisches Gebäude, etwa ein Überbleibsel aus der Tartarenzeit oder ähnliches: Sie wurde 2015 eröffnet, durch den russischen Präsidenten selbst. Die muslimischen Geistlichen überschütteten ihn damals mit Lob für seine Offenheit gegenüber dem Islam: „Vor mehr als 10 Jahren hat unser nationaler Führer Wladimir Putin Russland ein auch muslimisches Land genannt, als erster Führer in der Geschichte unseres Staates“, feierte der Vorsitzende des russischen Muftirates den Machthaber damals.
Putins Liebeserklärung an den Islam
Der revanchierte sich beim Mufti für diese Liebeserklärung mit einer Eröffnungsrede, die fast einer Liebeserklärung an den Islam gleicht. „Der traditionelle Islam ist heute ein unabdingbarer Teil des geistigen Lebens in unserem Land. Seine humanistischen Werte lehren die Menschen – wie auch die Werte anderer traditioneller Religionen – Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Wir alle schätzen das sehr“, sagte Putin damals, 2015. Und weiter: „Es ist wichtig, dass die muslimische Jugend zu traditionellen muslimischen Werten erzogen wird. Und dass Versuche unterbunden werden, uns fremde Weltsichten aufzuzwingen, die nichts mit dem echten Islam zu tun haben.“ So eine Liebe für den „traditionellen Islam“ hat in Deutschland noch keiner, nicht mal der ehemalige Bundespräsident Christian „der Islam gehört zu Deutschland“ Wulff ausgedrückt.
Präsident Putin hebt oft die Bedeutung des Islam für Russland hervor: Russland sei ein multinationales und multireligiöses Land, und Europa könne, was das Zusammenleben angehe, von Russland lernen. Bei einer Rede zitierte er sogar Experten, die meinten, die russische Orthodoxie sei dichter am Islam als am Katholizismus. Der Islam ist in Russland auch staatlich geadelt: Das Gesetz über „Die Freiheit des Gewissens und die religiösen Gemeinschaften” vom 26. September 1997 legt fest, dass Christentum, Islam, Judentum und Buddhismus untrennbare Teile der russischen Geschichte, der Spiritualität und der Kultur des Landes darstellen.
Muslime in Russland: Eine wechselvolle Geschichte
10 bis 15 Prozent der Menschen in Russland sind Muslime. Viele von ihnen sind keine Einwanderer: Den Islam gibt es in vielen Gebieten Russlands schon länger, als es Russland gibt. Die russischen Fürstentümer waren einst Vasallen unter dem „Tartarenjoch“, wurden von den Nachfahren des Dschingis Khan beherrscht und mussten regelmäßig Tribut entrichten. Die blaue Horde oder auch das Khanat Kasan plünderten die russischen Gebiete aus und versklavten die dort lebenden Slawen regelrecht. Das nahm erst unter Ivan dem Schrecklichen ein Ende, der das Fürstentum Moskau vom Tartarenjoch befreite und die muslimischen Steppenvölker besiegte. Die Angehörigen dieses Volkes verschwanden jedoch nicht – sie lebten weiter in dem Gebiet, das nun Moskau und später Russland war. Bis heute.
Das spiegelt sich auch in der Politik der heutigen Russischen Föderation: Allein der Name des modernen, russischen Staates ist eine Anerkennung der Identitäten diverser anderer, vor allem muslimischer Völker. Es gibt neun islamische Parteien in Russland. Und der Islam gehört heute zum Selbstverständnis Russlands: „Russland ist ohne Islam genauso wenig vorstellbar wie ohne Orthodoxie und westliche Kultur“, schreibt Vladimir Pachkov, der an am Thomas-von-Aquin-Institut in Moskau lehrt. Diese Akzeptanz und Toleranz für den Islam geht sehr weit: In der autonomen Republik Tschetschenien, die vom Putin-treuen Kadyrow-Clan regiert wird, herrscht unter Billigung Moskaus sogar die Scharia.
Tschetschenienkriege und russisch-islamische Konflikte
Trotz dieser islamophilen Haltung kam es aber zum jüngsten Terroranschlag in Moskau, für den sich ein IS-Ableger verantwortlich zeigte. Die Täter stammen allesamt aus Zentralasien, heißt es – aus dem islamischen Land Tadschikistan. Mit diesem Land hat Russland eine Vereinbarung für Visafreiheit – sie konnten einfach so einreisen, wie übrigens Millionen ihrer Landsleute, die als Gastarbeiter in Russland tätig sind. Ein Beispiel für die Ambivalenz, die den Islam in Russland umgibt.
Wie auch Tschetschenien. Das zu Russland gehörige Gebiet im Kaukasus steht für maximale Toleranz gegenüber selbst radikalstem Islam und gleichzeitig für die blutige Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Dschihadisten. In den Tschetschenienkriegen bekämpfte Russland mit brutaler Härte islamische Separatisten, die einen Scharia-Staat ausgerufen hatten. Während Jelzin noch scheiterte, konnte eine „Anti-Terror-Operation“ unter Putins Regie 1999 das Gebiet wieder für Russland besetzen. Dem vorangegangen waren massive Terroranschläge, für die Russland Tschetschenien verantwortlich machte; die wahren Hintergründe sind bis heute umstritten, nicht wenige sprechen von einer sogenannten False-Flag-Operation des russischen Geheimdienstes zur Rechtfertigung des Einmarsches.
Vor allem die Hauptstadt Grosny, aber auch andere Städte und einige Dörfer wurden in diesem zweiten Tschetschenienkrieg weitgehend zerstört. Auf die militärische Wiedereingliederung folgte eine von Terroranschlägen und Gewalt geprägte Zeit. Der bekannteste Anschlag dieser Phase war die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater: Am 23. Oktober 2002 nahmen tschetschenische Terroristen dort etwa 700 Geiseln und forderten von der russischen Regierung den sofortigen Abzug des russischen Militärs aus Tschetschenien. Bei der umstrittenen Befreiungsaktion durch Spezialeinheiten unter Einsatz von Betäubungsgas kamen 41 Terroristen sowie 129 Geiseln ums Leben.
Der Anschlag auf die Konzerthalle und das Feindbild Russland
Der Anschlag auf die Crocus-Halle bei Moskau hat nun noch mehr Tote gefordert als die Dubrowka-Geiselnahme – und wieder sind letztendlich islamistische Terroristen verantwortlich. Das liegt daran, dass Russland trotz aller Islamophilie ein Feindbild für Islamisten, gerade in Zentralasien ist. Das kommt auch durch den Syrien-Einsatz, bei dem das russische Militär an der Seite des Diktators Assad auch islamistische Milizen wie den IS bekämpft hat – aber auch die russische Präsenz in Ländern wie Tadschikistan spielt eine Rolle. Alle Attentäter von Moskau sollen aus Tadschikistan stammen.
Das Land, eine ehemalige Sowjetrepublik, liegt in der russischen Einflusssphäre in Zentralasien und hat viele wirtschaftliche und politische Verbindungen zu Moskau. Die Bevölkerung ist arm und die Wirtschaft stagniert – und angesichts von Perspektivlosigkeit ließen sie sich als Kämpfer für den IS zum Kämpfen in Syrien und Irak anwerben, wie Beobachter und Experten während der Hochphase der Terrormiliz vor neun Jahren berichten. So Andrea Schmitz von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin.
Sie schreibt in einer Studie, die meisten der Dschihadisten aus Zentralasien würden in Russland rekrutiert: Millionen von Tadschiken arbeiten in prekären Verhältnissen in Russland. Ihre Situation – und die Rolle Russlands als Hegemon über die islamischen Länder Zentralasiens – spielte dem IS für seine Propaganda in die Hände.
Der Terroranschlag ist sicherlich ein Produkt dieser Umstände. Und zeitgleich kommt es auch wieder zu Islam-Apologetik von staatlicher Seite: Schnell erklärten gleichgeschaltete, russische Medien, dass „Terror keine Ethnie“ habe und es falsch sei, wegen des Anschlags in Moskau jetzt islamkritisch oder -feindlich zu sein. Einen jungen Moslem, der in der Konzerthalle andere Besucher mit Rufen gewarnt hatte, inszenierten die Medien schnell als Helden. All das sind Mechanismen, die an die mantraartigen Erklärungen im Westen erinnern, wenn nach jedem Terroranschlag versichert wird, dass all das „nichts mit dem Islam zu tun“ habe. Sie werden auch in Russland bedient.
Ergänzend: Aufgrund der Wehrpflicht in RU und dem wachsenden Anteil der Muslime in der Armee – Geburtenrate ist höher als bei christlichen/anderen Bevölkungsteilen – bleibt es abzuwarten, ob wir in RU nicht bald andere Eskalationen beobachten können.
Ich empfehle jedem, der wissen will, wie eine schleichende Übernahme durch den Islam stattfindet, sich mit der Geschichte des Libanon zu beschäftigen, welcher auch mal ein mehrheitlich christliches und liberales Land gewesen ist. Zu liberal und zu naiv könnte man rückblickend sagen …
sehr gehaltvolle analyse!
NEUN islamische Parteien – Heiliger Bimbam, das ist viel.
Dagegen ist Deutschland ja noch ein regelrechter Waisenknabe. Wobei die verglichenen Quadratmeter keine, sondern eher die Bevölkerungszahl eine Rolle spielt. Russland hat nicht mal doppelt so viele Einwohner wie Deutschland.
Dank der Grünen Einwanderungspolitik der Grünen …sind sie auch schon bei uns ,aber das begreift ja keiner dieser Hohlköpfe in der Regierung . Und dazu haben wir ja noch diese unfähige Innenministerin .
Offenbar hat Putin die Gefahr aus den ehemaligen muslimischen Sowjet-Republiken unterschätzt bzw. deren Kontakte in den Westen, oder zu westlichen Geheimdiensten?
Die ganze Welt hat ein verborgenes Islam Problem. Religion gehört in deinen Kopf und in deinen eigenen vier Wände. Religion die das Volk unterwirft mit Regeln ist nur begrenzt positiv zu betrachten, da es sehr oft extreme radikale Auswüchse gibt. Verhüllt die Frauen um Gott zu gefallen, kommt das von Gott? Wem hat er es erzählt? Hörensagen bla Bla bla, es wird benutzt um Menschen zu lenken und zu unterwerfen. Glaub ist nicht Religion. Das sind Menschgemachte Regeln die hinter Gottes Wille versteckt werden. Der Islam hat viele extreme Gläubige, die meinen alle andergläubigen unterwerfen zu müssen. Unterwerfung ist kein freier wille, das ist Menschgemacht.
Sehr interessant! Vielen Dank für diesen Überblick!