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In der Jagd auf die Sylt-Gröler fallen bei vielen die Grenzen des Rechtsstaates

Politiker empfehlen absurde Strafmaße, während ein entgrenzter Online-Mob schon Urteile vollstreckt: In der Jagd auf die Sylt-Gröler fallen die Grenzen des Rechtsstaates - praktiziert wird ein Rechtsverständnis, das nicht demokratisch ist.

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Was stimmt eigentlich mit diesem Land nicht? Meine Kollegin Larissa Fußer schrieb jüngst über den „Fiebertraum um die Jagd auf die Sylt-Ballermänner“ – und dieser Fiebertraum ist übers Wochenende nur noch hitziger und wirrer geworden. Es scheint wirklich so, als kenne Deutschland kein ernsteres Problem als ein knappes Dutzend geschmacklose Besoffene in einer Nobel-Bar.

Eine gesamtgesellschaftliche Vernichtungsmaschine kommt in Gang. Kein Mörder und kein Kinderschänder wurde in den letzten Jahren so ausgiebig öffentlich filetiert wie die „Ausländer raus“-Gang auf Sylt. Politiker aus der ersten Reihe des Staates überschlagen sich mit Maximal-Verurteilungen und überdrehten Konsequenz-Forderungen gegen die jungen Erwachsenen vom „Pony“. Teile der deutschen Öffentlichkeit ergehen sich in ihren zwei liebsten Komplexen – dem „Kampf gegen Rechts“ und der Missgunst gegen Reiche. Der SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Adler schöpft kurzerhand das Wort „Wohlstandsextremismus“ neu, um beides zu verbinden.

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Raserei des politisch-medial befeuerten Mobs

Medien ergehen sich in „Nazi“-Schlagzeilen und veröffentlichen die Gesichter der „Täter“ von Sylt ungepixelt – in einem Land, das selbst bei schwersten Straftätern sonst penibel auf Persönlichkeitsrechte und Anonymisierung achtet. Namen und Adressen werden geleakt, Arbeitgeber und Hochschulen werden kontaktiert. Am Freitagabend sind die beruflichen Existenzen mehrerer junger Menschen schon zerstört. Verdient, sagen viele – und die reichen Söhne und Töchter würden sicherlich weich landen.  Stimmt wahrscheinlich. Ist es deswegen richtig, dass ein Online-Mob in wenigen Stunden Ankläger, Richter und Vollstrecker spielt? Unter freudiger Beteiligung von Medien und Politik auch noch?

Natürlich sind solche Parolen unerhört. Das „Ausländer raus“-Gegröle ist allerdings ein Meme, ein dummer Internetwitz, der eben nicht ernst gemeint ist. Glauben die Architekten von Zeilen wie „Sylt-Nazis“ im Ernst, dass sich da auf der Insel ein halbes Dutzend eingefleischter Nationalsozialisten getroffen hat? Ein ausführlicher Bericht in der Tagesschau am Freitagabend berichtet mit ernster Stimme über das, was weitgehend ein Witz war: „Sylt – kein Einzelfall“. Dann ein sogenannter Experte – er ist Autor bei der umstrittenen Amadeu-Antonio-Stiftung. Der erklärt natürlich expertenhaft, dass „rassistische Parolen“ im „Schampus-Milieu von Sylt“ gar keine Überraschung seien. Überall Schampus-Nazis auf Sylt? Und das „Pony“ als rechtsradikaler Verschwörungs-Treffpunkt? 

Bundeskanzler Scholz äußert sich, Innenministerin Faeser spricht von einer „Schande für Deutschland“, als hätte sich auf Sylt etwas von nationaler Tragweite ereignet. Ein Meme wird zur Staatskrise erhoben – wer ein Meme zur Staatskrise erhebt, macht auch den Staat zum Witz.

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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, immerhin die Frau im zweithöchsten Staatsamt, erklärt öffentlich, man könne „ruhig auch mal die Höchststrafe“ verhängen und greift so einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung vor. Höchststrafe, also fünf Jahre Haft für die Sylt-Gröler, hat mit Verhältnismäßigkeit wirklich nichts mehr zu tun. Schon gar nicht in einem Land, in dem schlimmste Verbrecher wie Mörder oder Vergewaltiger regelmäßig mit deutlich geringeren Haftstrafen davonkommen. Dieser Geifer, mit dem man jetzt richtig draufhauen und ein Exempel an den Sylt-Besoffskis statuieren will, ist bedrohlicher als jede dumm-dumpfe Scherz-Parole an irgendeiner Bar. Weil er auch den Rechtsstaat aushöhlt und ihn der Lächerlichkeit preisgibt.

Mit Rechtsstaat hat das alles ohnehin nichts mehr zu tun. Nicht der Online-Mob, der die Beteiligten schon öffentlich hingerichtet hat – und auch die Ausfälle von Politik und Medien nicht. In einem Rechtsstaat werden Anklagen von der Staatsanwaltschaft erhoben und von Gerichten beurteilt – nicht von Politikern, nicht von Medien und nicht von einer entgrenzten Netz-Gemeinde. Soll eine Bärbel Bas jetzt entscheiden, wo man „ruhig mal eine Höchststrafe“ verhängt oder nicht? All das ist nicht mehr normal oder gesund – es ist eine völlig überzogene Reaktion, die in ihrer Radikalität keine Rechtfertigung mehr kennt. Es ist das Gericht des Volksempfindens, es ist ironischerweise kein republikanisches Rechtsverständnis, das sich da ausdrückt.

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