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Hauptsache Taylor Swift wählt richtig – Die Selbstentblößung der Pseudopolitischen

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

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Es ist Fashion Month – das heißt letzte Woche New York Fashion Week, diese Woche London Fashion Week, danach Milan und Paris Fashion Week. Der September sollte mein Monat werden. Jeden Abend topaktuelle Berichterstattung zu den etwa 20 Fashion Shows pro Tag. 

Vogue-Artikel zur Metall-Neandertaler-Kollektion, Porträts über die historische Inspiration für die Wiederhoeft Korsett-Show, stundenlange Video-Analysen der Drapiertechnik von Alaïa und ein Cocktail (Espresso Martini versteht sich). Das ist alles, was ich brauche – und dringend nötig habe – um von meinem hyperpolitischen Alltag endlich mal Abstand zu nehmen. 

Zu den einzelnen Fashion Shows will die Vogue aber eher weniger rausrücken. Die amerikanische Vogue verkündet stattdessen triumphierend, dass der heißeste Trend der New York Fashion Week Harris-Walz-Merch sei. Warum musste die Präsidentschaftswahl auch ausgerechnet in meinen Entspannungsmonat fallen? 

Dass die Vogue woke ist, ist nichts, was Sie von mir erfahren mussten, und auch nicht erst bekannt, seit Jack Bouvier Kennedy Schlossberg (der Enkel von JFK) im Juli zum politischen Korrespondenten der Vogue berufen wurde. Die deutsche Vogue gendert sehr zu meinem Leidwesen schon seit Jahren. 

Währenddessen dürften Sie genau das gegenteilige Problem haben. Dass Taylor Swift Kamala Harris wählen wird, ist von der Tagesschau über die Zeit bis zum Spiegel überall eine Top-Story. Der Moderator Lawrence O’Donnell bekam sich bei der Presidential Debate Analysis auf MSNBC gar nicht wieder ein: „Das ist die wichtigste Promi-Empfehlung, die ich je gesehen habe. Das Timing ist absolut exquisit, der Wortlaut ist makellos. Für jemanden, der noch nie von einer prominenten Werbung beeindruckt war, ist das perfekt und kraftvoll.“

Im Ernst? Sie hat geschrieben: „Ich stimme für Kamala Harris, weil sie für die Rechte und Anliegen kämpft, von denen ich glaube, dass sie einen Krieger brauchen, der sich für sie einsetzt.“ Genauso gut hätte sie auch schreiben können: „Ich wähle Kamala Harris, weil ich da mein Kreuz mache.“ 

Wir reden hier über die Frau, die ihr erstes Lied mit 12 geschrieben hat und auch als „die Musikindustrie in Person“ betitelt wird. Harvard veranstaltet englische Literaturkurse, die ihre Liedtexte analysieren. Nach keinem Standard sollte das ein exquisites, makelloses, perfektes und kraftvolles Statement sein. 

Der Spiegel schreibt in seiner Titelstory am Donnerstag: „Politik ist Popkultur. Popkultur ist Politik“. Die Autorin schreibt darin: „Das, was mit dem Politischen gemeint ist, hat sich gewandelt“, die Aufgabe der Politik sei es jetzt, sich an den Zeitgeist anzupassen. Oder anders gesagt: Dass eine Popsängerin mit inhaltsleeren Statements den Ausgang der nächsten US-Wahl und damit die Zukunft einer Weltmacht für mindestens die nächsten vier Jahre beeinflussen könnte, ist ein Zustand, den wir jetzt so nehmen müssen – und da Swift ja das Richtige wählt, ist das doch kein Problem. 

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Der Einfluss der Popkultur auf die Politik und seine Folgen sind vielfach besprochen. Emilia Fester und Ricarda Lang sind ein Ergebnis davon, die TikTok-Strategie der FDP ist ein Ergebnis davon, die ganzen flachen Artikel, die sich als Feuilleton bezeichnen, sind ein Ergebnis davon. Die Durchmischung, die der Spiegel grundsätzlich richtig erkannt hat, ist nicht ausschließlich ein Phänomen unserer Zeit. Kultur und Politik bilden beide die Stimmung in der Gesellschaft ab und werden immer irgendwie zusammenhängen. 

Und doch ist es aktuell nochmal anders. Politik ist nicht nur Mode, Politik ist in Mode. Es ist kein Wunder, dass die Vogue federführend über Politik schreibt, wie es alle anderen auch tun. Politik, beziehungsweise links sein, woke sein, ist der neueste Schrei frisch vom Catwalk und hält sich länger als Low-Waist-Jeans und Baguette-Handtaschen. 

Jeder, der gerade etwas auf sich hält, muss politisch sein. Ein Statement zu Kamala Harris war für Taylor Swift – wie auch für jeden in der Entertainment-Elite – ein Must-Have wie die Hermès Birkin Bag aus schwarzem Epsom-Leder. Das bedeutet aber nicht nur für die Politik einen Qualitätsverlust. Worüber niemand spricht, ist der Schaden, den das überall außerhalb der Politik anrichtet. 

Die Vogue Deutschland veröffentlichte im Juni eine Sammleredition. Auf dem Cover: Die 102-jährige Margot Friedländer. Als jemand, der besondere Vogue-Ausgaben aus aller Welt sammelt und im Bücherregal stapelt, musste ich die natürlich haben. Alleine dafür, dass sie eine Holocaust-Überlebende in einer Kombination aus Miu Miu Kollektion und Bundesverdienstkreuz auf das Cover einer Modezeitschrift gesetzt hat, wurde die Vogue aus politischen Kreisen kritisiert. Mich stört etwas anderes. 

Das Gespräch über die AfD ist flach und nicht originell. Als Friedländer erzählt, dass sie an Schulen von Schülern aufgefordert wird, Stellung zum Krieg in Gaza zu beziehen, fehlt den Mode-Redakteuren das politisch-journalistische Gespür, um tiefer zu der Herkunft dieser Distanzierungsforderungen nachzuhaken. Ein guter politischer Artikel ist bei diesem Interview nicht rausgekommen. Was bei einer Modezeitschrift zu erwarten war. 

Doch vor allem hat die Vogue eine Chance verpasst, die in ihr eigenes Metier fällt. Sie hatte die Chance, zum allerersten Mal abzubilden, was die Nazi-Diktatur Margot Friedländer noch gestohlen hat – und das ohne eine einzige politische Botschaft explizit in den Artikel zu schreiben. Tatsächlich gibt es nämlich kaum eine bessere Zeitung, auf deren Titelbild man Margot Friedländer in knallrotem Miu Miu Kostüm abdrucken könnte. 

Margot Friedländer wollte eigentlich Modedesignerin werden. 1936 schrieb sie sich an einer Berliner Kunstgewerbeschule ein, lernte dort Mode- und Reklamezeichnen. „Ich hatte große Pläne“, erzählt sie der Vogue, die das alles hinter ganz viel Text versteckt, den man schon überall gelesen hat. Margot Friedländer weiß noch, was sie am Morgen des 10. Novembers 1938 getan hat. Sie war auf dem Weg zur Arbeit im jüdischen Salon „Rosa Lang-Nathan“, wo sie ihre Ausbildung zur Schneiderin machte. Er blieb danach für immer geschlossen. 

Eine der schönsten Erinnerungen von Margot Friedländer hängt in ihrem Kleiderschrank: Eine leichte Wolljacke mit Blumenmuster in Rot und Rosa, weißem Besatz und goldenen Knöpfen, dazu eine weiße Hose mit hoher Taille. Sie kaufte sich das Ensemble in einer Boutique auf ihrer Hochzeitsreise nach Europa. Ihr Mann und sie holten die 1958 nach. Ihren Mann mochte sie erst nicht, als sie ihn das erste Mal kennenlernte – zu scharfe Bügelfalten. Als sie ihn nach ihrer Befreiung aus dem KZ heiratete, nähte sie ihr Hochzeitskleid selbst. 

Bis heute macht es Margot Friedländer Freude, wenn sie jemanden sieht, der merklich gut geschnittene Kleidung trägt. Sie hat ein Auge dafür. Ihr Auftritt in der Vogue in italienischer Designerkleidung symbolisiert das Leben, das sie hätte haben können. Sie hätte ein ganz normales Leben führen können, als Schneiderin, als Modedesignerin, vielleicht sogar mit eigenem Modelabel. Umgeben von all den schönen Dingen, die ihr so eine Freude machen. 

Ein Porträt mit Fokus auf diese Margot Friedländer hätte der Mode eine völlig neue Bedeutung gegeben. Wie unglaublich dankbar wir sein können, in einer Welt zu leben, in der uns Rechtsstaat und Demokratie in einem Modemagazin blättern lassen, statt die Scherben unseres Salons aufzusammeln. Der schlaue Leser hätte das von ganz alleine verstanden. Ohne den Versuch der Mode-Redakteure, sich pseudopolitisch tiefgründig zu geben. Doch die Politik hat jede Originalität und damit jede wahre Tiefe zerstört. 

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