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Vorratsdatenspeicherung

Fundamentale Wende in der Rechtsprechung: EuGH macht Weg frei für massenhafte Online-Überwachung

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen nun für die Verfolgung jeglicher Straftaten erlaubt ist. Das Urteil ist ein Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung. Der EuGH macht damit den Weg für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung frei.

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Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag ein folgenschweres Urteil gefällt. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung entschied der EuGH, dass die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen nun für die Verfolgung jeglicher Straftaten, einschließlich Urheberrechtsverletzungen, erlaubt ist. Weiterhin ist ab sofort die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen grundsätzlich mit dem EU-Recht vereinbar, sofern diese Daten keine genauen Rückschlüsse auf das Privatleben einer Person oder etwa dessen politischer Gesinnung zulassen. Die „allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen“ begründe demzufolge „nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte“.

Internet-Provider dürfen also zur Speicherung von IP-Adressen verpflichtet werden. Notwendig ist lediglich, dass auf mitgliedsstaatlicher Ebene vorgeschrieben ist, dass verschiedene Kategorien personenbezogener Daten strikt getrennt werden müssen. Bei Strafermittlungen jeder Art sind die Internet-Provider anschließend verpflichtet, der jeweiligen Behörde die Identitätsdaten zur entsprechenden IP-Adresse herauszugeben. „Eine vorherige Kontrolle des Zugangs durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle“ ist dabei regelmäßig nicht erforderlich.

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Konkret ging es in dem Verfahren um das französische Anti-Piraterie-System „Hadopi“. Hadopi (Haute Autorité pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur l’internet) wurde 2009 eingerichtet, um Urheberrechtsverletzungen im Internet zu bekämpfen. Gemäß FranceInter versendete Hadopi zwischen 2009 und 2021 mehr als 14 Millionen Abmahnungen an Personen, die das Urheberrecht im Internet verletzt hatten. Dies entspricht rund 11 Prozent der Internetnutzer in Frankreich. Anfang 2022 fusionierte Hadopi mit der Medienregulierungsbehörde CSA zur Arcom, der Regulierungsbehörde für audiovisuelle und digitale Kommunikation.

Die Digitalorganisation La Quadrature du Net hatte Klage gegen Hadopi vor dem EuGH eingereicht. Die Gruppe argumentiert, dass das Gesetz im Widerspruch zum europäischen Datenschutzsystem, insbesondere zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der ePrivacy-Richtlinie stehe. Das Urteil des EuGH nannte man „enttäuschend“. „Mit diesem neuen Urteil wird der Zugriff auf IP-Adressen nicht mehr standardmäßig als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die Möglichkeit einer Massenüberwachung des Internets zu“, so die Digitalorganisation.

Die bisherige Rechtsprechung habe man durch das jetzige Urteil stark aufgeweicht und den „massenhaften, automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt, die mit der bürgerlichen Identität und dem Inhalt einer Kommunikation verbunden sind“. Zu Bagatellzwecken könnten die EU-Mitgliedsstaaten nun sogar diesen Zugriff erlangen. Jedoch hat sich die Wende in der europäischen Rechtsprechung bereits in der jüngeren Vergangenheit abgezeichnet.

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Bis vor wenigen Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mehrfach eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich als rechtswidrig abgelehnt. In neueren Urteilen erklärte man hingegen, dass das allgemeine und unterschiedslose Aufbewahren von IP-Adressen „zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum“ möglich sei.

Rückenwind für die Pläne von Nancy Faeser

Mit dem jetzigen Urteil macht der EuGH jedoch den Weg für eine massenhafte Vorratsdatenspeicherung frei. Internet-Provider können unter bestimmten Voraussetzungen zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen verpflichtet werden. Sofern IP-Adressen in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen jeglicher Art gelangen, können die Internet-Provider zudem angewiesen werden, gegenüber den Behörden entsprechend Auskunft zu geben.

Auf Basis der alten Rechtsprechung des EuGH entschied das Bundesverwaltungsgericht noch, dass das deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) in Teilen rechtswidrig ist. Die dort enthaltene Verpflichtung für Diensteanbieter, verdachtsunabhängig über Monate hinweg Verbindungs- und Standortdaten zu speichern, sei mit EU-Recht „in vollem Umfang unvereinbar“. Doch auch diese rechtliche Bewertung könnte sich nun ändern.

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Für die Ampel und allen voran für Bundesinnenministerin Faeser dürfte das Urteil des EuGH Genugtuung sein. Die SPD setzt sich bereits seit längerem für eine Reformierung des Telekommunikationsgesetzes und eine Überarbeitung der Vorratsdatenspeicherung ein. Innenministerin Nancy Faeser fordert den Justizminister Marco Buschmann dazu auf, den Ermittlungsbehörden erweiterte Befugnisse, insbesondere den Zugriff auf Telekommunikationsdaten einzuräumen.

Faeser schwebt konkret die Speicherung von IP-Adressen vor. Buschmann plädiert hingegen für das „Quick-Freeze-Verfahren“. Bei diesem Verfahren werden Kommunikationsanbieter lediglich bei Verdacht verpflichtet, einzelne Daten von Nutzern für eine bestimmte Zeit aufzubewahren beziehungsweise „einzufrieren“. Als Begründung für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung führt Faeser vor allem die steigende Bedrohungslage durch den zunehmenden Islamismus an.

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