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Militärische Abwägungen

Finnland diskutiert Austritt aus Anti-Landminen-Abkommen

2012 ratifizierte Finnland das Ottawa-Abkommen, welches den Einsatz und die Herstellung von Landminen verbietet. Nun diskutiert das Land, aus dem Abkommen wieder auszutreten. Der Grund: Die Sorge vor einer russischen Invasion.

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Das Ottawa-Abkommen, in Kraft seit 1999, verbietet den Staaten, die es ratifiziert haben, die Herstellung, Lagerung und den Einsatz sogenannter Antipersonenminen, auch Landminen genannt. Hintergrund ist die Gefahr für Zivilisten, die von Landminen ausgehen, wenn sie nicht ordnungsgemäß verlegt und nach Ende eines militärischen Konflikts geräumt werden.

Denn leider kommt es durch unmarkierte Minenfelder immer wieder zu Unfällen, bei denen jedes Jahr mehrere Tausend Zivilisten verletzt oder getötet werden. Meist geschieht dies in Ländern, in denen die Minenfelder nicht markiert und auf Karten verzeichnet, sondern „wild“ verlegt wurden. Daher können sie nach Ende eines Konflikts nicht effektiv geräumt werden und verbleiben so jahrzehntelang eine Gefahr für Mensch und Natur.  Aus diesem Grund ratifizierten 164 Staaten in den vergangenen Jahrzehnten das Ottawa-Abkommen, darunter Deutschland und alle anderen Mitgliedsstaaten der EU. Nicht ratifiziert wurde es hingegen von den USA, Russland sowie fast allen asiatischen Staaten, inklusive China und Indien.

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Finnland trat dem Abkommen 2012 bei. Doch das Kriegsgeschehen in der Ukraine und die Sorge vor einer russischen Invasion Finnlands sorgen nun in der nordischen Nation für eine Neubewertung verteidigungspolitischer Positionen, auch in Bezug auf Landminen.

Am 23. November sagte der Oberbefehlshaber der finnischen Streitkräfte, General Janne Jaakkola, in einem Interview mit dem finnischen Nachrichtenkanal MTV, dass man den Einsatz von Landminen neu evaluieren müsse. Die Sicherheitssituation hätte sich seit 2012 fundamental geändert, als Finnland dem Abkommen beitrat. Die Aussage des Generals war ein Paukenschlag, der in den finnischen Medien und der Politik kontrovers diskutiert wird. Die finnische Nachrichtenagentur Uutissuomalainen berichtete wenig später, dass nur zwei finnische Parteien den Austritt aus dem Ottawa-Abkommen strikt ablehnen: Die Grünen und das sogenannte Linksbündnis, welches ein Sammelverbund kommunistischer und linksextremer Kleinparteien ist. Die Sozialdemokraten und schwedische Minderheitspartei sind für eine Diskussion über den Austritt offen, während die restlichen Parteien ihn grundsätzlich befürworten.

Landminen sind eine kostengünstige Möglichkeit, um große Flächen für gegnerische Soldaten unpassierbar zu machen, ohne eigene Soldaten in Gefahr zu bringen. Für das dünn besiedelte Finnland mit seinen nur rund fünf Millionen Einwohnern wären Landminen also außerordentlich nützlich, um Abschnitte seiner 1340 km langen Grenze zu Russland zu sichern, ohne viele Soldaten in der oft unwirtlichen Grenzregion stationieren zu müssen. Militärisches Personal könnte dann an strategisch wichtigeren Orten konzentriert werden. Auch andere wichtige Flächen, beispielsweise in der Nähe zu Militärbasen oder Infrastruktureinrichtungen, könnten mit Landminen effektiv geschützt werden. Im Kriegsfall könnte man sie zudem nutzen, um eventuellen russischen Angreifern die Zugangswege abzuschneiden und sie so zu verlangsamen, während man auf militärische Unterstützung durch NATO-Partner wartet.

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Einige Tage später schaltete sich auch der finnische Verteidigungsminister, Antti Häkkänen, in die Diskussion ein und erklärte am 25. November, dass das finnische Militär bereits im Sommer eine Studie initiiert hatte, welche die Vor- und Nachteile des Einsatzes von Landminen untersuchen soll. Der Ministerpräsident Finnlands, Petteri Orpo, gab zu Protokoll, dass das Thema auch im Außenministerium diskutiert wird, welches für einen eventuellen Austritt aus dem Abkommen in erster Linie verantwortlich wäre. Gleichzeitig warnten linke und pazifistische Gruppen vor dem Einsatz von Landminen und kündigten Proteste an, falls Finnland tatsächlich aus dem Abkommen austreten wolle. Doch es hat sich auch eine Bürgerinitiative gebildet, welche Unterschriften für den Austritt aus dem Ottawa-Abkommen sammeln möchte, um so für den Fall eines russischen Angriffs besser gerüstet zu sein.

Die Sorge der Finnen vor einer russischen Invasion ist nicht unbegründet. Über hundert Jahre lang war Finnland vom russischen Zarenreich besetzt und konnte sich erst 1917, in Folge der russischen Revolution, von seinem ungeliebten Nachbarn lösen und einen unabhängigen Staat bilden. 1939 versuchte die Sowjetunion erneut, Finnland zu besetzen und zu einem Teil des sowjetischen Einflussbereiches zu machen, doch die Finnen wehrten sich im als Winterkrieg bekannten Konflikt tapfer und fügten der sowjetischen Übermacht empfindliche Niederlagen zu. So kam es letztlich zu einem Waffenstillstand zwischen Finnland und der Sowjetunion, im Rahmen dessen die Finnen zwar große Gebiete an die Sowjetunion abgeben mussten, aber zumindest ihre Unabhängigkeit bewahren konnten.

Während des Kalten Krieges verhielt sich Finnland weitgehend politisch neutral, obwohl es kulturell und als liberale, marktwirtschaftliche Demokratie eigentlich eindeutig als westliches Land eingeordnet werden konnte und sich auch selbst so sah. Doch die Furcht, ihren sowjetischen und später russischen Nachbarn zu provozieren, hielt die Finnen lange Zeit von einer klaren politischen Positionierung und dem Beitritt zur NATO ab, selbst nachdem das Sowjetimperium Anfang der neunziger Jahre implodierte. Das änderte sich erst durch die russische Invasion der Ukraine, zu der man klar Stellung bezog und als Konsequenz 2023 der NATO beitrat. Seitdem droht die russische Führung den Finnen vermehrt mit militärischer Eskalation und kündigte Ende 2023 die Verstärkung der russischen Truppen an der finnischen Grenze an.

Ob Finnland tatsächlich aus dem Ottawa-Abkommen austreten wird, steht noch nicht fest, doch angesichts der politischen Großwetterlage kann es als recht wahrscheinlich angesehen werden. Ende des Jahres wird das finnische Verteidigungsministerium ihren jährlichen Bericht zur Sicherheitslage und Verteidigungsbereitschaft an das Parlament abgeben. Es ist gut möglich, dass sich in diesem eine Empfehlung mit Bezug auf den Einsatz von Landminen findet, welche für viele Parlamentarier ausschlaggebend sein dürfte, falls es zu einer Abstimmung über den Austritt aus dem Abkommen kommen sollte.

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