Der Kompromiss gilt als Lebenselixier der Demokratie. Und klar: Das Zusammenführen der unterschiedlichen politischen Lager in Koalitionen und Konsensen ist demokratietheoretisch geboten. Doch in der Praxis kann der Kompromiss auch zu Gift für die Demokratie werden – immer dann, wenn er ein fauler ist.
Die CDU befindet sich in einer misslichen Lage. Sie führt klar in den Umfragen und kann sich schon auf das Kanzleramt freuen – es gilt als sicher, dass Friedrich Merz dort einziehen wird. Aber mit wem? Alles spricht momentan dafür, dass es für eine schwarz-gelbe Regierung nicht reichen wird. Also bleiben eigentlich nur die Parteien des linken Spektrums übrig – die Machtoption für die Union wird entweder das Regieren mit SPD, Grünen oder gar mit beiden sein.
Klar ist nur: Die AfD wird es nicht werden. Die Brandmauer ist der Union heilig – was zur Folge hat, dass der Kurs der nächsten Regierung jetzt schon vorbestimmt ist. Der politische Wille der Mehrheit ist klar konservativ. Die SPD und Grünen vertreten zusammen, wenn man aktuellen Umfragen folgt, nur noch ein Viertel der Wähler – die Union allein liegt bei 32 Prozent. Es gibt in diesem Land nicht einmal entfernte Mehrheiten für linke Politik – und trotzdem wird die kommende Bundesregierung ihren Kurs von Roten, Grünen oder gar beiden bestimmen lassen. Das liegt nicht daran, dass Friedrich Merz ein heimlicher Linker ist, sondern daran, dass Grüne und SPD mit ihrer radikalen Basis gar keine bürgerliche Politik mittragen können. Es hat nichts mit Umfallerei zu tun – es ist schon davon auszugehen, dass Lindner das Maximum herausgeholt hat, was in Koalition mit diesen Parteien möglich ist. Eine echte bürgerliche Politik ginge nur durch ein Einreißen der Brandmauer zumindest in Sachfragen.
Merz wäre ein König ohne Königreich
Denn so, wie es aktuell aussieht, sind gut 20 Prozent des konservativen Wählerspektrums eingemauert. Mit ihren Stimmen darf man keine Politik machen, diktiert die sogenannte politische Hygiene dieser Brandmauer. Die Menschen wählen die AfD aber, trotz der Brandmauer. Daran ändern auch die Appelle diverser CDU-Politiker nichts, dass, wer andere Politik wolle, die Union stark machen müsse. Eine absolute Mehrheit wird die Union nicht erreichen – sie wird daher in der Logik der Brandmauer mit SPD, Grünen oder, wenn es ganz schlecht läuft, gar mit beiden Politik machen müssen. Dann ist sie zwar Kanzlerpartei, kann aber eben doch nichts umsetzen, was linken Dogmen zuwiderläuft.
Somit wäre Friedrich Merz ein König ohne Königreich, völlig egal, wie ehrlich und gut er es in der Sache meint. Denn ein Rollback der fatalen Ampel-Politik wird so ganz sicher nicht möglich sein, und auch die richtigen Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft wird man mit Rot, Grün oder Rot-Grün einfach nicht fällen können. Warum sollten diese Parteien auch wiederum ihre eigene Programmatik verraten? Immerhin hat die SPD die Ampel-Koalition beendet, weil sie nicht am Ende links genug war – und die Grünen wären wegen dessen, was aus der Partei ernsthaft als „Rechtskurs“ betitelt wurde, fast gespalten worden. So sieht die Gedankenwelt links der Mitte aus: Die linke Ampel-Politik war in den Augen von Rot-Grün schon in weiten Teilen ein Kompromiss mit dem Neoliberalismus. Wo ist da die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit?
Insofern muss man sich auch von der Idee verabschieden, eine schwarz-grüne Koalition oder eine Große Koalition mit der SPD wäre irgendwie eine Regierung der Mitte, die Gegensätze und Milieus zusammenführt. Diese romantische, fast alt-bundesrepublikanische Vorstellung von Politik ist von der Gegenwart überholt worden – SPD und Grüne stehen schon jetzt weit links von allem, was man noch als „Mitte“ bezeichnen könnte. Und im Wahlkampf, sieht man schon jetzt, werden sie noch einen gewaltigen Schritt nach links gehen. Schon die Bereitschaft der Union, SPD und Grünen auf halbem Weg entgegenzukommen, würde die gemeinsame Regierung eher in Richtung Linksaußen als in Richtung Mitte führen.
Was soll man denn umsetzen können mit Grünen und SPD, was wirklich einem Politikwechsel gleichkäme? Werden die Grünen eine Schließung der Grenzen mittragen? Kann man mit einem SPD-Sozialminister den Sozialstaat zukunftsfest und schlanker machen? Und kann man wirklich von einer absurd-ideologischen Klimapolitik Abstand nehmen, wenn man dazu die verbohrten Grünen braucht? Natürlich nicht – die CDU würde immer weit hinter ihren Inhalten und vor allem dem, was für das Land notwendig ist, zurückbleiben müssen.
Es ist eine simple Frage der Mathematik
Jetzt mag jeder Politikwissenschaftler einwenden, dass das doch das Wesen von Demokratie sei – der Kompromiss. Aber halbgare Kompromisse mit Linksdrall, die niemanden so richtig und viele gar nicht zufriedenstellen, bewirken das Gegenteil: Sie höhlen die Demokratie aus und führen sie ad absurdum. Daran ist dann auch nichts staatstragend. Man muss auch niemandem dafür einen Vorwurf machen: Es ist die simple Arithmetik des Parteiensystems mit Brandmauer, dass bestenfalls ein Stillstand-Kompromiss möglich ist. Zwischen Bürgerlichen und Rot-Grün gibt es programmatisch kaum mehr eine Überschneidung – es ist insofern auch nicht zielführend, an alle Beteiligten permanent zu appellieren. In der aktuellen Situation macht jeder aus seiner Sicht schon das Beste daraus. Rot und Grün wissen um die Brandmauer und haben daher auch deutlich stärkere Verhandlungsposition.
Die einzige Alternative zum Stillstand ist ein Rütteln an der Brandmauer; das ist die nüchterne Realität der Zahlen. Klar, niemand wäre wahrscheinlich scharf darauf, sich von den Medien ein zweites ’33 anlasten zu lassen und man weiß schon, dass der linke Blätterwald es bei einer AfD-Kooperation nicht anders formulieren würde. Aber auch ein vernichtendes Presseecho kann man ignorieren und stattdessen unaufgeregt Politik machen. Mögen die Linken und ihre Presseorgane auch Gift und Galle spucken – der Bevölkerungsmehrheit wäre wichtiger, dass vernünftige Politik gemacht wird. Sollte die AfD sich weigern, Realpolitik zu betreiben oder von ihren toxischen Positionen etwa in der Außenpolitik abzurücken, könnte man der Union zumindest nicht vorwerfen, es nicht im Sinne des Landes versucht zu haben. Gerade in einzelnen Fragen könnte man aber schon jetzt vor der Wahl Fakten schaffen: in inhaltlichen Fragen wie der Migrationspolitik könnte man ganz unaufgeregt Beschlüsse fassen.
Eine Brandmauerlogik hingegen überlässt den Linken schon das Feld, bevor das Spiel begonnen hat. Wenn sie aufrecht bleibt, kann sich nicht wirklich etwas ändern – es macht das Wahlergebnis fast schon egal, eine gefährliche Diagnose für eine Demokratie.
Ein Blick nach Österreich mag Mahnung sein: Dort regierte die ÖVP zunächst in einer Koalition mit der FPÖ und setzte gutbürgerliche, konservative Politik um. Die nachfolgende Schwarz-Grüne Kompromissregierung machte niemanden glücklich und schadete der ÖVP offenkundig.
So könnte es auch für die Union laufen. AfD-Politiker Maximilian Krah hat das ganze Dilemma schon feixend im Interview mit Tilo Jung aufgeschlüsselt: Die CDU „zerstört sich selbst“, sagte er grinsend. Wie? „Sie wird 2025 eine Koalition mit den Grünen eingehen. Es werden sehr, sehr viele Leute, die von der Ampel enttäuscht sind, 2025 CDU wählen. Sie werden sagen: AfD, naja, kann man denen das Land anvertrauen? Noch zu jung, vielleicht zu radikal – wählen wir doch mal den Merz. (…) Und dann wird Herr Merz regieren, mit den Grünen. Und die Politik von Schwarz-Grün wird im Wesentlichen dasselbe sein wie die Ampel. Und dann werden wir 2029 erleben, dass viele Leute sagen: Wahrscheinlich geht es eben dann doch nur mit der AfD.“
Für die CDU sollte diese Analyse eine Warnung sein: Entweder das Parteiensystem ist fähig, sich zu reformieren, oder es zerbricht. Die CDU wird sich an der Brandmauer zerreiben und die AfD braucht sich nur zurückzulehnen und abzuwarten: Weil immer mehr Menschen nicht primär für die CDU oder die AfD, sondern vor allem gegen linke Politik votieren – und die CDU einfach kein glaubwürdiges Bollwerk gegen linke Politik werden kann, wenn sie nach jeder Wahl wieder den radikalen Ideen der Linken auf halbem Wege entgegenkommt. Die Politik von Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot wird nicht fundamental anders sein können als die Ampel: Eine Aufhebung des fatalen Staatsbürgerschaftsrechts, des Selbstbestimmungsgesetzes oder manch anderer Ampel-Irrwege wird mit den Hauptarchitekten ebenjener Projekte nicht umgesetzt werden.
Eine Politikwende, die die Mehrheit in diesem Land möchte, wird so nicht zustande kommen. Dann wird auch das Parteiensystem als Ganzes sich als endgültig dysfunktional erweisen, denn es wird demokratietheoretisch langsam wirklich brenzlig, wenn Wählerwille und tatsächliche Politik systematisch getrennt werden. Im Endeffekt wird ein Parteiensystem nur überleben, wenn es im Groben dem politischen Willen der Bevölkerung folgt.
Solange Herr Merz die Brandmauer aufrechterhält, werden Millionen Wähler dadurch ausgegrenzt. Die Altparteien mauern sich selber ein und meinen die anderen demokratisch aussperren zu müssen. Demokratie lebt von Abstimmung und der Mehrheitsbeschluss zählt als demokratische Abstimmung. Die CDU ist mit dieser Einstellung über die Brandmauer absolut unwählbar!
Ich sehe keine Mitte bei den Altparteien. Die erste Grünenkanzlerin mit CDU-Parteibuch hat mit großem Beifall der CDU und der Wähler, unser Land 16 Jahre abwirtschaften dürfen und die Invasoren ins Land eingeladen. Wer Merz bei Merkels 70. gehört und gesehen hat, müsste wissen, dass die CDU mit der Mitte rein gar nix zu tun hat.
Sehr geehrter Herr Roland!
Ein demokratischer Staat ist auf Freiheit von Frau und Mann aufgebaut, nicht auf Bürokratie und Sozialismus. Nur in Selbstbestimmung bilden sich Manieren, die uns zu Menschen machen.
Aktuell herrschen die Sitten nach einer Melange von Robespierre und Mao.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Heinz Maierl
Wenn Merz weiter an der Brandmauer fest hält, ist er der falsche Kandidat für die CDU. Macht doch mal eine Umfrage bei eurer Basis, die letztendlich die Plakate aufhängen und auf den Plätzen diesen Standpunkt verkaufen soll. Es geht auch mit schwarzgrün oder rotgrün weiter auf der eingeschlagenen Route nach unten. Wer das Land retten will, kommt an der AFD nicht vorbei. Jeder Tag weiter auf diesem Pfad kostet viel Geld und wirft uns um Jahre zurück.
Es bleibt fraglich, ob die nächste Wahl wirklich Veränderungen bringen wird, wenn im Wesentlichen dieselben Akteure erneut angetreten sind. Für eine Demokratie ist es entscheidend, dass alle Parteien offen über die bestehenden Herausforderungen diskutieren und gemeinsam Lösungen durch Mehrheitsbeschlüsse finden. Wenn bestimmte und auch noch starke Parteien ausgeschlossen werden und nicht in den Dialog eingebunden sind, könnten sich Millionen Wähler ausgegrenzt fühlen. Eine lebendige Demokratie basiert auf Vielfalt und konstruktivem Austausch zwischen allen gewählten Parteien.
Obwohl die CDU die stärkste Partei ist, scheint sie eine Koalition mit den Grünen in Erwägung zu ziehen. Laut Hugo Müller-Vogg besagt das Grundprinzip der parlamentarischen Demokratie, dass der Regierungschef nicht zwingend von der stärksten Fraktion gestellt wird. Damit wäre es denkbar, dass Habeck Kanzler wird – unabhängig davon, wie die Wähler abgestimmt haben. Das wäre der Supergau.
Moin, Alles richtig was hier geschrieben steht.
Und alle wissen es….sonst würde wohl anders gewählt.
Aber warum lässt man sich als Wähler und Bürger von dieser Minderheit auf dem Kopf rumtanzen.
Für mich nicht nachvollziehbar.
Deswegen hat auch Trump gewonnen.
Die Bürger hatten auch die Nase voll von den Ideologischen Schwachsinn.
Auch der Bürger in Deutschland hat s in der Hand.
Er muss nur an der Wahlurne das richtige tun.
Ziemlich passende Analogie aus Schweden. Genau das passiert in D auch gerade.
»Göteborgs-Posten« (Schweden): »Die Deutschen befinden sich gerade dort, wo Schweden vor zehn Jahren war: Auf unterschiedliche Weise wird versucht, so zu tun, als gäbe es die Protestparteien nicht. Die Folge ist, dass die etablierten Parteien gezwungen sind, zusammen in unheiligen Bündnissen zu regieren und damit ihr eigenes Vertrauen weiter zu untergraben – während die Populisten nur an Stärke gewinnen. Das Ganze ähnelt einer klassischen Tragödie, in der der Held unfreiwillig seinen eigenen Untergang herbeiführt.«