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Claus Weselsky: Der Desperado der Arbeiterklasse

GDL-Chef Weselsky überzieht das Land mit brutalen Streiks. Dahinter steckt Widerstand gegen den SPD-Plan der Zwangs-Einheitsgewerkschaft. Weselsky ist nicht das Problem. Auch Marktliberale sollten mit gewisser Sympathie auf den Mann schauen.

„Verrat an der Arbeiterbewegung“ – strömt es aus Claus Weselsky heraus, mit leicht sächsischem Dialekt. Er wurde gerade im Podcast von Tilo Jung gefragt, warum er einen lukrativen Vorstandsposten bei der Deutschen Bahn zugunsten seiner Gewerkschaftstätigkeit abgelehnt habe. Er wolle nicht, dass ihn ein Lokführer anspucke.

Weselsky überzieht das Land seit Jahren mit seinen Brutalo-Streiks. Sein Auftritt ist martialisch, aus der Zeit gefallen. Seinen Widersacher – Personalvorstand Seiler bei der DB – versieht er regelmäßig mit wüsten Beschimpfungen, mindestens als „Lügner“ und „Großmaul“. Er liebt das Wort „Arbeitskampf“ und ansonsten: „militärisch organisiert“.

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Er ist heute wohl der meist gehasste Mensch dieses Landes, mit kaum vorher angekündigten „Wellenstreiks“ treibt er Bahnfahrer in den Wahnsinn und sorgt nebenbei durch etwa Produktionsausfälle in Fabriken für Millionenschäden. Ganz offenkundig ist das Wahnsinn, ganz offenkundig ist dieses System völlig kaputt. Wer dafür aber die Verantwortung einfach bei Weselsky sieht, denkt zu kurz.

Guerilla gegen die Einheitsgewerkschaft

Zunächst der dümmste und dennoch inhaltlich wichtigste Vorwurf: Weselsky ginge es ja gar nicht um die tariflichen Fragen (seine Forderung: 35 Stunde bei vollem Lohnausgleich), sondern um den Überlebenskampf seiner GDL, sagen viele. Das stimmt – und das ist auch richtig so. Die DB versucht seit Jahren die Tariffähigkeit der GDL zu zerstören, will gar nicht erst mit ihr Tarifverträge verhandeln. Während die GDL eine kleine, interessengeleitete, freie Gewerkschaft ist, ist der mehrfach so große Konkurrent EVG (Eisenbahn- & Verkehrsgewerkschaft) die große Standard-Gewerkschaft im SPD-nahen Deutschen Gewerkschaftsbund. Sowohl dem Staat als auch der Deutschen Bahn wäre es lieber, es gäbe nur die EVG. Der Widerstand gegen diese staatlich-gewerkschaftliche Symbiose treibt die GDL in ihre aggressive Politik.

„Überraschend“ melden einige deutsche Medien jetzt, dass die DGB und andere Konkurrenz-Gewerkschaften sich nun gegen Weselsky stellen. IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner meint etwa bei Table.Media, Weselsky habe sich „total verrannt und kämpft ums Überleben”. Benner ist übrigens Soziologin, SPD-Mitglied und kämpft ansonsten hauptsächlich gegen die AfD. Und natürlich sagt sie auch gleich, worum es eigentlich geht: „Ich bin der Überzeugung, das Prinzip ,Ein Betrieb – eine Gewerkschaft’ ist der beste Schutz vor Spaltung in der Belegschaft, die am Ende nur dem Arbeitgeber nutzt“. Natürlich: Der Monopolist DGB möchte keine Konkurrenz.

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Die Zwangs-Einheitsgewerkschaft ist ein SPD-Projekt, das seit einigen Jahren immer brachialer vorangetrieben wird. 2015 wollte die damalige schwarz-rote Bundesregierung mit dem „Tarifeinheitsgesetz“ die Macht der GDL schwächen. Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass in einem Betrieb, in dem zwei konkurrierende Tarifverträge vorliegen, der Tarif gilt, dessen Gewerkschaft mehr Mitglieder im Betrieb hat. Im Fall der Deutschen Bahn überwiegt in den meisten der rund 300 Betriebe die EVG, in der Lokführer aber nur die Minderheit sind. Da das Tarifeinheitsgesetz jedoch Streiks der Gewerkschaft, die weniger Mitglieder im Betrieb hat, nicht verbietet und unter den GDL-Mitgliedern eine hohe Mobilisierung herrscht, verhindert das Tarifeinheitsgesetz nicht die großen Bahnstreiks der GDL. Es ist allerdings nichts anderes als ein Versuch, freie Gewerkschaften wie die GDL abzuschießen.

Weselsky streikt also tatsächlich für das Überleben der GDL – und damit für das Überleben freier gewerkschaftlicher Organisation gegen eine staatliche Einheitsordnung bestehend aus einem politisch-monopolistischen Komplex aus SPD und Groß-Gewerkschaften. Auch als Marktliberaler sollte man hier aufpassen: Die erzwungene Einheitsgewerkschaft mit staatlicher Rückendeckung bedeutet nichts anderes als die Demokratisierung der Betriebe und damit die schleichende Abkehr von der Marktwirtschaft. Widerstand gegen diese Entkernung ist wichtig.

Der letzte Kämpfer der arbeitenden Bevölkerung

Doch beim Phänomen Weselsky geht es um mehr: Die GDL vertritt eben abwechslungsweise nicht Sozialfälle, sondern die arbeitende Mittelschicht. Lokführer sind genau die Einkommensklasse, die vom Staat maximal in den Schwitzkasten genommen wird. Die Lokführer sind zentrale Fachkräfte, ohne die es nicht geht. Ohne Lokführer fährt keine Bahn. Sie haben folglich stärkere Tarifmacht und eine bessere Verhandlungsposition. Durch die Einheitsgewerkschaft wird dieser Vorteil nichtig gemacht, weil hier alle Gruppen gleichmäßig vertreten werden.

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Claus Weselsky kämpft für eine Gruppe, für die niemand sonst mehr kämpft: die normale, arbeitende Bevölkerung. Und seine Forderungen? Eine 35-Stunden-Woche für Lokführer, die quer durch Deutschland im wechselnden Schichtbetrieb arbeiten. In der aktuellen Wirtschaftslage und der Situation der Deutschen Bahn nicht sinnvoll. Aber wer will aus seinem Prenzlauer Berg-Homeoffice darüber jetzt die moralische Keule schwingen? Die IG Metall, die jetzt so große Sprüche klopft, hat die 35-Stunden-Woche im Schichtsystem übrigens schon 1995 durchgesetzt.

Was bleibt also: Der Streik des Claus Weselsky ist Wahnsinn, ist ein einziges Desaster, etwas, was in einem gesunden System nicht vorkommen dürfte. Das System ist aber kaputt. In erster Linie wegen einer Politik, die die dümmste aller möglichen Konstellationen erschuf. Die Bahn nämlich als faktischen Staatskonzern zu erhalten, sie aber in eine privatwirtschaftliche Ordnung zu überführen. Das führt dazu, dass das Unternehmen konkurrenzfrei, weder profitabel noch gut organisiert ist – gleichzeitig aber ein Streikrecht besteht und Manager dieses hochdefizitären Loser-Betriebs Millionen-Boni auf Steuerzahlerkosten abzocken. 

Daran trägt Weselsky keine Schuld. Das moralische Argument läuft ins Leere. Weselskys Job ist die Vertretung seines Klientels in den Grenzen des rechtlich Möglichen, unter den Umständen, die eben vorherrschen. Die Verantwortung für den Rest trägt die Politik. Claus Weselsky nutzt in den Trümmern der Staatswirtschaft seine Chance als Desperado seiner Leute.

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