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„Beyond Gossip“ – ÖRR setzt in neuem Format auf billigsten Promi-Trash

In der Theorie soll „Beyond Gossip“ die Medienkompetenz von 14- bis 20-Jährigen stärken und ein differenziertes journalistisches Produkt darstellen. Tatsächlich ist es Promi-Klatsch im TikTok-Format rund um die neue Jungle-Camp-Staffel, Kylie Jenners Liebhaber und die Kontroversen um Deutsch-Rapperinnen mit Soft-Pornographie-Hintergrund.

Vor wenigen Monaten hat Funk ein neues Video-Format gestartet. Mit „Beyond Gossip“ (zu Deutsch: „Mehr als Klatsch“) steht die Moderatorin und selbsternannte „Popkultur-Queen“ Gizem Celik vor der Kamera, um sich mit den Themen der Gen Z auseinanderzusetzen. Und meine Generation hat ja bekanntlich nur eins im Kopf: oberflächliche Short-Videos über den neusten Klatsch von Trash-TV- und Hollywood-Stars. Trotz horrender Ausgaben für Werbung und bunte Smoothie-Mix-Einlagen scheiterte der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit diesem Konzept jedoch grandios.

Offensichtlich hat man gedacht, dass man nur eine Moderatorin in quietsch-bunten Outfits, mit aufgesetzter Jugendsprache, zahlreichen Anglizismen, affektiertem Sprechsingsang und gekünstelten Handgesten durch ein farbenfrohes Studio hüpfen lassen muss, um einen neuen Kassenschlager ins Leben zu rufen. Und meint dann auch noch, das Ganze als Qualitäts-Journalismus bezeichnen zu können – als eine Show, die den Bildungsauftrag des öffentlichen Rundfunks natürlich in keiner Weise untergräbt, sondern vielmehr seine Erfüllung als Selbstzweck ansieht. „Die Vermittlung von Medienkompetenz steht dabei im Fokus“, heißt es in einer Presseerklärung.

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Als „journalistisch und differenziert“ aufbereitet bezeichnet man den Content – oder besser gesagt: Die neusten Geschichten aus der Gerüchteküche, die Gizeme diskutiert, während sie aufwendige Smoothies aus Beeren, Datteln, Bananen, Spinat oder Rote Beete mixt. Und das macht sie nur für die Show: Ihre Werke trinkt sie fast nie, wenn überhaupt schlürft sie mal einen Schluck. Stattdessen nutzt sie das Schnippeln der Zutaten, das Zerbrechen von Bananen, das Werfen von Beeren und Mixen ihres Gebräus als eine Art Gestik, mit der sie ihre Videos dynamischer macht und bestimmte Punkte rhythmisch betont.

Der Promi-Saftladen auf der Suche nach Tiefgang 

Das Format versucht den Spagat zwischen Unterhaltung und Aufklärung, oberflächlicher Jugendkultur und kritischem Tiefgang, Lässigkeit und Produktionsaufwand, brisanten Lästereien und faktenbasierten Analysen – und scheitert dabei phänomenal. Eigentlich soll der heranwachsenden Generation die Augen geöffnet werden, sie sollen anhand von Promi-Klatsch lernen, kritisch zu sein und zu hinterfragen und sich vor allem nicht von jedem Social-Media-Mob mitreißen zu lassen. Doch in der Umsetzung werden die Videos nur Teil dieses Mobs, heizen ihn sogar noch an. Das beginnt bereits damit, dass Gizem zwar angeblich den Auftrag hat, jugendlich frisch aber faktenbasiert zu analysieren, doch bereits in der Format-Beschreibung steht, dass sie „immer wieder auch bewusst ihre persönliche Haltung zu dem Thema einfließen“ lässt. 

Ihr erstes Video vom 2. Oktober 2023 beginnt Gizem Celik mit dem Satz „Timothée Chalamet und Kylie Jenner sind fucking cute zusammen!“ In dem Video spekuliert die „Popkultur-Queen“ einfach nur, ob es sich bei der Beziehung zwischen dem Schauspieler und dem Reality-Show-Star und Teil des Kardashian-Clans um eine echte Liebesbeziehung oder eine PR-Kampagne handelt. Zu einem Ergebnis kommt sie nicht, sie bringt auch nichts Neues in die „Diskussion“ ein, die ohnehin kaum in Deutschland stattfindet – sie hat nur ihre Meinung, ohne jeden faktischen Anhaltspunkt.

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In ihren ersten Videos gibt sich Gizem aber zumindest noch ein bisschen Mühe, pseudointellektuelle Tiefe in ihre Videos einzubringen. Das besteht meistens darin, dass sie in Shitstorms sexistische oder rassistische Muster erkennt. Sie fragt sich: Ist es rassistisch, wenn Adele gegen Beyonce gewinnt? Irgendwann lässt die Gesellschaftskritik in ihren Videos nach, was dann aber bedeutet, dass sie im Grunde nur noch die Spekulationen der Gerüchteküche zusammenträgt. „Ist Kim Kardashian eine Heuchlerin?“, „Klaut Kylie Jenner Ideen?“ Ihre ach so faktenbasierten Videos sind dabei durchdrungen von „angeblich“ und „vermeintlich“. Manchmal kommen dabei ernste Themen wie Pädokriminalität ins Gespräch. Aufgrund des Algorithmus von TikTok müssen aber Wörter, die etwa den Begriff „Sex“ enthalten, zensiert werden – das tut Gizem meistens mit überlagerten Enten-Geräuschen. 

Die dümmste Generation aller Zeiten findet ihre Bienenkönigin? 

Ernsthaftigkeit und Seriosität waren fairerweise aber nie Ziel des Formats. Schon vergessen? Man will doch die Gen Z ansprechen – insbesondere den Teil, der auf TikTok lebt. Von dieser Generation scheinen die Produzenten der Sendung nicht sonderlich viel zu halten. In dem Video „Ist Doja Cat gefährlich?“ befasst man sich ernsthaft mit dem Gerücht, dass die US-amerikanische Rapperin Doja Cat ihre Seele an den Teufel verkauft hätte. Natürlich ein sehr wichtiges Thema, das ganz dringend Antworten braucht. Gizem beendet das Video mit der Lektion, man solle bei so „heiklen Themen“ immer kritisch sein, denn es könnte sich auch einfach um PR handeln. 

Und apropos PR: Sollte Ihnen der Titel „Beyond Gossip“ bekannt vorkommen, könnte es daran liegen, dass Apollo News erst in der vergangenen Woche, am 2. März, unter anderem über diesen Kanal berichtete. Das Format hat nur 155 Abonnenten auf YouTube und auf Instagram Achttausend. Einigermaßen erfolgreich ist „Beyond Gossip“ nur auf TikTok mit 22,2 Tausend Followern. Trotzdem oder gerade deshalb steckte Funk unter anderem für dieses Format viel Geld in bezahlte Werbung. Insgesamt zahlte der ÖRR nach unseren Recherchen über 400.000 Euro für eigene Formate auf Social Media.

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Dem obligatorischen Aufruf an ihre Fans am Ende jedes Videos, ihre Meinung zu dem Gossip in die Kommentare zu schreiben, folgt insbesondere auf Instagram und YouTube meist niemand. Dass das Format auf YouTube wenig Erfolg und Aufmerksamkeit bekommt, ist dabei angesichts ihrer Zielgruppe noch erklärbar. Jedoch ist der Mangel an Interaktion auf Instagram schon besorgniserregend, den Aufschwung von TikTok hin oder her. Und auch wenn sie auf TikTok nicht ganz so scheitert, kommen ihre Videos hier nicht mal regelmäßig auf über hundert Kommentare. Die Debatten, die sie nach eigener Auffassung mit ihren Videos lostreten will, lassen dabei zu wünschen übrig oder bleiben vollkommen aus. Gizem begibt sich völlig umsonst auf das Niveau des Mariannengrabens herab, denn da ist niemand zu Hause. 

Der ÖRR scheitert sogar an Klatschmeldungen 

Der Grund für den Misserfolg ist dabei nicht grade schwer zu finden. Zum einen ist die Generation Z nicht so oberflächlich und minderbemittelt, wie es gerne verallgemeinert wird. „Beyond Gossip“ ist selbst auf ein Klischee hereingefallen, wie es sie doch eigentlich bekämpfen soll. Zum anderen mag es eine starke Marketing-Leistung sein, solche billigen Videos als Bildungsfernsehen zu verkaufen. Doch es ist dagegen weniger gerissen, die gesamte Karriere auf Kurzvideos über Klatsch aufzubauen und dabei nicht mal vernünftig recherchieren zu können. 

Besonders eindrücklich zeigt das das Video zu dem aufstrebenden Hollywood-Star Sydney Sweeney. Sydney wird in der Branche als die moderne Marilyn Monroe gehandelt: Blondes Haar, unschuldiges Gesicht, eine Oberweite die kaum zu übersehen ist. Gizem kritisiert Sydney dafür, in der neuen Liebes-Komödie „Wo die Liebe hinfällt“ mitzuspielen, da das von ihrem Schauspieltalent ablenken würde und dafür sorgen könnte, dass sie in Zukunft keine ernsthaften Projekte mehr machen kann. Sie würde sie gerne mal in einem Horrorfilm sehen, verkündet Gizem. Was als feministisch motivierter Aufruf zur Abkehr vom Sexobjekt hin zum Ausnahmetalent gemeint war, ist aber genau das Gegenteil. 

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Im März dieses Jahres wird der Horrorfilm „Immaculate“ international in die Kinos kommen. Hauptrolle: Sydney Sweeney. Und nicht nur das: Sweeney arbeitete an dem Film auch als Producerin mit. Ihr wird außerdem zugeschrieben, den Film, dessen Konzept kurzzeitig verworfen wurde, entscheidend wieder ins Leben gerufen zu haben. Sydneys Rolle in dem Film wurde bereits im Oktober 2022 bekannt gegeben, Gizem hätte das also wissen können. Ein kleiner Blick auf den Wikipedia-Eintrag der Schauspielerin hätte zudem ergeben, dass Sweeney ihre Karriere bereits im Alter von 12 Jahren mit Nebenrollen in verschiedenen Horror-Filmen begonnen hatte. Doch das alles hätte nicht in das Bild des blonden Opfers der patriarchalen Filmindustrie gepasst. Also ignoriert Gizem es einfach. 

Kein Journalismus, kein Niveau  

Eine Hommage an die Popkultur soll die Videoreihe sein, eine Unterhaltung auf Augenhöhe. Doch das fällt flach. Vielleicht liegt es daran, dass Gizem selbst 25 Jahre alt ist, von Funk aber als „Teil der Zielgruppe“ bezeichnet wird, welche die Plattform in einer Presserklärung wiederum selbst als „14 – 20 Jahre“ definiert hat. Die Moderatorin ist eben doch keine Muttersprachlerin in der Jugendkultur, die sie sich hauptberuflich aneignet. Wie krampfhaft sie sich als solche aber doch ausgibt, merkt auch eine 14-jährige TikTok-Userin, die an den Teufel glaubt. 

Dazu kommt: Es gibt zahllose Accounts wie „Beyond Gossip“. Eine 15-Jährige könnte sich nach der Schule an ihr Smartphone setzten und nach einer Stunde Google-Recherche und Selfie-Dreh die gleichen Videos produzieren, vielleicht mit etwas schlechterer Video-Qualität. Es ist schneller Content, der mit minimalem Aufwand große Reichweite erzielen kann – oder auch nicht, wenn man sich die tatsächliche Reichweite des Accounts anschaut.

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Gizems Account baut weniger auf Originalität auf, immerhin kopiert sie die Zielgruppe, die sie erreichen will. Das Konzept baut auf Gizem auf – auf ihrer Meinung, ihrer Lieblingsmusik, ihren Lieblingsfilmen. Man hat sich den TikTok-Erfolg zu einfach vorgestellt. Es reicht nicht (mehr), eine junge, hübsche Frau vor die Kamera zu stellen. Persönlichkeit trägt sich nur bedingt von selbst. Und ob sich Gizems Persönlichkeit überhaupt selbst tragen kann, kann man gar nicht beurteilen, da ihre gesamte Art ja vollkommen aufgesetzt ist. 

Gen Z hat so seine Eigenheiten und Schwächen. Doch wenn „Beyond Gossip“ eins beweist, dann dass sie eben doch nicht so berechenbar und einfach gestrickt ist, wie man glaubt. Ja, sie sind leichtgläubig, ja sie sind naiv. Doch wenn Gizem und die Produzenten ihres Formats mal ehrlich sind, wollen sie daran doch gar nichts ändern. Die Promi-Welt ist ein faktenfreier Raum – gezeichnet von Spekulationen, unbekannten Insidern und Gerüchten. Dagegen ankommen kann man – das hat jüngst der Jonny Depp/Amber Heard Fall eindrücklich gezeigt – im Zweifel nicht mal mit Gerichtsdokumenten. Die Vorstellung, man könnte mit, in Collagen zusammengetragenen, Zeitungsartikeln und weiblicher Intuition gegen diese Faktenfreiheit angehen und Aufklärung betreiben, ist bestenfalls naiv. 

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