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Wie feiert man den deutschen Nationalfeiertag?

Zum 35. Jahrestag der deutschen Einheit bleibt es absolut still. Die Bezüge sind verloren gegangen, maximal im Osten erzählt man sich noch Geschichten von früher. Unsere Autorin berichtet von einer Reise nach Paris, die erst zeigt, wie skurril das alles ist.

imago images/Günter Schneider

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Als ich 18 Jahre alt war, ganz frisch nach meinem Schulabschluss, bin ich mit einer Schulfreundin nach Paris gereist. Wir hatten Zugtickets gewonnen, mit denen wir überall in Europa reisen durften. Der deutsche ICE war kaputt und fuhr nur mit halber Geschwindigkeit, sodass wir beinahe unseren Anschlusszug verpasst hätten, den letzten TGV, der an dem Abend noch nach Frankreich gefahren ist. Das billigste Hotel, das wir relativ kurzfristig in der Pariser Innenstadt gefunden hatten, war in einem heruntergekommenen Haus in einer kleinen Seitengasse gelegen. Auf der anderen Straßenseite, auf unserer Etage, wohnte eine junge Frau, die jeden Abend mit einem Glas Wein auf ihrem Balkon ihre Rosen schnitt. 

Nachts teilten wir uns ein Bett, tagsüber geisterten wir durch die Stadt und klapperten jede Sehenswürdigkeit ab, die man mal gesehen haben muss, und spätestens um 10 Uhr abends waren wir wieder im Bett. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass wir vor allem deshalb Freundinnen waren, weil wir beide kein Interesse an Partys hatten. Sie hätten mal sehen sollen, wie wir es mit Kräutertee und Kartenspielen auf unserer gemeinsamen Feier zum 18. Geburtstag krachen lassen haben. Einen Tag verbrachten wir in Disneyland, einen in und um Versailles, wir waren in jedem Museum außer dem Louvre und haben Voltaires Grab besucht und uns regelmäßig verlaufen. 

Es war genau so, wie man sich eine von 18-Jährigen organisierte „Bildungsreise“ vorstellen würde. Trotz Französisch-Leistungskurs sprach meine Freundin ungefähr so viel Französisch wie ich und so hing unser Überleben an der Gnade der wenigen Pariser, die Englisch nicht gänzlich boykottierten und auch bei hörbarem deutschen Akzent mal kurz über die Schlacht von Sedan hinwegsehen konnten. 

Der Tag, den wir für den Eiffelturm vorgesehen hatten, war der 14. Juli – französischer Nationalfeiertag. Wir hatten unseren Aufenthalt in Frankreich nicht deshalb auf diesen Zeitraum gelegt. Unsere Mütter wären auch ganz froh gewesen, wenn wir die Reise verschoben hätten, krank vor Sorge, dass ihre Töchter einem Terroranschlag zum Opfer fallen könnten. Aber auch langweilige Teenager halten sich für unsterblich und das Hotel hätte später mehr gekostet. 

Die Straßenlaternen waren mit Flaggen geschmückt, den ganzen Tag flogen Militärflugzeuge in V-Formationen über die Stadt, es gab eine Militärparade, wir hätten wohl Macron sehen können, aber auf die Menschenmenge hatten wir keine Lust. Den krönenden Abschluss fand der Tag dann am Abend vor dem Eiffelturm. Zum Eiffelturm hin war eine Bühne aufgebaut, auf der man von weitem ein Orchester erahnen konnte. Das stimmte irgendwann gemeinsam mit Opernsängern die französische Nationalhymne an. Durch Lautsprecher wurde sie in einer bemerkenswerten Akustik über den gesamten Park getragen und die hunderten versammelten Menschen stimmten mit ein. Sie wurde so oft wiederholt, bis auch wir mitsingen konnten. Mangels Französischkenntnissen und Allgemeinbildung über unser Nachbarland brauchten wir uns über den tatsächlichen Inhalt der Hymne keine Sorgen machen. Und so standen wir da, in der Menschenmenge auf der Wiese, sangen die Nationalhymne einer fremden Nation und fühlten ein seltsames, neues Gefühl, das wir erst später als Gemeinschaftsgefühl identifizieren konnten. 

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Meine Freundin hat die deutsche Nationalhymne nie ganz gelernt und sah das auch nie als etwas an, was man ändern müsste. Wann braucht man die schon. Wir waren eigentlich nur auf diese Wiese geraten, weil wir uns das Feuerwerk-Spektakel anschauen wollten, das für den Sonnenuntergang geplant war. Dann stimmte das Orchester ein Lied an, das uns sehr viel bekannter war: die „Ode an die Freude“ beziehungsweise die „Europahymne“. Offiziell ohne Text, aber man kann keiner eingesungenen Menschenmasse ein Lied vorspielen, zu dem eigentlich ein Text gehört, ohne dass sie zumindest sinnfreie Wortfetzen brüllt. 

Und so standen wir nun da, in der Menschenmenge, die sich inzwischen in den Armen lag und Feuerzeuge schwenkte und sangen am französischen Nationalfeiertag in der französischen Hauptstadt ein deutsches Lied. Wie gerührt und voller Elan die Leute um uns herum textsicher Laililualalala sangen, kitzelte selbst aus meiner Freundin ein kleines bisschen Nationalstolz heraus. Das war wahrscheinlich der aufregendste Nationalfeiertag, den wir beide je erlebt haben. 

Ich kann die deutsche Hymne auswendig und habe mehr Bezug zum Mauerfall als meine „Wessi-Freunde“, weiß aber auch nicht so ganz, was ich an unserem eigenen Nationalfeiertag machen soll. Ich habe das Grundgesetz studiumsbedingt mehrfach griffbereit, ich könnte mir eine Gesetzessammlung schnappen, zur Ordnungsnummer 1 aufschlagen und mit einer Hand auf dem Buch und der anderen auf der Brust die deutsche Nationalhymne singen, das kommt mir allerdings etwas sehr gezwungen vor. Ansonsten könnte ich extra irgendwas mit Sauerkraut essen und da geht mein Ideenreichtum auch schon an sein Ende. 

Als erstes Wessi-Kind in einer puren Ossi-Familie bin ich gewissermaßen ein Ergebnis der Deutschen Einheit. Meine Familie hat zumindest immer die Tradition gehabt, dass uns unsere Eltern vom Osten erzählt haben. Das hat sich nur gering von anderen Tagen unterschieden, war aber datumstechnisch etwas zugespitzter. Meine Altersgenossen aus dem puren Westen haben da gar keine Chance. In Berlin kann man mal auf Westberliner stoßen, die damals an der Mauer gestanden haben und ihren Kindern davon erzählen können. Ansonsten haben schon die meisten Wessi-Eltern keinen Bezug dazu und müssen selbst auf ihren Geschichtsunterricht zurückgreifen. 

Eigentlich haben wir alle keine wirkliche Chance, ein bisschen Leben in den 3. Oktober zu bringen. Schon am 03.10.1990 berichtete die Tagesschau in ihrer 8-Uhr-Nachrichtensendung, die man heute noch auf YouTube schauen kann, dass die Stimmung sich an diesem Tage eher in Grenzen gehalten hat. In den alten Bundesländern kam es zu vereinzelten Kundgebungen, in den neuen Bundesländern wurde die Wiedervereinigung „deutlich lebhafter“ begrüßt – „Allerorten fröhlich, aber längst nicht so überschwänglich wie am 9. November.“

„Schwarz-rot-goldene Fahnen waren nur noch spärlich zu sehen“, es gibt Feiern, „aber die Menschen verfallen in keinen nationalen Überschwang oder gar Rausch“. Mit Blick auf den Osten wird von „nur gedämpft freudiger Erregung“ berichtet, selbst in Leipzig „schlug das nationale Herz, aber es überschlug sich nicht“. Wenn schon die Zeitzeugen nur gedämpft erregt waren, kann man von uns heute keine große Freude erwarten. Heute ist der Tag der Deutschen Einheit ein Tag der Gleichgültigkeit und Enttäuschung. Gleichgültig sind vor allem die Wessis, enttäuscht die Ossis, da die freie Bundesrepublik hinter den Erwartungen zurückbleibt. 

30 Jahre später ist Berlin nicht nur nicht überschwänglich oder berauscht, sondern still und verlassen. Die Verfassungsorgane sind nach Saarbrücken ausgeflogen, zu einem sehr unfestlichen Festakt. Das Einzige, was an die Wiedervereinigung erinnert, ist Friedrich Merz – mit seiner Neigung zum Umfallen, wie einst die Berliner Mauer. Seine Mahnung, Deutschland habe keine Zeit für Pessimismus erinnert blass an eine längst vergangene deutsche Effizienz. Eine Parallele zu meinem Paris-Erlebnis gibt es schon: Man hätte wieder Macron sehen können, wenn man das gewollt hätte. Weder damals noch heute gibt er aber den Ausschlag für eine gute Party. 

Die Politiker sind noch auf ihre Kosten gekommen. In der FAZ kann man unter der Zeile „Klavier für den Kanzler“ nachlesen, dass die höchsten deutschen Verfassungsorgane sich von einem Dreisternekoch bekochen lassen haben. Was für ein schönes symbolisches Zeichen mitten in der Wirtschaftskrise. Und auch nichts, was ich zu Hause nachmachen könnte. Ich bin ehrlich, ich habe den Artikel nicht gelesen, es war mir kein Probeabo wert herauszufinden, ob Kohlrouladen in Gedenken an den Kanzler der Einheit serviert wurden oder ob vielleicht Fisch sowohl aus der Nord- als auch aus Ostsee serviert wurde. 

Ich bin inzwischen dazu übergegangen, am Tag der Deutschen Einheit zu arbeiten. Auch wenn das deutsche Bruttosozialprodukt nicht mehr zur Motivation anregt, weil uns selbst die kleine Freude einer gesunden Wirtschaft genommen wurde, erscheint es mir sinnvoller, als den Tag über dahinzuvegetieren. Wenn ich irgendwann Kinder habe, lade ich die am Nationalfeiertag bei ihren Großeltern für DDR-Geschichten ab, damit wenigstens eine Tradition erhalten bleibt. 

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15 Kommentare

  • Köstlich, traurig, zutreffend. Vielen Dank für einen der besten Kommentare zum 3.10.
    Apollo sollte ein Fest am 9.11. veranstalten!

    • Zustimmung! Der 17. Juni wäre allerdings der bessere Tag – falls dieses Datum noch jemandem etwas sagt. Frau David kennt es ganz sicher.

  • Gerade in Westdeutschland kursieren viele Deutschland-Hasser. Trittin, Baerbock, Habeck, Esken sind nur der Ausdruck dessen, welche Ideologie sich in Westdeutschland entwickelt hat.

    • Die Deutschen dürfen ihre Fahnen nur noch im „Disney Land“ Fussballstadion genannt schwenken. Aber auch nur unter Verdacht es könnte sich hier um Nazis handeln.

  • Als Ossi muss man sich doch verschaukelt vorkommen. Oder endet die Vereinigung Deutschlands an der ehemaligen Grenze? Oder ist es nicht so, dass diese Menschen im hohen Umfang die AfD wählen? Nur ist es mittlerweile aber auch so, dass das gemeinsame Deutschland diese Partei als stärkste Partei sieht. Vielleicht kann ja da ein gemeinsames Gefühl für unser Land entstehen.

  • Leider habe ich am 03.10. Geburtstag…und der Tag wird für mich immer hässlicher, wenn ich nur an das linke politische Theater denke!

    • Trotzdem Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! 😉

  • Wäre die Müllabfuhr nicht verschoben, hätte ich gar nicht bemerkt, dass heute Tag der Deutschen Einheit ist
    Stell dir vor, es ist Tag der Deutschen Einheit – und keiner feiert (mit)?

  • Der Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahr der Einheit hat gezeigt, dass es durchaus einen deutschen Nationalstolz gibt. Doch irgendwie ist dieser Patriotismus sehr verkümmert und ich verbinde mit „Deutschland, Deutschland“-Gesängen gemischte Gefühle.

  • Zitat: Wie feiert man den deutschen Nationalfeiertag?
    Antwort: Gar Nicht!!!
    Der „Nationalfeiertag ist der 17.Juni!!!“
    Die „DDR 2.0“,gibt keinen Anlass zu feiern!!! 🙁

  • …Das der „17. Juni“,nicht mehr als“Nationalfeiertag“celebriert wird,
    erklärt sich daraus aktuell:“Das sich jedliche „Rebellion“gegen Kommunismus
    auch auf die Derzeitige Diktatur übertragen lässt!!! 🙁

  • Am Brandenburger Tor wurde noch vor 35 Jahren die deutsche Einheit in einem Schwarz-Rot-Goldenen Fahnenmeer euphorisch gefeiert. Heute ziehen Banden von Links-grünen NGO- Söldnern durch die Städte und rufen zu neuem Holocaust an Juden auf. Es offenbart sich die Wiederauferstehung der hässlichen Fratze kommunistischer DDR- Nostalgiker. Eine solche Entwicklung war vor 35 Jahren unvorstellbar. Nur wenige ahnten diese nach der Installation der ehemaligen DDR- FDJ-Sekretärin für Propaganda und Agitation zur Bundeskanzlerin. Unter freundlicher Begleitung einer Kanzlersüchtigen Union.

  • Die politisch Verantwortlichen aus dem Altparteien-Kartell haben den Deutschen den Nationalstolz jahrelang ausgetrieben und in die Bedeutungslosigkeit zerbröselt.

    Eher gehört der Islam zu Deutschland als das man auf Deutschland stolz sein kann.
    IM Erika Merkel lebte es vor als sie nach dem Wahlsieg auf der Bühne einem Parteikollegen der eine kleine Deutschland Fahne schwenkte sie ihm aus der Hand riss und auf den Boden warf.

    • …Damit hat“Murkel“ auch“Deutschland“zu Boden gebracht!!! 🙁

      • @Torsten was IM Erika damals auf der Bühne veranstaltete wäre in der Schweiz unvorstellbar. Das ein Bundesrat in der Schweiz eine Schweizerfahne auf den Boden werfen würde da wäre die Hölle ausgebrochen .
        Es zeigt einmal mehr der wahre Charakter der ausgebildeten Stasi-Mitarbeiterin und Abrissbirne aus der Uckermark.

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