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Wie der Postkolonialismus den Holocaust bagatellisiert

Holocaustrelativierung ist in Mode - zumindest in manchen pseudo-akademischen Kreisen. Ausgerechnet von Links kommt eine Bewegung, die die Singularität des Völkermordes an den Juden leugnen will. Denn die Opfer sind zu Weiß.

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Wie auch immer man zur Art und Weise der deutschen Erinnerungskultur steht: Dass der Holocaust historisch singulär ist, war unter Historikern lange unstrittig. Doch dieser Konsens ist untergraben und aufgeweicht. Es sind keine Rechten, die Schluss machen wollen mit der Erinnerung an Auschwitz; es sind keine nationalistischen Revisionisten, keine Holocaustleugner oder anderes Nazi-Pack, dass die Erinnerung an den Holocaust verwischen will. Seit einigen Jahren kriecht eine Ansicht in die Diskursräume der Geschichtswissenschaften, die die Shoa langsam aber sicher als eines von vielen Verbrechen bagatellisieren will. Sie kommt von Menschen, die ihre Rolle als Wissenschaftler längst mit der des Aktivisten vermischt haben.

Der australische Historiker Dirk Moses verkündete 2021, dass es höchste Zeit für die Deutschen sei, mit ihrer heraushebenden Erinnerung an den Holocaust aufzuhören. Er sprach von einer Quasi-Religion, einem „Erinnerungskatechismus“. Laut Moses strebten intellektuelle „Hohepriester“ in Deutschland nach der Anerkennung der „amerikanischen, britischen und israelischen Eliten“, indem sie den Holocaust als singuläres Verbrechen anerkennen. Infolgedessen sei es in Deutschland zu einer Häresie geworden, Vergleiche zwischen dem Holocaust und anderen Völkermorden, Formen des Rassismus und kolonialen Verbrechen zu ziehen.

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Noch im Massengrab sind Juden Profiteure von „White Privilege“

Der Postkolonialismus ist eine Denkschule, die sich akademisch tarnt. Tatsächlich ist er aber Auswuchs einer stumpfen Weltsicht, die wortwörtlich schwarz-weiß ist. Weiße sind privilegiert, Unterdrücker, „Colonizers“, und haben global-systemische Macht. Sie können dabei selbst keine Opfer von irgendwas sein. Bei Kritik an deutscher Holocaust-Erinnerung aus dieser Ecke schwingt auch mit: Den Juden als Holocaust-Opfern wird eigentlich nur so herausgehoben gedacht, weil sie selbst weiß sind. In dieser Denkweise sind die Opfer von Auschwitz selbst im Massengrab noch Profiteure von „White Privilege“. Immer mehr sogenannte Akademiker machen sich diese Sichtweise zu eigen.

Geschichte ist keine exakte Wissenschaft. Man kann aber sicher sagen: Eine direkte Linie vom Massenmord an den Herero und Nama zum Holocaust zu ziehen, ist falsch. Der Holocaust hat im deutschen Kolonialismus nicht seine Wurzeln, er ist nicht eine graduelle Steigerung der Gewalt, die Deutsche in Afrika ausübten. Ja: Es gab auch rassistische Kolonialverbrechen im Deutschen Reich, wie in so vielen anderen Kolonialnationen der Zeit. Einen Plan, die Indigenen der ganzen Welt oder eines größeren Gebiets systematisch zu ermorden, gab es nie. Es hat keine flächendeckende Ermordung von ganzen Bevölkerungen gegeben, die sozusagen anlasslos war, sich aus sich selbst heraus rechtfertigte. Beim Mord an den Juden im „Dritten Reich“ gab es diese zweifellos. Juden sollten als Juden, weil sie Juden waren, ausgerottet werden. Wenn das eine Kontinuität des Kolonialismus wäre, hätte es einen Holocaust eher in Frankreich, Großbritannien oder Belgien geben müssen – Länder, die auf eine viel brutalere Kolonialgeschichte zurückblickten als die Deutschen. Wie passt das also zusammen?

Sie sind zu Weiß: Die Verfolgung der Juden passt nicht in die Ideologie der postkolonialen Neo-Rassentheoretiker

Solche Fragen werden nicht gestellt: schon gar nicht von den Koryphäen der pseudo-akademischen Disziplinen des „Postkolonialismus“. Es passt einfach zu gut zu der gegenwärtigen Kultur des Generalverdachts gegen den weißen Mann, den Holocaust zu bagatellisieren. Immerhin waren seine Opfer auch „Weiß“. Die Juden, die in Auschwitz, Treblinka oder in den Todesgruben der Einsatzgruppen starben, waren Europäer. In so manchen akademisch-postkolonialen Kreisen gilt es daher als ausgemacht, dass der Holocaust einfach nur ein „white on white crime“ war – ein Verbrechen von Weißen an Weißen. Das stört in der ewigen Erzählung von weißen Europäern als Täter und schwarzen Afrikanern als Opfer. Es ist in den USA und somit auch in Aktivistenkreisen diesseits des Atlantiks schick geworden, den Holocaust hinter den Kolonialismus zu stellen. Der amerikanische Begriff von Rasse, auf dem diese Denkweise aufbaut, ist im europäischen Kontext absurd – dennoch wird er wie ein Fremdkörper in unseren akademischen Diskurs implantiert. Juden haben in diesem System kaum einen Platz. Ihre Geschichte passt nicht in eine Ideologie, in der Menschen mit weißer Hautfarbe immer nur Täter, niemals aber Opfer sein können. 

Die linke Berliner Aktivistin Debora Antmann beklagte schon 2020 in einem Artikel, dass „weiße Jüd*innen“ in der Dichotomie zwischen „Weiß“ und „BIPOC“ vergessen werden würden. „Mein ,weiß‘ kann niemals alleine stehen, es kann nur vor Jüdin stehen“, erklärt sie. Zweifellos ist sie selbst im Dogma der Identitätspolitik gefangen – das zeigt sich auch dadurch, dass sie sich im ganzen Artikel regelmäßig kritisch zu ihrem „Weißsein“ äußert. Aber ihre Phänomensbeschreibung bleibt akkurat: Juden stören in der rassifizierten, wortwörtlich schwarz-weißen Welt von Postkolonialismus und Wokeismus. Auch die toten Juden und die Erinnerung an sie. Hier reichen sich rechte und linke Extreme die Hand, wenn sie sagen: Eigentlich soll mit dem Gedenken an die Opfer des Holocausts langsam mal Schluss sein – wir haben Wichtigeres zu tun.

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