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Thomas Tuchel und der wehleidige Niedergang der deutschen Manager

Thomas Tuchel verliert und wirkt ratlos, sentimental, bitchig, dabei war er früher anders. Er gibt dem Niedergang des deutschen Managers ein Gesicht - in Sport, Wirtschaft und Politik. Statt Ideen hat man nur noch Attitüden.

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„Shawn, Shawn! Nach welchen Ideen spielst du hier Fußball?“, mit diesen Worten beginnt das legendärste Thomas Tuchel-Video, mittlerweile ein echter Running Gag. Es zeigt den jungen Trainer bei Mainz 05, wie er seine Mannschaft auf dem Trainingsplatz zusammenbrüllt. „Es ist kein einziger Ball dabei für unser Spiel. Es ist nur dein eigenes Spiel!“, schreit Tuchel über den Platz, „Du kommst ins Training und du machst nur, was du willst. Hier noch ein Trick, da noch ein Trick und hier noch eine Idee – und keine einzige klappt davon.“ Am Ende schießt er den Ball über den Platz und wirft trotzig hinterher: „Hier, könnt ihr hinterherlaufen“.

Eigentlich schon ein witziger Typ und Fußballtrainer, wie man ihn braucht: das richtige Maß an Härte, Enttäuschung, unfreiwilligem Humor und die notwendige Portion Wahnsinn für diesen Job. Doch das war einmal.

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Mittlerweile schwankt Thomas Tuchel mit asketischem Blick zwischen Allahu Akbar und Hare Krishna. Nach seinem Rauswurf beim FC Chelsea, wo er immerhin die Champions League gewann, ging er nach Indien und widmete sich einer wochenlangen Entgiftungskur, spricht beseelt von Veganismus. Früher bestand Tuchels Methode daraus, Stars dazu zu verpflichten, für die Mannschaft Frühstück einzukaufen.

Jetzt schwankt er in Interviews zwischen über-sentimentalem Geschwafel über „Meine Mannschaft“ und vernichtenden Lästereien über seine eigenen Spieler – meistens ignoriert er die Probleme aber einfach und will keine Erklärung liefern. Nach der neuesten Niederlage gegen den großen VfL Bochum sagte er: „Ich finde sie heute nicht gerecht. Es ist extrem viel gegen uns gelaufen. Wir haben einen xG-Wert von 3,4.“ xG heißt Expected Goals – das ist natürlich super.

Die Steve-Jobs-Attitüde

Hätte man in der G-Jugend angefangen über Expected Goals zu reden, hätte man vom leicht alkoholisierten Trainer Siggi mindestens fünf Runden um den Platz bekommen, wenn nicht Schlimmeres. Und jeder hätte gesagt: zu Recht. Vielleicht ist es Tuchels Ernährung, vielleicht der Einfluss eines ermatteten Deutschlands – aber von dem „Hier, könnt ihr hinterherlaufen“-Tuchel ist augenscheinlich wenig übrig.

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Fußball-Vergleiche mit Politik sind müßig, spätestens seit dem deutschen One-Love-Debakel in Katar. Erlauben Sie mir dennoch einige schiefe Vergleiche. Schließlich wollen Trainer heute ja nicht weniger sein als Manager. Manager: also geborene Anführer, Hinkrieger, Organisatoren und Strategen. Und davon hat Deutschland eine ganze Menge, jedenfalls was das Selbstbild angeht.

Es gibt kaum einen Dax-Manager, dem man länger als zwei Minuten zuhören kann. Timotheus Höttges, Aufsichtsratsmitglied beim FC Bayern und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, lässt gerne wahnsinnig geistreiche Sätze fallen wie: „Connectivity is a human right“. Neubauer-Freund und Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser war das Maß aller Dinge, was die Selbstaufgabe der deutschen Industrie anging. Ex-VW-Chef Herbert Dieß hielt sich in seinen großen, leeren Reden gar vermutlich für eine Art deutschen Elon Musk. Mercedes-Vorstandsvorsitzender Ola Källenius ist als Schwede wahrscheinlich noch derjenige, der am wenigsten sinnbefreite Anglizismen in pseudovisionären Reden verwendet.

Doch fast alle versuchen sich händeringend eine Art Steve-Jobs-Attitüde anzulegen. Ohne geht es nicht mehr. Nur leider gehört zum Visionär sein mehr dazu, als Rollkragenpullover zu tragen und Englisch zu sprechen. Jobs hat eben auch den Heim-Computer-Markt und das Smartphone für den Massenmarkt erfunden – mal davon abgesehen davon, dass er ein LSD-liebender überzeugter Hippie war, der glaubte, seine Ernährung als Frutarier mache regelmäßiges Duschen obsolet; seine mangelnde Körperhygiene war ein ernsthaftes Hindernis für den Aufstieg von Apple.

Doch aus dieser bunten Mischung hatte er nun mal leuchtende Augen und konnte mit Sätzen wie „Everything was made up by people that were no smarter than you“ Generationen faszinieren. Dem ansonsten eher ideenlosen deutschen Manager nimmt man das wenig ab, auch wenn er seine Krawatte ablegt – das macht es nur noch schlimmer. Es gäbe andere Idole.

Ende eines deutschen Traums

Aus Detlev Rohwedder wurde Joe Kaeser. Aus Jupp Heynckes wurden die Tuchel-Bayern. Was für ein Abstieg. Nicht in allererster Linie in den Aktienkursen und Tabellenständen. Sondern vielmehr in der Frage, wofür dieses Land eigentlich noch steht. Unternehmensführer waren das Ideal der Bürgergesellschaft und zu Fußballtrainern schaute man gleichsam auf, als man jünger war. Doch die Persönlichkeits-Leuchttürme der Gesellschaft sind einer Managerszene gewichen, die mit der Sache selbst nichts mehr zu tun haben will. Insofern könnte Thomas Tuchel auch als nächstes Siemens übernehmen und Joe Kaeser den FC Bayern trainieren, die Sprüche blieben dieselben.

Thomas Tuchel verkörpert auch den Niedergang des FC Bayern, geholt als letztes Wahnsinnsmanöver von Oliver Kahn, der die Prinzipien des Vereins geopfert hat, für seinen persönlichen Größenwahn. Der FC Bayern war der letzte Funken Wirtschaftswunder: Die Idee man könne durch in jahrzehntealte Fundamente gegossene Prinzipien, eisernes Unternehmertum und patriarchalen Zusammenhalt auch als normaler Club konkurrieren im unwirklichen, Milliarden-überschwemmten Markt des europäischen Spitzenfußballs. Mia san Mia, das war auch ein deutscher Traum: Die zur Metropole gewordene Provinz lehnt sich auf gegen die Gesetze der Zeit.

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Wir erleben nicht unbedingt das sportliche Ende des Vereins, aber das Ende seines Mythos, das Ende dieses Scheins. Und Thomas Tuchel gibt diesem Abstieg das treffende Gesicht einer bitchigen, wehleidigen, ideenlosen deutschen Managergeneration, die alten Erfolg bestenfalls noch verwaltet und modern angestrichen bekommt.

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