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Spitzenpolitikerinnen wollen weiblichen Bundespräsidenten durchsetzen – Feminismus als Karriere-Sprungbrett

Spitzenpolitikerinnen von SPD, FDP, CDU und den Grünen wollen sich auf eine Kandidatin für Bellevue einigen. Die nächste Bundespräsidentin soll 2027 unbedingt eine Frau werden.

Die letzte Wahl des Bundespräsidenten lief ungefähr genauso ab wie die Schülersprecherwahl an meiner Schule. Es dürfte so etwa 2018 gewesen sein, als sich die drei unsympathischsten Menschen, die ich bis dahin jemals gekannt habe, zusammen getan haben, um sich aufzustellen. Sie wurden gewählt. Wie? Indem sie sich mit allen anderen Kandidaten einfach zu einer großen Fraktion zusammenfanden, sodass es keine Konkurrenten mehr gab. Auf den Stimmzetteln stand nur Ja oder Nein zur Auswahl. Nicht wenige aus meiner Klasse kreuzten Nein an, doch damit waren wir eine radikale Minderheit. 

Über ihre Amtszeit hinweg hat die Blockpartei nichts auf die Reihe bekommen, war aber stets sehr zufrieden mit sich. Schülersprecher haben dem Namen nach die Aufgabe, die Schüler zu vertreten. Unsere setzten stattdessen ausschließlich durch, was sie selbst für richtig hielten, auch wenn es Kritik gab. Ihre Hauptbeschäftigung war es aber, das Versagen der Schulleitung vor uns zu verteidigen. Kritik übten sie an Lehrern oder der Schule keine, wenn sie dafür jemanden direkt angreifen mussten. Den Rest der Zeit heulten sie uns vor, dass sie ja so viel zu tun haben und dass sie das alles nur für uns taten. Ich blicke oft auf diese Zeit zurück – sie hat mich auf diesen Job perfekt vorbereitet. 

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Bei der Wahl, die Frank-Walter Steinmeier zum zweiten Mal zu Bundespräsidenten machte, stand zwar nicht Ja oder Nein zur Wahl – hätte es aber ruhig, es hätte keinen Unterschied gemacht. Er gewann im ersten Wahlgang mit 71 Prozent und damit war es das. Heute versteht er den Posten des Volksvertreters ähnlich wie meine ehemaligen Klassenkameraden den des Schülervertreters. Die Verantwortlichen müssen vor dem Volk vertreten werden. Wenn das Volk ihnen das Leben schwer machen, erzählt man ihm, dass das doch unangemessen ist und es zur Vernunft kommen soll. Ansprachen von Steinmeier sind immer mit erhobenem Zeigefinger gehalten. 

Wer interessiert sich schon für den Bundespräsidenten?

Angesichts der Ereignislosigkeit der letzten Wahl darf man damit rechnen, dass ein großer Teil der Bevölkerung nichts davon mitbekommen, geschweige denn sie verfolgt hat. Es ist das gleiche Gesicht, es ändert sich nichts, was soll die Tagesschau schon groß dazu sagen? Ohnehin hat man als Bürger gefühlt gar keinen Einfluss auf die Wahl. Für die meisten läuft es doch so ab: Sie gehen zum Wahllokal, weil ein Brief gesagt hat, dass sie das sollen. Da bekommen sie einen Zettel in die Hand gedrückt. Auf dem Zettel suchen sie dann zweimal die Farbe, Richtung oder das Kürzel, das sie wählen wollen. Die Namen daneben nehmen sie schon gar nicht wahr. 

Dann kommt das zu irgendeinem Ergebnis, plötzlich sitzen in irgendwelchen Plenarsälen dank ihnen Menschen, von denen sie noch nie was gehört haben. Im Landtag wählen diese unbekannten Menschen dann irgendwelche anderen unbekannten Menschen, die dann zusammen mit den unbekannten Menschen im Bundestag einen Menschen wählen, von dem man vielleicht mal was gehört hat. Es gab im Leben des Durchschnittsbürgers keine Möglichkeit, diesen Wahlprozess zu beeinflussen – ob man die SPD oder die CDU wählte, egal. Am Ende saß da Steinmeier. 

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Oh wie gerne unsere Politiker ihn doch einfach nochmal wählen würden. Nicht den Kopf zerbrechen, einfach das Kreuzchen machen und dann ist wieder für fünf Jahre Ruhe. Es ist kein Wunder, dass sich für das Amt des Bundespräsidenten ähnlich viel Opposition zusammengefunden hat, wie bei uns zur Schülersprecherwahl. Das eine Amt bestimmt, wer unterschreiben und winken darf, das andere, wer einen lobenden Eintrag ins Zeugnis bekommt. Wenn Sie sich jetzt gleich in die Fußgängerzone stellen und zufällig vorbeilaufende Passanten fragen würden, wer das Staatsoberhaupt Deutschlands ist, dann sagen 90 Prozent Olaf Scholz und 10 Prozent Angela Merkel.

Wird der nächste Präsident weiblich?

Nichts festigt diese Bedeutungslosigkeit so sehr, wie der Vorstoß einer Hand voll „Spitzenpolitikerinnen“, wie der Tagesspiegel sie nennt, die in eben dieser Zeitung zum Weltfrauentag am 8. März nun ihren Plan äußern, bei der nächsten Wahl eine Frau auf diesen Posten zu setzten. Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, meldet an: „Es wäre gut, wenn sich die demokratischen Parteien auf eine qualifizierte Frau als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten einigten.“ Schließlich wäre eine Ministerpräsidentin „eine Ermunterung für viele Frauen in Deutschland und darüber hinaus“. Sicher, die Vorbildfunktion für die Mädchen in Indien, die an alte Männer zwangsverheiratet werden, aber dank Deutschland wissen, dass sie alles werden können, ist natürlich eine Priorität bei der Wahl eines so wichtigen Postens. 

Lisa Paus (Grüne), Bundesfamilienministerin, schließt sich dem Vorhaben an: „Eine Kandidatin für die nächste Wahl über das deutsche Staatsoberhaupt würde ich als Bundesfrauenministerin sehr begrüßen.“ Parteikollegin Renate Künast pflichtet dem bei: „Es ist schon lange Zeit, eine Frau für das höchste Amt zu finden. Und ich hoffe, dass dazu rechtzeitig eine Bewegung entsteht.“

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Natürlich ist auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) mit von der Partie: „Es wird höchste Zeit, dass eine Frau ins Schloss Bellevue einzieht.“ Immerhin sei es nötig, „dieses Amt wieder mit politischen Leben zu füllen.“ Auch von der CDU fand sich eine Vertreterin. Karin Prien, die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und CDU-Vizechefin findet: „Wir leben in einer Zeit, in der eine besonnene Frau im Schloss Bellevue die Menschen zusammenführen, das Verbundene über das Trennende stellen und dabei jederzeit unmissverständlich zu den Werten unserer Gesellschaft stehen könnte.“ 

Gesucht ist also eine besonnene Frau, die eine Frau ist, und lebt, auch politisches Leben mit sich bringt und außerdem eine Frau ist. Kein besserer Tag, um diese Botschaft in die Welt zu bringen, als einen Tag vor dem Frauentag, drei Jahre vor der Wahl. Es ist natürlich richtig und wichtig, die Auswahl des obersten Staatsoberhauptes zu einem Kampagnen-Gag im Rahmen eines Feiertages zu machen. Aber nun mal halblang: Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt. Die setzt sich zusammen aus den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und einer gleichen Zahl von Mitgliedern, die von den Ländervolksvertretungen gewählt werden. Und wohl bemerkt ist die Wahl erst 2027. 

2027 – noch drei Jahre und drei Weltuntergänge entfernt

Gehen wir mal davon aus, die Zeitreise-Whistleblower von TikTok haben nicht recht und die Weltbevölkerung ist bis 2027 nicht durch einen Alienkrieg gänzlich ausgerottet. Und dass wir uns auch nicht mit einem Riesen-Asteroideneinschlag werden beschäftigen müssen, den Weltraumexperten 2017 mit einer 96-prozentigen Wahrscheinlichkeit für 2027 prophezeiten. Und dass uns die für 2027 von der UN-Organisation angesagte Rekordtemperatur infolge der Klimakatastrophe nicht alle zu Tode kocht. Dann kann bis 2027 immer noch viel passieren. 

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Wir wissen nicht mal annähernd, wer 2027 als Bundestagsmitglied von Amts wegen in der Bundesversammlung sitzen wird und zu einem großen Teil auch nicht, wer die Landesvertreter sein werden, die dann die übrigen Mitglieder ernennen werden. Im September werden Sachsen, Thüringen und Brandenburg ihre Landtage neu wählen. 2025 steht die Bürgerschaftswahl in Hamburg an und natürlich wieder die Bundestagswahl. Im Frühjahr 2026 wählen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ihre Landtage neu, im Herbst 2026 sind das Berliner Abgeordnetenhaus und der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern dran. Und dann, im Frühjahr 2027, ist erst die Bundespräsidentenwahl dran. 

Malu Dreyer will sich auf eine Kandidatin einigen? Sie sollte lieber erstmal schauen, dass sie 2026 zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ihren Posten nicht verliert. Lisa Paus meldet Wünsche für die oberste Position des Landes an? Sie sollte lieber erstmal hoffen, dass man sie wieder in den Bundestag lässt. Strack-Zimmermann sollte sich lieber auf den EU-Wahlkampf konzentrieren, denn wenn man sich die Umfragen so anschaut, wird sie 2027 die einzige FDPlerin mit Posten sein. Und Karin Prien sollte lieber gucken, ob sich die CDU bis dahin nicht in ihre Bestandteile zerspalten hat, sonst ist sie Vizepräsidentin von sich selbst. Und wer war Renate Künast noch mal? Wir nehmen also mit: Ein paar Politikerinnen, die bis zur Wahl vielleicht nicht mehr relevant sind, melden Extra-Wünsche an. Was wissen die Damen, was wir nicht wissen? 

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