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Vorbeugung nichtinfektiöser Krankheiten

RKI-Entmachtung: Lauterbachs dubiose Pläne für eine neue Präventionsbehörde

Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant die Schaffung eines neuen Präventionsinstituts für die Vorbeugung nichtübertragbarer Krankheiten. Doch bereits bevor die neue Behörde überhaupt ihre Tätigkeit aufgenommen hat, hagelt es Kritik aus der Fachwelt.

Der im gemeinsamen Koalitionsvertrag von SPD, FDP und den Grünen 2021 formulierten Ankündigung, ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit aufzubauen, in dem „die Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes“ angesiedelt sind, hat Karl Lauterbach Anfang Oktober erste Taten folgen lassen.

In der Bundespressekonferenz stellte er seine Pläne für das „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ (BIPAM) vor, das zum Jahresbeginn 2025 seine Arbeit aufnehmen und „Prävention, Gesundheitskompetenz, öffentlichen Gesundheitsdienst, Forschung und Kommunikation“ in Deutschland verbessern soll. Die Notwendigkeit dieser dem Gesundheitsministerium nachgeordneten Bundesbehörde begründete Lauterbach unter anderem mit dem Missverhältnis zwischen den EU-weit höchsten Gesundheitsausgaben und der aber nur durchschnittlichen Lebenserwartung in Deutschland. Lauterbach zufolge fehle es „an wirksamer Vorbeugung“, weil „unser System zu stark auf Behandlung schon bestehender Krankheit ausgerichtet“ sei. 

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Aufgabenbereich des RKI wird begrenzt

Konkret soll sich das BIPAM, in der auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aufgehen wird, um die Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen, wie z.B. Krebs, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen kümmern. Das bislang dafür zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) bleibt zwar bestehen, wird in seinem Tätigkeitsbereich aber eingeschränkt und soll fortan nur noch auf die Abwehr von Infektionskrankheiten ausgelegt sein. 

Im Gesundheitsministerium selbst sieht man in der angedachten Reform der Gesundheitsbehörden einen Wandel hin zu einem umfassenden Ansatz für Gesundheit, der sich von der alleinigen Konzentration auf behandelnde Gesundheitssysteme hin zu einer sinnvollen Kombination aus Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung bewegt. Ziel sei es, die Lebensqualität zu verbessern, die Lebenserwartung zu verlängern und gleichzeitig die Kosten im Gesundheits- und Sozialsystem zu reduzieren.

Die Aufgaben des neu zu schaffenden Instituts sollen die Auswertung von Gesundheitsdaten, Gesundheitskommunikation auf Basis valider Informationen, Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie die Identifikation, Verhütung und Bekämpfung von nicht übertragbaren Krankheiten umfassen. Zudem betreibt das Institut epidemiologische Forschung und unterstützt Studien zur Verbesserung der Primärprävention. Ein weiteres Ziel ist der Aufbau eines Centers of Excellence für Modellierer im Gesundheitswesen.

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Scharfe Kritik von Fachgesellschaften

Seit Veröffentlichung der Konzeption sowie den konkreten Aufgaben und Zuständigkeiten des neuen Präventionsinstituts haben sich eine Reihe von Fachgesellschaften und Wissenschaftlern mit erheblicher Kritik an den Plänen Lauterbachs zu Wort gemeldet. Darunter die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) und das Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (EbM). 

Die beiden erstgenannten plädieren so in einer gemeinsamen Pressemitteilung für dringende Korrekturen. Ihre Kritik setzt dabei schon beim Namen des neuen Instituts an, vermittele dieser bereits eine zu enge Begrenzung auf medizinische Aspekte von Gesundheit und Prävention. Schließlich lägen zahlreiche Ursachen von Krankheit und Tod außerhalb des Einflussbereichs des medizinischen Versorgungssystems und viel mehr in „gesundheitsschädlichen Umwelt- und Lebensbedingungen, die auch das Gesundheitsverhalten wesentlich bestimmen“ begründet.

Wirksame Prävention müsse daher, so DGSMP und DGPH weiter, statt mittels Aufklärungsprogrammen auf individuelle Verhaltensänderungen zu zielen, die konkreten Lebensverhältnisse der Menschen verbessern. Insgesamt bemängeln die beiden Fachgesellschaften, dass das Thema der Gesundheitsförderung zu wenig Beachtung erfahre und dass sinnvolle Prävention über rein medizinische Maßnahmen hinausgehen müsse.

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„Gefahr eines Rückschrittes“  

Professor Ansgar Gerhardus, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH) kritisiert daher: „Der Koalitionsvertrag hat einen großen Sprung nach vorne versprochen. Mit dem jetzigen Konzept besteht dagegen die Gefahr eines Rückschritts.“

Aus seiner Sicht bräuchte es viel mehr einen „ressortübergreifenden Fokus auf die gesellschaftlichen Verhältnisse“. Dass das Prinzip der gebündelten Verantwortung für Public Health in einer Behörde – bisher war das das RKI –  mit der Schaffung des BIPAM aufgegeben wird, kritisiert auch eine Autorengruppe im Deutschen Ärzteblatt als „künstliche Trennung“ und „Deutschlands Sonderweg“. Warum es für übertragbare und nichtübertragbare Krankheiten jeweils eigene Bundesbehörden geben solle, erschließt sich ihnen nicht. Die Beschneidung der Zuständigkeit des RKI allein auf infektiöse Erkrankungen halten sie „aus wissenschaftlich-strategischer Sicht“ für „problematisch“.

EbM: „konzeptionell falsche Richtung“

In die gleiche Kerbe schlägt auch eine kürzlich unter der Überschrift „Bessere Prävention mit neuem Bundesinstitut, Cholesterin- und Diabetes-Screening? Wir brauchen Evidenz statt Aktionismus!“ veröffentlichte Stellungnahme des Deutschen Netzwerks für evidenzbasierte Medizin (EbM). Aus ihrer Sicht gehen „die aktuellen Pläne des BMG konzeptionell in eine falsche Richtung“.

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Auch das EbM – zu dessen Gründungsmitgliedern pikanterweise auch Karl Lauterbach gehört – äußert scharfe Kritik am Fokus des neuen Instituts auf medizinnahe individuelle Präventionsmaßnahmen, anstatt das Geld dort zu investieren, wo man reell zur Verbesserung der Lebensbedingungen benachteiligter Bevölkerungsgruppen beitragen könnte. Zudem zeuge die Ausrichtung von einem „nicht mehr zeitgemäßen Präventionsansatz“.

Um wirklich einen Beitrag zur Bevölkerungsgesundheit zu leisten, bräuchte das BIPAM zusätzliche Kompetenzen in Bereichen wie Soziologie, Bildung, Pflege, Psychologie, Umwelt, Städte- und Verkehrsplanung. Als besonders problematisch erachtet das EbM auch die direkte Anbindung des Instituts an das Gesundheitsministerium und seine sich daraus zwangsläufig ergebende politische Abhängigkeit. Beim EbM befürchtet man deshalb, „dass politisch opportune, aber wissenschaftlich fragliche Maßnahmen gegenüber politisch unbequemen, aber inhaltlich richtigen Vorschlägen bevorzugt werden“ könnten.

Handeln ohne Evidenz und Evaluation

Wesentlicher Aufhänger für die Kritik des EbM ist insbesondere ein „Impulspapier“ des Gesundheitsministeriums, in dem vier Handlungsfelder zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen abgesteckt werden, die unter anderem auch mehr Früherkennungsuntersuchungen sowie Cholesterin- und Diabetes-Screenings umfassen. Mit diesen „wissenschaftlich mehr als fragwürdigen“ Gesundheitsleistungen, deren Wirksamkeit in randomisiert kontrollierten Studien bisher nicht nachgewiesen werden konnte, laufe man „Gefahr, die Medikalisierung der Gesellschaft zu verstärken“, ohne dabei dem Ziel der Verbesserung der Gesundheit und einer Steigerung der Lebenserwartung ansatzweise näherzukommen.

Sollte dennoch an den genannten Maßnahmen festgehalten werden, müsste parallel eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation erfolgen, die zumindest ex post Auskunft über Sinnhaftigkeit und Erfolg der Maßnahmen liefern. Da auf dieses Vorgehen seitens des BMG bislang aber überhaupt nichts hindeutet, konstatiert das EbM kritisch, dass die aktuellen Pläne im Widerspruch zu den Grundsätzen evidenzbasierter Gesundheitspolitik stünden.

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