Propagandasieg? Im Tucker-Interview entzaubert Putin sich doch selbst
Das Interview von Tucker Carlson mit Wladimir Putin ist weder ein Propagandasieg noch glänzte Carlson mit besonders kritischen Nachhaken. Man kann ihm vielmehr dabei zusehen, wie er sich vom Kreml-Chef entfremdet.
In der Nacht auf Freitag war es dann so weit: Das Tucker-Carlson-Interview mit Wladimir Putin wurde veröffentlicht. Und eigentlich wurden alle Seiten enttäuscht: Weder glänzte das Interview mit sonderlich taffer oder kritischer Nachfrage, noch konnte Putin im neuen positiven Licht erscheinen.
Zu Beginn – oder besser gesagt für fast die Hälfte des zweistündigen Interviews – referierte Putin eine ungefragte Geschichtsstunde, in der die letzten 500 Jahre russischer und osteuropäischer Geschichte abklapperte, statt die Fragen Tuckers zu beantworten. An mancher Stelle ging er sogar noch weiter zurück und sprach über das römische Reich und Konstantinopel. Das Internet wird überzogen von Memes von einem verdutzten Tucker, dem Putin ungefragt alles Mögliche aus Menschheitsgeschichte erzählt – alles außer seine Fragen zu beantworten.
Carlson versuchte gleich mehrfach zu intervenieren und ihn endlich zu konkreten Antworten zum Krieg zu drängen – doch keine Chance. Putin blockte ab und riss nach den Unterbrechungen direkt Sprüche darüber, ob das eine „Unterhaltungsshow oder ernsthaftes Gespräch“ sei – obwohl Tucker ihm gegenüber zweifellos wohlgesonnen war. Putin hatte an diesem psychologischen Manöver sichtlich seine Freude, Tucker selbst sagte im Vorspann, dass er sich von Putins Ausschweifungen an Filibuster erinnert fühlte, also die Taktik im US-Senat durch stundenlanges Reden Abstimmungen zu verzögern.
Die Situation schafft allerdings für den Zuseher eine bemerkenswerte Atmosphäre, in der vielleicht auch Putins KGB-Schule sichtbar wird – er spielt mit seinem Gegenüber, demütigt ihn, agiert mehr auf psychologischer, als auf inhaltlicher Ebene. Tucker lächelt nervös. Fast wirkt es so, als ob er Angst davor hat, Putin könnte jederzeit mit dem Finger schnipsen und Carlson ins Gefängnis stecken. Dementsprechend ängstlich kommt er bei manchen Fragen herüber, man kann das aber durchaus verstehen. Auch wenn Carlson – und das muss man ihm zugutehalten – Putin zur Inhaftierung des Wall Street Journal-Reporters Evan Gershkovich fragte und ihn mehrfach darauf drängte, Gershkovich freizulassen. Zu sagen, dass Tucker hier eine reine Propaganda-Show für Putin veranstaltete, wäre überzogen – vielmehr schien er meist eingeschüchtert und überfordert.
Der Verlierer der Sendung ist jedenfalls Putin, der die ideale Möglichkeit zu einem Propagandasieg verstreichen ließ. Von seinem rhetorischen Charme, mit dem es ihm jahrelang immer wieder gelang, westliche Politiker um den Finger zu wickeln, ist wenig zu sehen. Stattdessen mauert er sich in seine Propaganda-Geschichten und Begrifflichkeiten wie „Militärische Spezialoperation“ statt „Ukrainekrieg“ ein, die vielleicht noch bei seinen härtesten Anhängern funktionieren, aber selbst für Putin-freundliche Zuschauer im Westen realitätsfern klingen dürften.
Das Paradoxe ist: Tucker war gewillt, Putin ausführen zu lassen und seine Sicht darzustellen. Putin hätte es mit geschickten und interessanten Ausführungen vermutlich einfach gehabt, Tucker und auch seine Anhänger in seinen Bann zu ziehen. Stattdessen scheint jedenfalls einer nach diesem Interview sichtlich kritischer gegenüber Putin, als vorher: Tucker Carlson. Die Entfremdung ist ihm anzusehen. Und insofern braucht man gegen das Interview gar nicht so viel zu sagen. Es ermöglicht einen eindrücklichen Blick in die Geisteswelt des Diktators – und ist insofern gar nicht ohne journalistischen Wert.
Propaganda hin, Propaganda her.
Man kann auch zu diesem Krieg stehen, wie man will.
Aber seine Worte zu Deutschland treffen den Nagel auf den Kopf.
Und das ist so peinlich für dieses Land!
Propagandasieg? Was soll das? Das Interview war absolut okay und die Fragen fand ich auch gut. Auch fand ich Carlson weder nervös noch schüchtern. Er hat, eben nicht wie viele selbstherrlichen deutschen “Journalisten“, Fragen gestellt und sie beantworten lassen. Er versteht sein Handwerk eben und fängt nicht wie bspw. Lanz, Diskussionen an und wechselt schnell die Themen wenn ihm die Antwort nicht passt. Das Setting ist ein Interview und keine Diskussion!
Und wenn man das ganze Interview mit der gebotenen Aufmerksamkeit verfolgt, kommt da eine Menge rüber, was man in unseren Propaganda-Medien nicht geboten bekommt.
Mir war es schon ausreichend, mal die russische Perspektive zu hören.
Insofern ist es aus meiner Sicht völliger Unsinn, hier die Erwartung zu haben, dass hier eine Propagandaschlacht stattfindet wo es Gewinner oder Verlierer gibt.
Sie haben offensichtlich das Interview mit festen, vorgefassten Bewertungen gesehen. Und Siue haben Carlson Vorbemerkungen nicht gut gelesen.
-> “ … Putins Ausschweifungen an Filibuster erinnert fühlte.“
Carlson schrieb, daß er das nur im Beginn dachte, als er nicht wusste, daß das Interview mehr als 2 Stunden dauern würde. Danach habe er seinen Eindruck korrigiert. Mir dem umfassenden historischen Einstieg hat Putin etwas für Russland wesentliches erklärt: Die Ukraine ist im grössten Teil russische Geschichte. (Mit Ausnahme der westlichsten Gebiete wie Lemberg und zu Ungarn hin.)
Wer keine Geduld hat, von einem mehr als 120 Minuten dauernden Gespräch die ersten 15 Minuten zu verstehen, der hat eine innere Blockade. Die Sicht Putins muss man nicht teilen, aber sie zu kennen ist wichtig. Carlson hat das selbst bestätigt.
Wichtig ist aus meiner Sicht auf die Erläuterung etwa ab Minute 55 , was Russland unter Ent-Nazifizierung versteht.
Das Interview war wichtig und richtig, da es eine andere Perspektive auf den Krieg bietet. Was man davon inhaltlich hält, ist dabei vollkommen irrelevant. Man sollte immer beide Seiten einer Geschichte hören und kann sich dann selbst ein Urteil bilden. Das gehört zu den Grundprinzipien menschlicher Interaktion und demokratischer Gesellschaften.
Ich habe das Interview grundlegend anders verstanden und vermute mal der Herr Thormann hätte lieber etwas im Lanz Stil gesehen.
„Das Paradoxe ist: Tucker war gewillt, Putin ausführen zu lassen und seine Sicht darzustellen.“
Was erlaubt sich dieser Tucker Carlson eigentlich? Er lässt sein Gegenüber, das personifizierte Böse, einfach ausführen? Ja, wo soll das denn noch hinführen?
Keine Ahnung, was der Autor hier gesehen hat, aber scheinbar habe ich etwas anderes zu sehen bekommen als er.
Ich habe ein ganz anderes Interview gesehen als Sie, Herr Thormann.
Aber gut. Sie hatten wohl ganz andere Erwartungen?
Nachlesen kann man das Ganze inzwischen auf Deutsch auf den Nachdenkseiten.