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„Menschen von gestern“ sind böse: Böhmermann beschimpft die Normalbevölkerung und fühlt sich sehr schlau

Süß und bitter, wach und benebelt - diese neue wöchentliche Kolumne von Elisa David ist ein Espresso Martini in Times New Roman. Denn wer will seinen Sonntag schon mit einem einfachen Espresso starten - oder schlechter Lektüre?

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Jan Böhmermann kennen Sie ja sicher. Entertainer, Satiriker, Radio- und Podcast-Moderator, Musiker, Autor, Filmproduzent, Journalist – allein mit der Aufzählung der vielen Berufsbezeichnungen dieses Universaltalents ist sein Wikipedia-Artikel schon zur Hälfte fertig geschrieben. Jetzt hat er einen Artikel für die Zeit geschrieben, der so wunderbar bescheiden einfach mit „Gesellschaft im Wandel – Hier spricht Jan Böhmermann“ betitelt ist.

Die NZZ-Redakteurin Fatina Keilani sagte zu dem Werk: „Er spricht, aber er sagt nichts.“ Ich muss ihr widersprechen. Jan Böhmermann hat uns mit diesem Artikel sehr viel gesagt. Er liegt auf der Couch, mit den Händen auf dem Bauch, und lädt uns ein in sein Innenleben, während wir auf dem Sessel daneben sitzen, mit Bleistift im Dutt, Hornbrille auf der Nasenspitze und Notizblock in der Hand.

Böhmermann schreibt – oder schimpft, ja empört sich geradezu – über „Menschen von gestern“. Er wirft uns dabei ins kalte Wasser, erklärt uns nicht, wen er damit meint. Jedenfalls könne man diese unbekannten „Menschen von gestern“ ganz leicht an die „Grenzen ihrer intellektuellen, politischen und moralischen Kapazität“ bringen – ein Spiel, das er wohl gerne spielt.

Das geht, indem man ihnen einfach die „einfache Frage“ stellt: „Was unternehmen wir denn jetzt gegen Russland?“. Oder ihnen einfach das Wort „Wärmepumpe“ ins Ohr flüstert. „Es folgt bei Menschen von gestern ein schweres Durchatmen, ein sorgenvoller Gesichtsausdruck, ein leichtes Stammeln und dann ein – je nach Gegenüber – mehr oder weniger komplexes rhetorisches Ausweichmanöver, um sich nur ja nicht tatsächlich an die Beantwortung dieser Fragen heranwagen zu müssen.“

Der Artikel ist zwei Seiten lang. Also so richtig mit Blättern und so. Erst auf der zweiten Seite gibt Böhmermann annähernd eine Erklärung für seine Kategorisierung. Er ist zu berühmt, als dass man seine Artikel redigieren würde und möglicherweise in seinen Geniestreich pfuscht. Seine Sätze gehen auch grundsätzlich über zehn Zeilen – er ist eben der Thomas Mann unserer Zeit.

„Am treffendsten lassen sich Menschen von gestern so beschreiben: Menschen von gestern sind jene, die verlernt (oder nie gelernt) haben, so zu denken und zu reden, dass sich aus ihren Gedanken und Worten wirksames Handeln ergeben kann. Statt Lösungen produzieren sie Gelaber, Gebete, Beschwörungsformeln, Meinungskolumnen, Sommerinterviews, Zaubersprüche.“

Eine wirkliche Eingrenzung dieser „Menschen von gestern“ wird es in seinem Artikel nicht geben. Böhmermann will, dass wir sein Werk auslegen, als hätte er mal eben Faust III runter gerotzt. Eine sehr gemütliche, aber geschickte Flucht vor jeglicher Kritik, die man dann auch wieder auf die Grenzen der intellektuellen Kapazitäten des Lesers schieben kann.

Böhmermann lässt uns wissen: „Wer seine Meinungsmacherei und sein publizistisches Geschäft noch auf Menschen von gestern stützt, ihnen nach dem Mund redet und schreibt – so zynisch beziehungsweise blöd sind in der Medienbranche ja immer noch einige – mag sich vielleicht noch ein Weilchen relevant vorkommen, kann vielleicht ein paar publizistisch-politische low hanging fruits abgreifen, eine Handvoll Menschen von gestern im Fernsehrat ruhigstellen oder (noch) ein wenig Kohle verdienen, aber lange wird das nicht mehr gut gehen.“

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Es ist der Hass auf das eigene Publikum

Viele haben „Menschen von gestern“ als „Konservative“ ausgelegt. Ich glaube nicht, dass Böhmermann das meinte; und das schreibt er ja auch. Links oder rechts ist egal. Bei den „Menschen von gestern“ handelt es sich einfach um die durchschnittliche Bevölkerung. Jeden eben, der nicht aus dem Stegreif raushauen kann, wie man den Krieg in der Ukraine beendet. Jeden, der dümmer ist als er. Und die, die tatsächlich noch Artikel für diese Menschen schreiben, sich mit ihnen abgeben – statt Artikel für die pseudointellektuelle akademische Elite schreiben.

Intellektualität lässt sich leichter produzieren als Populismus. Jedenfalls im Feuilleton-Geschäft. Da fällt es nicht so auf, wenn die Thesen nicht annähernd so durchdacht sind, wie man tut. Es ist zum Beispiel Schwachsinn, den Niedergang der Gesellschaft darauf zu schieben, dass die Menschen nicht politisch genug sind. Auch wenn das der 08/15-Auftakt von jedem ist, der sich mal in politischer Gesellschaftskritik üben will.

Eine Gesellschaft sollte unpolitisch sein können. Wenn 80 Millionen Menschen nach der Arbeit alle zusammen angestrengt nachdenken sollen, wie man denn nun den Krieg in der Ukraine löst, hat die Regierung ihren Job nicht richtig gemacht. Eine Gesellschaft, die politisch sein muss, ist das Symptom einer Gesellschaft, mit der es schon bergab geht – weil sie von Menschen regiert wird, denen sie nicht vertrauen kann.

Aber davon, die Politik in die Pflicht zu nehmen, versteht Böhmermann ja ohnehin nichts. Das hat er uns in diesem Artikel ja wunderbar dargelegt. Vor allem zeigt es, dass er die zwei wichtigsten seiner vielen Berufe nicht verstanden hat – den des Journalisten und den des Satirikers. Dafür kann er allerdings nichts.

Journalisten sind arrogant, selbstverliebt und auf irgendeine Weise exzentrisch. Alle. Ja, auch wir. Man muss davon überzeugt sein, dass die eigene Weltsicht nicht nur schriftlich festgehalten, sondern auch noch veröffentlicht und gelesen werden sollte. Man will keine politische Debatte mit uns führen, denn wir sind bockig und störrisch und wir widersprechen fünfmal, zehnmal, zwanzigmal, wenn wir nicht überzeugt sind. Wir sind unangenehme Menschen, wir gehen Ihnen auf die Nerven, wir sind anstrengend. Aber wäre es nicht richtig genial, wenn wir nicht Ihnen, sondern für Sie wiederum anderen auf die Nerven gehen würden?

Böhmermann ist sehr arrogant – aber sinnlos

Arroganz und Selbstverliebtheit sind negativ konnotierte Worte, weil sie Menschen im sozialen Umfeld gerne mal unerträglich machen. Weil Hochmut vor dem Fall kommt. Aber Arroganz ist nicht umsonst eine Berufskrankheit im Journalismus. Der (politische) Journalismus hat eigentlich nur eine Aufgabe: Die Politik zu treiben. Der Journalist ist destruktiv, die Politik konstruktiv und die Politiker müssen sich vor den Journalisten rechtfertigen. „Konstruktiver Journalismus“ – ein Unwort unserer heutigen Zeit – ist im Ergebnis absolut destruktiv, weil Journalisten damit ihre Kompetenzen überschreiten, statt die Rolle auszufüllen, die für sie vorgesehen ist.

Konstruktive Journalisten haben ganz viel Verständnis dafür, dass die Politik nicht so einfach komplexe Probleme lösen kann – sie haben ja bei ihren eigenen Versuchen der konstruktiven Problemlösung selbst gemerkt, wie schnell man da an seine Grenzen stößt. Und so bildet sich zwischen natürlichen Fressfeinden ein kollegialer Zusammenhalt und aus kollegialem Zusammenhalt kameradschaftliche Bruderliebe und ehe man es sich versieht, hassen die Journalisten ihre Leser, weil sie nicht ihre besten Freunde gewählt haben.

Journalisten müssten grundsätzlich immer gegen Leute schießen, die mehr Macht haben als sie. Dafür brauchen Journalisten Arroganz, denn sie schützt sie davor, sich von diesem Machtgefälle nicht einschüchtern zu lassen. Arroganz ist in diesem Zusammenhang geradezu überlebenswichtig – unter der Voraussetzung, dass sie sich gegen die Richtigen richtet.

Politische Satiriker sind die schlimmsten von allen – sie sind wie Journalisten, nur glauben sie obendrauf auch noch, sie wären lustig. Die Rezeptur für einen wandelnden Gottkomplex. Der ganze Sinn von Satire ist aber, dass sie nach oben tritt. Hier entscheidet sich, wer wirklich lustig ist.

Böhmermann ist sehr arrogant. Und er hält sich für ganz besonders wichtig. Und schlau. Wenn man den Zeit-Artikel von Böhmi einfach so liest, ist er nicht sonderlich lustig. Wenn man ihn aber mal in seiner Stimme liest, fällt einem plötzlich auf, dass er nicht anders geschrieben ist, als seine Videotexte. Es fehlt nur die affektierte Empörung, das gekünstelte Brüllen und das Lachen des Publikums – kurz: der Einsatz, wann man denn jetzt bitte lachen sollte.

In schriftlicher Form, ohne das Publikum, das jeden Witz signalisiert, fällt auf: Er tritt fast ausschließlich nach unten. In seinem Artikel hat er sich mal so richtig ausgekotzt, über alle, die er nicht mag. Und das sind alles Leute, die ihm nichts bringen, Leute, die ihn langweilen. Kein Wunder eigentlich. Auf sein Publikum ist er dank des Rundfunkbeitrags auch gar nicht angewiesen.

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