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Machtbeben in Thüringen und das erwartbare Finale des Systems Merkel

Die Landtagswahl in Thüringen wird vieles in Deutschland auf den Kopf stellen. Die Mehrheitsverhältnisse sind fragil, wie sich eine neue Regierung zusammensetzen soll ist ungewiss. Klar ist nur eines: Das Aufstellen von stabilen Links- und Mitte-Koalitionen wird mit der Wahl in Thüringen sein Ende finden.

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„Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung gebrochen hat für die CDU und auch für mich, nämlich dass keine Mehrheiten mithilfe der AfD gewonnen werden sollen“. Dies erklärte Kanzlerin Merkel vor ziemlich genau vier Jahren von dem tausende Kilometer entfernten südafrikanischen Pretoria aus. Am 5. Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich mit Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt. In der Folge brach ein in der Bundesrepublik Deutschland nie zuvor dagewesener Sturm der Entrüstung aus.

Die Berliner Parteizentralen von FDP und CDU verurteilten die Wahl aufs Schärfste. Für die damalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer war dieser „Dammbruch“ der Anfang vom Ende. Die damalige Fraktionsvorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, erklärte, man habe den Thüringern ihren „geliebten Landesvater“ genommen. Den Höhepunkt dieser Entrüstung lieferte jedoch Angela Merkel selbst. Immer noch in Pretoria erklärte sie: „Da dies absehbar war in der Konstellation, wie im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss.“ Thomas Kemmerich trat in der Folge zurück. Nicht einmal einen Monat später wurde Bodo Ramelow wieder zum Ministerpräsidenten gewählt.

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Im Sommer 2022 entschied dann das Bundesverfassungsgericht, dass Merkels Äußerungen das Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzte. Konsequenzen gab es keine. Merkel war längst aus dem Amt und die von ihr erwirkte rot-rot-grüne-Koalition machte weiter, als wäre nie etwas passiert. Das Menschen das viel beschworene „Vertrauen in die Demokratie“ verlieren, hat viel mit solchen Aussagen wie dieser von Merkel zu tun. Merkels Erklärung, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden, war nichts weniger als die Ansage an Wähler der AfD und zu großen Teilen auch an die von FDP und CDU, dass auf dem herkömmlichen Weg der Demokratie – der Wahl – keine Veränderung herbeigeführt werden kann.

Doch dieses System, die Verkürzung der Demokratie auf Mitte-Links und Links-Regierungen, gerät an sein Ende. Die etablierten Parteien haben das Vertrauen der Bevölkerung verloren und die Wähler sind auf der Suche nach neuen politischen Kräften. Die AfD wird wohl dieses Jahr in Thüringen die mit Abstand meisten Stimmen auf sich vereinen können. Gar eine absolute Mehrheit der AfD ist nicht vollständig auszuschließen. Die Koalitions- und Ministerpräsidentenfrage wäre in diesem Fall klar. Für die CDU wäre dies gewissermaßen sogar dankbar. Die „Brandmauer“ würde nicht angetastet werden und gegen eine AfD-Regierung kann man eben nichts mehr tun. Dieses Szenario ist auch, das Einzige in dem politisch eine einigermaßen stabile Regierung denkbar wäre.

BSW und Werteunion: Die unbekannte Variable

Aber die Mehrheitsverhältnisse sind überaus fragil. Eine absolute Mehrheit der AfD ist aber insbesondere durch das Aufkommen des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und der Werteunion als eigenständige Partei unwahrscheinlich. Diese beiden Parteien sind in allen Gedankenspielen die größte Variable. Das Bündnis Sarah Wagenknecht kommt in Umfragen aktuell auf rund 11 Prozent. Die Werteunion ist in bisherigen Umfragen noch nicht berücksichtigt. Ihr traut man aber zu, sowohl der AfD als auch der CDU Stimmen abnehmen zu können.

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Wie stark das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Werteunion am Ende tatsächlich werden – auch ob sie es tatsächlich in den Landtag schaffen – ist aktuell überhaupt nicht absehbar. Die Inhalte und die Köpfe der Partei sind bei jetzigem Stand weitestgehend unbekannt. Klar ist nur, dass die beiden Zugpferde – Wagenknecht und Maaßen – trotz biografischem Bezug nicht in Thüringen antreten werden. Das BSW hat im Vorfeld deutlich gemacht nicht mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen, bei der Werteunion sieht es wohl anders aus. Die CDU in Sachsen hat sogar eine „Brandmauer zur Werteunion“ ausgerufen. Nimmt die CDU diese ernst, bliebe der Werteunion in Sachsen und gegebenenfalls auch in Thüringen gar nichts anderes übrig, als eine Kooperation mit der AfD, falls das möglich wäre.

Die entscheidende Frage um Platz zwei

Die zweite entscheidende Frage wird sein, wer den Kampf um Platz zwei für sich entscheidet. Nach derzeitigen Umfragen steht die CDU bei 20 Prozent und die Linke bei 16 Prozent. Die Werteunion ist hier noch nicht berücksichtigt. Kann die CDU den zweiten Platz für sich verbuchen, wird sie wohl Anspruch auf die Regierungsführung erheben. Die Aussicht auf den Ministerpräsidentenposten, zahlreiche Ministerämter und Staatssekretärsposten würde die CDU dann wohl im Großen und Ganzen zusammenhalten. Mit der SPD und den Grünen, wenn sie es in den Landtag schaffen sollten, könnte man zusammenarbeiten. Auch die Linke würde einen CDU-Ministerpräsidenten dann wohl mehrheitlich unterstützen, zumindest wenn die Alternative Björn Höcke und die AfD heißt.

Endgültiges Chaos würde ausbrechen, wenn die Linke auf Platz zwei landet. Bodo Ramelow würde erneut Ministerpräsident werden wollen. Die CDU in Thüringen wäre endgültig vor die Zerreißprobe gestellt. In der Thüringer CDU dürfte sich ein immenser interner Druck aufbauen. Eine Zusammenarbeit mit der Linken dürfte bei künftigen Wahlen zahlreiche Mandate kosten, den Rest an Glaubwürdigkeit hätte man endgültig verspielt. Wenn man sich gar auf eine Koalition mit den Linken verständigen sollte, würden auch nicht allzu viele Ministerposten abspringen, da man sich diese zumindest mit den Linken und der SPD teilen müsste. Anderseits gibt es nun mit der Werteunion eine Alternative, zu der man – auch wenn sie es nicht in den Landtag schaffen sollte – überlaufen könnte. Je nach Mehrheitsverhältnissen ist auch so eine Koalition mit der AfD denkbar, bei der gerade übergelaufene CDUler mit dem Argument als Mehrheitsbeschaffer Ministerposten auf sich vereinnahmen könnten.

Alles andere als ausgeschlossen ist auch, dass es im Vorfeld zu gar keinen Übereinkünften kommt. Der Tag der Ministerpräsidentenwahl könnte auf einen offenen Machtkampf hinauslaufen, in dem Ramelow gegen Höcke oder sogar Ramelow, Höcke und Voigt gegeneinander antreten. Nach der Thüringer Landesverfassung gewinnt hier grundsätzlich derjenige, der die meisten absoluten Stimmen auf sich vereint.

Wie es in Thüringen nach der Wahl weitergeht, ist ein Blick in die Glaskugel. Sofern es keine absolute Mehrheit für die AfD gibt, wird alles wird vom Momentum und vom Zufall abhängen. Klar ist nur eines: Das System Merkel, das Aufstellen von stabilen Links und Mitte-Links-Koalition wird in Thüringen (und auch in Sachsen) zerschellen. Vermutlich wird sich das Parteiensystem im Kontext dieser Wahl völlig neu orientieren müssen.

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