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Krieger der Worte: Warum Macrons Ukraine-Drohung substanzlos ist

Mit seinen Äußerungen, NATO-Truppen in der Ukraine nicht ausschließen zu wollen, hat Frankreichs Macron eine erhitzte Debatte losgetreten. Doch bei den Ukraine-Hilfen und eigener Wehrfähigkeit hängt das Land weit hinterher. Macron bekämpft Russland vor allem mit scharfen Reden.

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Der französische Präsident Emmanuel Macron hat seine Position oft betont: „Russland kann und darf den Krieg nicht gewinnen. Solange es angreift, müssen wir die militärische Unterstützung aufrechterhalten, die für die Zukunft der Ukraine notwendig ist.“ Diesen Satz trägt er in Variationen seit 2022 immer wieder vor. „Eine Niederlage Russlands ist elementar für Sicherheit und Stabilität in Europa“, sagte Macron jüngst. 

Jetzt hat der französische Präsident sogar den Einsatz von NATO-Soldaten in der Ukraine ins Spiel gebracht. Zum Abschluss einer internationalen Ukraine-Konferenz in Paris sagte Macron am Montag, es müsse alles getan werden, damit Russland den Krieg nicht gewinne. Über die Entsendung von Truppen gäbe es im Bündnis „derzeit keinen Konsens“, sagte Macron. „Aber nichts darf ausgeschlossen werden, um zum Ziel zu kommen.“ Jedes Land könne aber eigenständig und souverän über den Einsatz von Bodentruppen entscheiden, so der Franzose.  Er bekenne sich zur Strategie der „strategischen Mehrdeutigkeit“. 

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Das sind martialische Worte. Auch, wenn das „nichts ausschließen“ einer gewissen Abschreckungslogik folgen und „strategische Mehrdeutigkeit“ als Konzept seine Berechtigung haben mag, ist die Diskussion um westliche Bodentruppen in der Ukraine sinnlos und gefährlich. Schnell versuchen allerlei politische Stimmen, die Worte des Präsidenten abzuräumen. Grünen-Chef Omid Nouripour erteilt der Idee eine Absage und erklärt, der Einsatz von Soldaten sei „überhaupt kein Thema“. Womit er recht hat. Denn der Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine – womöglich im direkten Gefecht mit russischen Truppen – wäre eine Eskalation unbekannten Maßes. Es wäre im Endeffekt der Beginn einer Kriegsbeteiligung. 

Der französische Präsident hält gerne fromme Ukraine-Reden, gibt Bekenntnisse der Solidarität mit Kiew ohne Ende ab. Er redet, wie schon viele Präsidenten vor ihm, gerne von Europas strategischer Unabhängigkeit, von eigener, souveräner Stärke für die EU. Seit jeher sieht sich Frankreich als „erste Militärmacht Europas“ – ein Anspruch, der zuletzt aber vor allem mit Macrons martialischen Worten gestützt wurde. 

Drohung ohne Substanz: Frankreichs Militär ist ein Papiertiger

Ja: Frankreich ist Atommacht, verfügt über einen Flugzeugträger und ist als Großmacht ein „global player“.  Aber die tatsächliche Substanz des französischen Militärs gibt so eine Kriegsrhetorik wie die von Macron eigentlich gar nicht her. Ähnlich wie die Bundeswehr leidet auch die „Armee de la Republique“ unter dem systematischen Verschleiß der letzten Jahrzehnte.  Nach der Finanzkrise 2008 gab es eine Reihe von Gesetzen, die den Wehretat eingefroren oder reduziert haben. Deshalb musste das Militär aus Kostengründen alles loswerden, was nicht direkt und sofort nützlich war. Was vorher gelagert wurde, um auch für einen intensiven Krieg gerüstet zu sein, galt als Verkaufsmasse.

Das Ergebnis: Von den insgesamt gut 400 Leclerc-Kampfpanzern des französischen Heeres sind zum Beispiel nur rund die Hälfte einsatzbereit – die andere Hälfte wird als Ersatzteillager ausgeschlachtet. Die französische Armee hat merkliche Probleme mit der Anwerbung und der Erhaltung von Personal. „Unsere Eigenschaft als Einsatzarmee befähigt uns spontan nicht, einen bewaffneten Konflikt auf hohem Niveau zu bestehen“, gab der französische Generalstabschef Thierry Burkhardt bei einer nicht öffentlichen Anhörung des Verteidigungsausschusses der Nationalversammlung zu. Nicht einmal die Militärmacht Frankreich könnte dem konventionellen Angriffskrieg einer Großmacht wie Russland lange Widerstand entgegensetzen. 

Bundeswehr-Syndrom: Armee kaputtgespart

„Frankreich hat zwar bei weitem die beste Armee der EU, aber die vergangenen Jahrzehnte neigte auch Paris dazu, die Verteidigung den Erfordernissen des Wohlfahrtsstaates zu opfern“, sagte Militärexperte Pierre Servent im Gespräch mit der Welt. Die Legende einer „Friedensdividende“, die in Deutschland zur Kaputtsparung des Militärs geführt hat, wurde auch durch französische Politiker gesponnen. Anfang der 90er-Jahre dienten fast eine halbe Million Soldatinnen und Soldaten in der französischen Armee.

Das Heer verfügte über 1.349 Kampfpanzer. Heute dienen gerade mal 203.000 Mann in den Streitkräften, und nur 222 Panzer sind einsatzfähig. Soldaten berichten von massiven Materialmängeln. „Ich habe mir den Zustand des Materials damit erklärt, dass wir in bei einem Übungseinsatz in Europa waren, nicht im Krieg in Mali“, so ein junger Soldat, der sich anonym der Zeitung L’Express anvertraute. „Aber wenn uns die Russen angegriffen hätten, wären wir alles andere als einsatzfähig gewesen“.

Bei den anderen französischen Teilstreitkräften sieht es nicht viel besser aus: Seit dem Mauerfall ist der Bestand an Kampfflugzeugen von 686 auf 254 reduziert worden. In einem Parlamentsbericht ging ein französischer General hart mit den Fähigkeiten der Luftwaffe ins Gericht: „Nehmen wir einen Einsatz wie den Falklandkrieg als Referenz, hätte die französische Luftwaffe in zehn Tagen keine Kampfflieger und nach zwei Tagen keine Raketen mehr“, so General Bruno Maigret, Ex-Kommandeur für Luftwaffenstrategie, in einem Untersuchungsbericht der Nationalversammlung zum Thema Wehrfähigkeit. Und die Marine ist die kleinste seit dem Zweiten Weltkrieg.

Bei den Ukraine-Hilfen liegt Frankreich sogar hinter der Schweiz

Und bei der Unterstützung der Ukraine liegt Paris weit zurück. Gemessen an der wirtschaftlichen Stärke der Länder gibt selbst Lettland Kiew mehr Hilfe, als Frankreich es tut. Die Deutschen und Briten übertrumpfen die französischen Lieferungen und Hilfen deutlich, von den USA ganz zu Schweigen. Selbst die Schweiz gibt der Ukraine, gemessen am BIP, mehr Unterstützung als Frankreich. In ihrem Gesamtvolumen liegt die französische Hilfe für die Ukraine, humanitär wie militärisch und anderweitig, knapp vor der tschechischen Hilfe, und hinter den Finnen und Belgiern.

Bevor Macron große Kriegsreden hält und sinn- und verantwortungslos über NATO-Truppen direkt an der Front fabuliert, sollte er eher mal die Höhe seiner bisherigen Ukraine-Unterstützung überdenken. Macrons Äußerung scheint ein Spiel der Abschreckung zu sein – einen tatsächlich ernstgemeinten Hintergrund kann sie nicht haben. Das weiß auch Putin, der sich von dieser substanzlosen Kraftmeierei wahrscheinlich wenig beeindrucken lassen wird. Macron bleibt vorerst ein Krieger der Worte.

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