Steht Afrika am Vorabend eines Krieges? Am Sonntagabend läuft das Ultimatum der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS ab: Der Block hatte das nigrische Militär nach ihrem Putsch vor einer Woche aufgefordert, den demokratisch gewählten Präsidenten und seine Regierung zu reinstallieren. Die Organisation, zu der unter anderem Nigeria, Ghana, Guinea und die Elfenbeinküste gehören, droht auch mit einem militärischen Eingreifen. Die Militärregierung des Niger wies die Forderungen von sich. Ein militärischer Angriff von ECOWAS werde „unverzüglich“ und hart beantwortet werden, erklären die herrschenden Offiziere. Unterstützung erhalten sie dabei von anderen Juntas in der Region: Die militärischen Machthaber von Mali und Burkina Faso versicherten ihren Kameraden im Niger ihre Solidarität. Burkina Faso unter Machthaber Ibrahim Traoré erklärte, ein Angriff auf den Niger werde als „Kriegserklärung“ gewertet werden.
Es droht ein Flächenbrand – was passieren wird, ist unklar
Kommt es also tatsächlich zum Krieg in der Sahelzone? Am Donnerstagabend veröffentlichte das nigerianische Präsidentenamt ein Statement. Die oberste Priorität müsse Frieden sein, heißt es aus Abuja. Der neue Präsident der westafrikanischen Regionalmacht hatte vor kurzem noch andere Töne angeschlagen: „Wir werden nicht einen Putsch nach dem anderen hinnehmen. (…) Wir müssen zurückbeißen. Wir können nicht dasitzen wie eine zahnlose Bulldogge“, meinte Präsident Tinubu vor kurzer Zeit noch. Auch der Senegal, ebenfalls ein wichtiges Mitglied der ECOWAS, hatte ähnliches verlauten lassen. Nach Militärputschen in Guinea, Mali, Burkina Faso und nun dem Niger „ist [es] ein Putsch zu viel“, so Senegals Außenministerin am Donnerstag.
ECOWAS hat bereits mehrfach militärische Interventionstruppen aufgestellt. Zuletzt griffen diese 2017 ein, um eine demokratische Machtübergabe im westafrikanischen Gambia zu sichern. Auch nach einem Militärputsch in der Elfenbeinküste im Jahr 2002 intervenierte der Block militärisch. Die Militärchefs der westafrikanischen Staatengemeinschaft haben bereits einen Plan für eine mögliche militärische Intervention im Niger entworfen. Die Empfehlung enthalte „alle Elemente einer möglichen Intervention, einschliesslich der benötigten Ressourcen, aber auch wie und wann wir die Truppe einsetzen werden“, wurde Ecowas-Kommissar für politische Angelegenheiten, Frieden und Sicherheit, Abdel-Fatau Musah, am Ende eines dreitägigen Treffens der Militärchefs in Nigerias Hauptstadt Abuja zitiert.
Auch Frankreich könnte sich an einer Intervention beteiligen
Am Samstag schaltete sich auch Algerien ein: Das nordafrikanische Land hat eine lange Grenze zum Niger und forderte die ECOWAS nun auf, von militärischen Maßnahmen abzurücken. Der Präsident des Landes äußerte zudem die Sorge einer Destabilisierung der Sahelzone durch ein militärisches Eingreifen in Niger. Selber werde man militärisch nicht aktiv werden, versicherte er. Sollte Algerien die Junta im Niger allerdings auf irgendeine Art unterstützen, ist wiederum eine Reaktion aus Marokko zu erwarten: Die Maghreb-Monarchie ist mit Algerien verfeindet und tut traditionell alles, um den Einfluss des großen Rivalen gering zu halten. Marokko ist auch enger Partner des Westens.
An einer Intervention im Niger könnte auch Frankreich beteiligt sein. Die Regierung von Präsident Macron hatte bereits die Unterstützung des ECOWAS-Vorhaben bekundet. Rund 1.500 Soldaten hat Paris im Niger stationiert. Die französische Regierung erkennt die Putschisten in Niamey nicht an: In der Folge weigert sich die französische Armee, den Wünschen der Junta Folge zu leisten und ihre Truppen abzuziehen. Ein möglicher Abzug der Soldaten stünde nicht auf der Tagesordnung, sagte die französische Aussenministerin Catherine Colonna am Samstag. Sollten die französischen Truppen Ziel von Angriffen werden, hätte Paris allen Grund für ein Eingreifen in der Region.
Deutsche Soldaten in der Gefahrenzone: Berlin wirkt planlos
Wie sieht es mit Deutschland aus? Nach wie vor hat die Bundeswehr Truppen in der Region stationiert. Traditionell verfolgt Deutschland aber kaum eigene außenpolitische Agenden – vor allem nicht mit militärischen Mitteln. Vor einer Woche fragte Apollo News an, ob das Verteidigungsministerium den Abzug deutscher Truppen aus Mali und Niger beschleunige und was man im Fall eines Ausbruchs von Kämpfen plane. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr gab die Antwort, dass die Lage unübersichtlich sei – die Soldaten seien allerdings in Sicherheit. Bisher hat Deutschland bloß neun Soldaten ausgeflogen. Bei einem Truppenbesuch in Bayern zeigte sich Pistorius vor wenigen Tagen unbekümmert. Der Minister habe mit dem Kommandierenden in Niamey telefoniert, „er hat mir versichert, dass er sich keine Sorgen macht, dass die Lage ruhig ist“. Pistorius betonte, sein Ministerium habe in enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt die Situation im Blick: „Die Priorität Nummer eins ist die der Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten, sowohl in Niamey als auch in Mali.“
Woher nimmt das Verteidigungsministerium diese Einschätzung? Dass auf die Erkenntnisse deutscher Nachrichtendienste wenig verlass ist, wurde spätestens deutlich, als der Präsident des Bundesnachrichtendienstes vom russischen Einmarsch in die Ukraine so überrascht wurde, dass er am selben Tag Hals über Kopf aus Kiew fliehen musste. Erst am heutigen Sonntag erklärten zwei ehemalige Präsidenten des BND in der Bild am Sonntag, dass die deutschen Geheimdienste überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit wären. Kurzum: Dass Deutschland für einen Abzug aus der Region aufgrund solider nachrichtendienstlicher Erkenntnisse keinen Grund sieht, darf bezweifelt werden. Was passiert, wenn deutsche Soldaten in Niamey plötzlich eingekesselt, verhaftet oder angegriffen werden? Von Verteidigungsminister Boris Pistorius hieß es vor einer Woche, in Gesprächen mit der nigrischen Seite werde man verdeutlichen, „dass sich unsere Kräfte aus den innernigrischen Angelegenheiten heraushalten“. Mit Hinblick auf eine mögliche Invasion bilden sich im Land zur Stunde aber auch Bürgerwehren und Milizen, die durch die Putschisten kaum zu kontrollieren sind.