Bundeswirtschaftsminister Habeck tritt zum vertrauten Zeit-Interview an und erklärt mal wieder seine Gedankenwelt. Scheinbar begreift er sein Werk als das eines Über-Ichs, dass für Deutschland denkt und spricht.

Ein Kommentar •

In einer schwarzen Bomberjacke betritt Robert Habeck das Büro der Zeit in Hamburg. Habeck und die Zeit – das ist ein ganz besondere Verhältnis. Schon vor rund fünf Jahren trat der jetzige Bundeswirtschaftsminister im Interview mit der Hamburger Wochenzeitung auf und schüttete dem Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo sein Herz aus. Damals trumpfte er mit Sätzen wie „es ist mir im Grunde egal, was die Menschen denken“ auf. 

Seitdem, so sagt es auch Habeck, ist viel passiert. Heizungsgesetz, Inflation, Angst vor Energie-Armut – der Wind hat sich gegen den Grünen Sunnyboy gedreht. Das Verhältnis zwischen ihm und Di Lorenzo ist trotzdem so vertraut wie eh und je. Gut für den Leser, der mal wieder einen Einblick in Habecks Gedankenwelt erhält – toll, wie dieser Mann denkt! 

Habeck, das Über-Ich

Und so dürfen wir Habeck quasi live beim Denken zuschauen. Zunächst reflektiert der Grünen-Minister stolz auf die „enorme Agenda“, die er schon abgearbeitet hat. Bezogen auf die Legislaturperiode, stehe man „bei 75 Prozent“ erreichten und erfüllten Zielen. Direkt bremst Di Lorenzo den schwärmenden Habeck mit einer Erinnerung an die Realität aus – Stichwort Heizungsgesetz. 

„Das war natürlich in mehrfacher Hinsicht eine Phase, aus der man viel lernen kann“, meint Habeck dazu. [Das] darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Bevölkerung ein ganz großer Gestaltungswille da ist.“ Und weiter: „Ja, dieses Gesetz mutet den Menschen in Deutschland etwas zu, wir ändern etwas. Umgekehrt kann ich heute sagen: Noch nie hat eine Regierung so viel für Klimaschutz getan.“ Wie er in einem Gedanken von „den Menschen in Deutschland“ zu sich selbst und seinen großen Einsichten springt („ich kann heute sagen“), ist wahrscheinlich eine philosophische Meisterleistung an und für sich. Die Bevölkerung als steuerbare Verfügungsmasse und Habeck, das Über-Ich. 

„Früher habe ich für mich gesprochen, jetzt spreche ich für Deutschland“

Dass Habecks Menschenbild genau so konstruiert ist, offenbart sich im Interview immer wieder – auch, wenn es zunächst gar nicht so scheint. „Man muss aus dem Zentrum der Gesellschaft heraus immer wieder erklären, erklären, erklären“, meint er beispielsweise. Klingt Bürgernah und geerdet, sagt aber im Kern doch aus: Ihr, die Bürger, müsst mir so lange zuhören, bis ihr mich endlich verstanden habt. „Manchmal wünschte [ich], der Tag hätte 48 Stunden. Dann könnte ich mehr reden und mehr Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Habeck später im Interview noch. Aber zuhören will er natürlich auch!  Sonst weiß man ja nicht, ob das Gegenüber einen wirklich verstanden hat. 

„Macht ist ein Arbeitsauftrag“, meint Habeck, der im gleichen Zusammenhang subtil betont, dass er viel arbeitet. Diese Macht habe ihn verändert. „Früher habe ich für mich gesprochen“, erklärt er. „Jetzt spreche ich für Deutschland.“

Habeck, die Stimme Deutschlands, blickt als großer Denker natürlich auch kritisch auf die Gedanken anderer. Auf die von Unternehmern und CEOs zum Beispiel, die davon sprechen, dass Deutschland „seinen Zenit überschritten“ habe. Das ist für Habeck „schlecht gelaunte Untergangsstimmung“. „Dann müssen die Vorstandsvorsitzenden die Mentalität mit verändern!“, beschwert er sich. Er erzählt von Stahlwerkern in Nordrhein-Westfalen, die bei einem seiner Besuche mit T-Shirts protestiert hätten, auf denen Stand: „Stillstand hat noch nie etwas bewegt!“ „Wir sind die Klimaschützer“, hätten die gesagt. Von dieser Mentalität wäre er begeistert gewesen, so Habeck – und habe ihr Genehmigungsverfahren massiv beschleunigt. „Die Stahler haben mir zum Dank ein Herz aus Stahl geschenkt“, freut er sich.

Der Mann mit dem Herz aus Stahl beendet sein Interview mit einem Satz über’s Krawattentragen. Das mochte er früher gar nicht – jetzt fände er es angemessen. Was für eine Entwicklung.

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