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Fiasko für grün bis schwarz: Die Entmachtung der Brandmauer in Thüringen

Die Kommunalwahl in Thüringen hat die Mehrheitsverhältnisse in den Kreistagen und Gemeindevertretungen erheblich durcheinandergewirbelt. Linke, Grüne, SPD, FDP und CDU kommen gemeinsam in zahlreichen Landkreisen auf unter 50 Prozent. Auf Kommunalebene wurde die Brandmauer damit de facto beerdigt.

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Thüringen hat gewählt. Medial heißt es überwiegend, der Wahlabend sei für die AfD enttäuschend verlaufen. Ihre Kandidaten hätten keine Mehrheit gefunden. Der MDR titelte etwa: „erwarteter ‚Durchmarsch‘ der AfD blieb aus“. Auch das ZDF erklärt: „Kein AfD-Durchmarsch bei Kommunalwahlen“. Die taz und der tagesspiegel sprechen identisch von einem „Dämpfer für Höcke-AfD“.

Richtig ist, dass die AfD keinen hauptamtlichen Bürgermeister- und auch keinen Landratsposten gewinnen konnte. Auch in den Stichwahlen dürfte die AfD hier wohl leer ausgehen. Wie MDR, ZDF und Co. jedoch darauf kommen, dass der „erwartete Durchmarsch“ ausgeblieben sei oder die AfD einen „Dämpfer“ erhalten habe, können wohl nur sie selbst beantworten.

Abgesehen von einigen Medienvertretern erwartete im Vorfeld niemand den großen „Durchmarsch“ der AfD. Dass die Partei nicht massenhaft die Landratsämter und Bürgermeisterposten übernehmen würde, war absehbar. Die in diesem Zusammenhang häufig erwähnte Landratswahl in Sonneberg, stand unter grundsätzlich anderen Vorzeichen als die gestrige Kommunalwahl.

Sonneberg ist in Thüringen eine der Hochburgen der AfD. Auch in den Umfragen stand die AfD damals besser da. Vor allem aber trat der vormalige Amtsinhaber nicht mehr an, so dass keiner der beiden Kandidaten, Jürgen Köpper von der CDU und Robert Sesselmann von der AfD, mit einem Amtsbonus in die Wahl ging. Als Landtagsabgeordneter verfügte Sesselmann zudem über eine recht große regionale Bekanntheit. Die Ausgangslage für die AfD war damals also extrem günstig.

Der Wahlzeitpunkt bei dieser Kommunalwahl war für die AfD nach der Correctiv-Recherche und dem sogenannten „Geheimtreffen“, den Affären um EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah sowie dem Ausschluss aus der europäischen ID-Fraktion denkbar schlecht. Gestern traten zudem überwiegend Amtsinhaber an. Die eigentliche Frage des Abends war also nicht, ob die AfD Landrats- und Bürgermeisterposten gewinnen kann, sondern wie sie sich bei den Kreistags- und Stadtratswahlen schlägt.

Zuwächse für AfD und Sonstige, heftige Verluste für rot-rot-grün

Und gerade hier konnte die AfD massive Zuwächse verzeichnen. Auf kommunaler Ebene war seit der Wiedervereinigung die CDU die unangefochten stärkste Kraft. Gerade in den ländlichen Regionen hat die CDU nun vielfach ihre Spitzenposition verloren. Fasst man sämtliche Kreistagswahlen und Stadtratswahlen der kreisfreien Städte zusammen, ist die CDU noch immer knapp stärkste Kraft. Zusammengerechnet kommt sie auf 27,6 Prozent. Gegenüber der Wahl 2019 kann sie ihr Ergebnis damit halten.

Die stärksten Zuwächse verzeichnet jedoch die AfD. Sie kommt auf 26,4 Prozent und kann sich damit um knapp 9 Prozent verbessern. Wegen der grundsätzlich dennoch schlechten Ausgangslage der AfD dürfte es sich bei ihren Wählern zu großen Teilen lediglich um die Kernwählerschaft gehalten haben.

Ebenso zulegen konnten die Sonstigen. Sie vereinten 20 Prozent (plus 5 Prozent) der Stimmen auf sich. Nicht selten zogen auch Vertreter von Vereinigungen in die Vertretungen ein, die rechts der AfD stehen. In neun der Kreistage ist die AfD nun stärkste Kraft, in 12 bleibt es die CDU und in einem stellen die Freien Wähler die meisten Mitglieder.

Für die Regierungsparteien in Bund und Land war die Wahl eine herbe Klatsche. FDP, SPD, Linke und Grüne ließen ordentlich Federn. Absolut musste die Linke die stärksten Verluste hinnehmen. Die Ministerpräsidentenpartei ist zunehmend auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Nach der Kommunalwahl 2019 war man mit 14 Prozent noch klar im zweistelligen Bereich. Nun kommt die Linke nur noch auf 8,5 Prozent (-5,5).

Relativ haben die Grünen am stärksten verloren. Die Partei hat sich in Thüringen halbiert und konnte nur 3,8 Prozent der Wähler von sich überzeugen. Klar zweistellig waren die Grünen in Jena, Weimar und der Landeshauptstadt Erfurt. In allen anderen (ländlichen) Regionen hatte die Partei teils Probleme, überhaupt noch einen Vertreter in die Kreistage und Stadträte zu entsenden.

Das Ende der Brandmauer

In zahlreichen Kommunalvertretungen bedeutet dies de facto das Ende der Brandmauer. In Gera, der mit knapp 100.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Thüringens, holte die AfD über 35 Prozent. Linke (12,3), SPD (5,9), FDP (1,4) und Grüne (3,3) kommen gemeinsam noch knapp auf über 20 Prozent. Doch selbst in Eintracht mit der CDU (16,4) könnten sie die Brandmauer nicht mehr halten. Der Rest der Stimmen verteilt sich auf sonstige Vereinigungen.

Der Fall in Gera ist für die Situation in den Kreistagen sowie den Stadträten der kreisfreien Städte nur beispielhaft. In insgesamt 7 der 22 Landkreise und kreisfreien Städte kommen Grüne, FDP, CDU, SPD und Linke gemeinsam auf weniger als 50 Prozent. In allen anderen Landkreisen und kreisfreien Städten (abgesehen der Städte Jena, Erfurt und Weimar) kommen sie auf unter 60 Prozent der Stimmen. Auf Stadtratsebene (der nicht kreisfreien Städte) ist das Ergebnis für die Regierungsparteien teils noch fataler. Die Sonstigen spielen gerade hier eine noch größere Rolle.

Auf kommunaler Ebene ist die Brandmauer in Thüringen damit vielfach gestorben. In mehreren Landkreisen wurde sie de facto vom Wähler beerdigt. Die Wähler in Thüringen haben damit Tatsachen geschaffen. Die Parteien, die zuvorderst die Brandmauer einfordern, wurden vielfach entmachtet. Das Eintreten für die Brandmauer gehörte gerade für rot-grün zum Machtkalkül. Mit Ausschluss der AfD war der Zugriff auf Posten und Ämter so gut wie sicher. Gerade deswegen sind die Wahlen für Linke, SPD, Grüne und FDP ein riesiges Fiasko. Nun steht nicht nur der Zugriff auf Posten, sondern überhaupt die eigene Relevanz auf dem Spiel.

Die CDU in Thüringen wird nun gezwungen sein zu entscheiden, ob man die Spielchen der Bundespartei mitmacht oder ob man einen eigenen Weg – ohne Brandmauer – einschlägt. Einfach wird dies für die Thüringer CDU-Mitglieder nicht. Der innerparteiliche Druck ist groß und die Aussicht auf eine politische Karriere hängen zumindest derzeit vom Einstehen für die Brandmauer ab.

Als der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Sommer zumindest die kommunale Zusammenarbeit mit der AfD als denkbar bezeichnete, traf er auf erheblichen Widerstand anderer Parteispitzen. Markus Söder, Hendrik Wüst und Daniel Günther empörten sich über Merz und forderten ein glasklares Bekenntnis zur „Brandmauer“. Dass bei den drei genannten auch eigenen politischen Ambitionen eine Rolle spielen, ist unnötig zu erwähnen. Merz ruderte schließlich zurück.

In den Thüringer Kommunen stößt die Brandmauer aber nun endgültig an ihre Grenzen. Sollte die CDU-Spitze hier noch immer auf einem absoluten Kooperationsverbot beharren, macht sie sich endgültig lächerlich. Die fragilen Mehrheitsverhältnisse machen eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene faktisch unausweichlich. Nicht aus demokratischer, wohl aber aus machtpolitischer Sicht ist die Kommunalwahl deswegen ein Fiasko für rot-grün sowie zumindest für die Führungsspitze der Union.

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