Es sind pietätlose Worte, die der Comedian Luke Mockridge vor kurzem für die Teilnehmer des paralympischen Schwimmwettbewerbs fand. „Wer als letzter ertrinkt, der hat dann gewonnen“, sagte der 35-Jährige in einer Folge des Podcasts „Die Deutschen.“ Wirklich lustig fanden das wohl wenige – doch rechtfertigt das den Cancel-Sturm, der daraufhin über Mockridge hereinbrach?
Am 15. August erschien die 95-minütige Podcastfolge, die eine Zeit lang unter dem Radar zu laufen schien. Anfang September wurde dann aber der pikante Videoausschnitt in sozialen Netzwerken verbreitet, und Luke Mockridge – der schon einmal wegen nicht nachweisbarer Vergewaltigungsvorwürfe zum Hassobjekt wurde – ins Visier der Cancel-Szene genommen.
Auch der Sender Sat.1 reagierte umgehend. Eigentlich sollte am 12. September die neue Quizsendung „Was ist in der Box“ mit Luke Mockridge ausgestrahlt werden. Acht Folgen waren geplant. Doch am Montag teilte der Sender mit, das Format nicht veröffentlichen zu wollen – obwohl Sat.1 erkannt hatte, dass sich der 35-Jährige „öffentlich glaubhaft für seine unangebrachten Worte entschuldigt“ hatte.
In dieser auf Instagram geteilten Stellungnahme hatte Mockridge einen Videoausschnitt einer seiner Liveauftritte angefügt, in dem er satirisch auf ein gesellschaftliches Verständnisproblem mit kleinwüchsigen Menschen einging. Ein Kollege habe ihm diesbezüglich mitgeteilt: „Das größte Problem meiner Community ist Mitleid“.
Gemeint ist: Mitleid zu zeigen, weil jemand anders ist, kann ausgrenzend sein. „Selbstverständlich war es nie meine Absicht, Menschen mit Behinderung ins Lächerliche zu ziehen“, fügte Mockridge dem Begleittext an.
Auch im Podcast hatte Mockridge die Paralympischen Spiele zunächst als ein „tolles Event für Inklusion“ bezeichnet. Das alles half dem Comedian nicht mehr: Wenn es um Minderheiten geht, versteht ein Großteil der Gesellschaft keinen Spaß. Neben der Sendung „Was ist in der Box“ wurden auch die beiden Auftaktveranstaltungen zu Mockridges „Funny Times“-Tournee abgesagt.
Der Comedian habe sich selbst zu diesem Schritt entschieden, teilte der Tourveranstalter MTS live der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Demnach erfolgte die Absage der Auftritte am Donnerstag und Freitag in Bünde und in Paderborn „aufgrund der aktuellen Situation.“ In Gelsenkirchen und Bonn, wo jeweils zwei der insgesamt 30 Auftritte stattfinden sollten, und in Siegen sowie Mainz entschlossen sich die örtlichen Veranstalter dazu, die Veranstaltungen abzusagen. In Rheine wurde der Karten-Vorverkauf pausiert.
Die Veranstalter in Gelsenkirchen, Emschertainment, begründeten ihre Entscheidung folgendermaßen: „Es mangelt Luke Mockridge offensichtlich an jeglicher Demut gegenüber der Leistung der Paralympioniken und an Respekt gegenüber Menschen mit Behinderungen jeglicher Art.“ So abstoßend Mockridges Aussagen auch sein mögen: Bei seinen Liveauftritten hatte der Comedian immer wieder betont, großen Respekt vor der Leistung beeinträchtigter Personen zu haben. Das ließen die Veranstalter unbeachtet.
Ähnlich äußerte sich das Haus der Springmaus in Bonn. Die Einrichtung teilte mit, sich „mit aller Deutlichkeit von Äußerungen, die auf diffamierende und respektlose Art und Weise Menschen mit Behinderung lächerlich machen“ zu distanzieren. Brisant: Das Springmaus-Theater, das als Improvisationsensemble ausschlaggebend für die Gründung des Hauses war, wurde 1983 von Mockridges Vater gegründet.
Das Konzertbüro Schoneberg, das für die Auftritte in Siegen und Mainz zuständig ist, teilte gegenüber der Siegener Zeitung zu den Gründen der Absagen lediglich mit: „Die Medien sind voll davon.“ Weitere Erklärungen gab es nicht.
Damit reagierten all diese Veranstalter auf den massiven öffentlichen Druck, der sich auf Bestreben einiger bekannter Persönlichkeiten entwickelt hatte. Die zweifache Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel hatte sich schnell an die Spitze des Cancel-Sturms auf Mockridge gestellt.
In einem Instagram-Video ließ die seit 2018 querschnittsgelähmte Athletin verschiedene betroffene Akteure zu Wort kommen, die Mockridges Aussagen als „respektlos“ einstuften. Was Mockridge bei „Die Deutschen“ gesagt hat, habe „mit Satire nichts zu tun. Das ist menschenverachtend, widerlich und diskriminierend“, erklärte Vogel.
Kurz nach der Stellungnahme von Sat.1 meldete sich Vogel wieder zu Wort: „Hey Leute, wir haben was erreicht“, sagte die 33-Jährige und zeigte sich erfreut über Mockridges Entschuldigung, das Absetzen der geplanten Sendung und den tausendfachen Zuspruch für eine Petition gegen die Auftritte des Comedians. Damit nicht genug: „Wir können was bewegen und wir können noch mehr“, meinte Vogel. Als nächstes soll es Nizar und Shayan, den Gesichtern von „Die Deutschen“, an den Kragen gehen.
Die betreffende Petition hat Vogel gemeinsam mit anderen Akteuren ins Leben gerufen. Sie richtet sich vor allem an Marc Rasmus, den Geschäftsführer von Sat.1, aber auch an Spotify, Podimo und Eventim. Unter dem Titel „Stoppt Luke Mockridge und Co.! Kein Platz für Behindertenfeindlichkeit in den Medien!“ sollen neben der – mittlerweile erfolgreichen – Absetzung von „Was ist in der Box“ und dem Sperren von Podcasts auch Absagen von Liveauftritten erzwungen werden.
Doch „Die Deutschen“ wollen nicht vor der Cancel-Szene einknicken. „Ja, wir haben einen Witz gemacht. Kann man geschmacklos finden, kann man unlustig finden, aber es ist immer noch ein Witz“, sagten die beiden in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme. „Ein geschmackloser Witz zerstört keine Menschenleben – eine Hetzkampagne schon.“
Mockridge hätte mit „Was ist in der Box“ eigentlich seine TV-Rückkehr feiern können, nachdem er wegen nicht bewiesener Vergewaltigungsvorwürfen jahrelang von den Bildschirmen verbannt gewesen war. 2019 hatte Mockridges damalige Freundin diese Vorwürfe gegen den Comedian erhoben. Und obwohl die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellen musste, wollte der öffentliche Druck nicht enden – Mockridge wurde 2021 in eine Psychiatrie eingewiesen.
Jetzt folgt ein neuer Shitstorm und die Frage: Hat Mockridge oder die Cancel-Culture nicht aus den eigenen Fehlern gelernt? „Die Deutschen“ appellieren deshalb, den Comedian mit „Gerechtigkeit“ zu behandeln: „Dieser Mann hat alles verloren und es reicht euch immer noch nicht.“ Nizar und Shayan selbst möchten standhaft bleiben: „Wir werden uns bei der Cancel-Culture nicht entschuldigen“, teilten die beiden in ihrer Stellungnahme mit.
Und weiter: „Wir respektieren und schätzen alle. Wir grenzen niemanden aus – das ist wahre Inklusion“, denn „die Cancel-Culture möchte […] bestimmen, worüber man lachen darf.“ Weiter sagen sie: „Es ist immer noch Humor, der nicht jedem gefallen muss.“ Ihre Sendung möchten sie deshalb nicht auf Eis legen.
Dabei beginnt die Stellungnahme mit der Ankündigung, den Podcast zu beenden. Nach wenigen Sekunden lösten „Die Deutschen“ das aber als Bluff auf. Sie simulieren damit das Bild einer Gesellschaft, die sich immer und überall für alles und jeden entschuldigen möchte – und sich deshalb auch freiwillig canceln lässt. Auch Mockridge ging es so: Auf Wunsch entfernten „Die Deutschen“ die pikanten Videoausschnitte mit dem Comedian.
„Wir respektieren diese Entscheidung“, teilten Nizar und Shayan mit – sie selbst gehen aber in die Offensive und möchten gegen jeden, der „Rufmord und Hetze“ betrieben hat, vorgehen. Nur bei einer Personengruppe möchten sie sich wirklich entschuldigen – bei behinderten Personen, die sich durch die Aussagen verletzt gefühlt haben: „Es tut uns wirklich aufrichtig leid.“
Sehr geehrter Herr Lukowsky!
Ihre Bedenken sind durchaus berechtigt. Obwohl ich in diesem Fall zunächst meinen Emotionen und nicht meinem Verstand folgte. Keine Frage, es handelt sich zweifellos um eine abstoßende Verhöhnung. Das ist jedoch auch schon alles.
Denn jede aufkommende Generation verspottet vergangene Trends, Traditionen und Emotionen. Heute folgt sie allzu freudig dem „Cancel-Sturm“, der nun wirklich ganz unheilvoll die Gehirne verwüstet.
Deshalb sollten diejenigen, die vorschnell handeln, Vorsicht walten lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Heinz Maierl
Meine Güte, es mag ja geschmacklos sein, Witze über Behinderungen zu machen, aber es kann durchaus trotzdem sehr lustig sein. Man spottet ja auch über vergeßliche Leute, indem man „Alzheimer“ ins Spiel bringt, eine üble Krankheit, über die nicht lachen kann, wer betroffen ist. Ich erinnere mich noch an eine Pointe, zu der mir der zugehörige Witz entfallen ist, die hieß “ keine Arme, keine Kekse!“ und machte sich über Contergan-Geschädigte lustig, zweifellos auch geschmacklos. Man kann sehr wohl über so etwas lachen, und es trotzdem schlimm finden, gerade weil es so unendlich zynisch ist. Sollte Zynismus verboten werden? Ich finde nicht. Niemand muß sich Mockridges Sendung anschauen, wenn es das nicht mag. Böhmermann läßt man ja auch frei rumlaufen und bezahlt ihn noch für seinen Mist.
Wer seibe 5 Sinne einigermaßen beisammen hat weiß, daß Mockridge nur Schwarzen Humor hat walten lassen – auch wenn der nicht besonders gut war. Einen solchen Shitstorm rechtfertigt das aber nicht. Wo blieb denn der woke Shitstorm bei dem „Blinddarm der Gesellschaft“ oder „AfD-ler töten“? Das ist wohl schon in Ordnung so, was?!
Hätte er was gegen die AfD und räächts gesagt, er würde von Talkshow zu Talkshow weiter gereicht. Bin selbst behindert, kann aber über Witze die meine Behinderung betreffen lachen. Ein humorloses Leben ist kein Leben!
Diese Konsequenz würde ich mir auch einmal bei Bähmermann wünschen. Er steht immer noch als leuchtentes Beispiel dafür, dass man in Deutschland jede Geschmacklosigkeit und Diffamierung als Angestellter des ZDF formulieren darf.
Die (West)Deutschen haben Humor? Das wäre mir neu! Dieses Volk ist eine einzige Farce. Immer ganz vorne mitspielen wollen, aber wenn es wirklich richtig witzig ist- gehen sie schnell mal in Keller- bloß niemandem zeigen, dass Behinderten-, Schwulen- oder Ostfriesenwitze lustig und zum totlachen sein können. Ich bin schwul und wenn ich jedes Mal, wenn ich Schwulenwitze gehört habe diese kleinen Winseltriaden aufführen würde anstatt herzlich darüber zu lachen…na Sie wissen schon- diese kleinen Scheißer heute kriegen ihr Leben nicht auf die Reihe und hängen sich an jede noch so kleine Sache dran, merken dabei gar nicht wie sehr sie mittels Instrumentalisierung der jeweiligen Personengruppen von ihrem eigenen langweiligen Leben ablenken! In Österreich gibts dafür nen Spruch, wenn die/der nervt: Geh scheißen!
Der Witz war m. E. geschmacklos, aber der Shitstorm und das Canceln sind eindeutig unterirdisch. Andere wurden für ähnliche oder schlimmere Ausfälle mit Preisen bedacht. Man ist ja nicht gezwungen, solche Shows zu besuchen. Damit kann es dann auch mal gut sein. Es gibt weitaus schlimmere Probleme.