In den deutschen Medien hat man nichts davon gelesen – aber in den vergangenen zwei Wochen fanden die bisher größten und aggressivsten chinesischen Manöver rund um Taiwan statt. Mehr als 161 Kampfjets, Bomber, Drohnen und andere Flugzeuge kamen zum Einsatz, zusätzlich zu gleich mehreren Flotten: Chinas Flugzeugträger Shandong führte eine Kampfgruppe von mindestens sieben Schiffen an, parallel dazu waren drei weitere Kampfgruppen der chinesischen Seestreitkräfte im Einsatz. Alle davon östlich, nördlich oder südlich der Insel. Das ganze erschien wie die Simulation einer koordinierten Luft- und Seeblockade Taiwans.
Bei der Übung einer reinen Blockade blieb es aber wohl noch nicht: Auch zivile Fähren, die wohl Teil einer zukünftigen Invasion wären, beteiligten sich an den Übungen. In der chinesischen Festlandprovinz Fujian direkt gegenüber der Insel begann die Volksbefreiungsarmee in großem Stil Bodentruppen zusammenzuziehen. In Taiwan war man schnell besorgt, dass die Truppenbewegungen womöglich mehr als nur das übliche Säbelrasseln sein könnten. Das dortige Verteidigungsministerium sprach von „abnormalen” Bewegungen und warnte, die Situation drohe schnell „außer Kontrolle” zu geraten.
Am Ende zogen sich die Chinesen doch wieder zurück, aber das Vorgehen zeigt: Man wird immer aggressiver, eskaliert Übungen immer weiter – bis sie irgendwann erst im letzten Moment von einer Invasion unterschieden werden können. In Taiwan rüstet man derweil auch auf: Zu Ende letzter Woche kündigte Präsidentin Tsai die fertige Entwicklung des ersten selbstgebauten U-Boots an. Das Gefährt mit dem Namen „Hai Kun“ (Mandarin für „Seemonster“) soll kommendes Jahr einsatzbereit sein. Klar ist: Sein Ziel wären im Kriegsfall chinesische Invasions- und Nachschubsschiffe die über die Taiwan-Straße fahren. Bis 2027 sollen zwei der U-Boote im Einsatz sein und damit Taiwans Unterseeflotte, die bisher aus zwei in den 80ern gebauten U-Booten niederländischer Herkunft besteht, erweitern.
2027 – das gilt als das Schlüsseljahr, wenn es um Taiwans Sicherheit geht. Bis dahin sollen Chinas Streitkräfte bereit für eine Invasion des Nachbarn sein – den Befehl hat Machthaber Xi Jinping schon vor Jahren an seine Generäle ausgegeben. Aber ist der Westen bereit?
In Deutschland taucht eine mögliche chinesische Invasion Taiwans in der Debatte nur als Teil inhaltsleerer Phrasen auf. Paradebeispiel dafür ist das Interview, das Außenministerin Annalena Baerbock vor kurzem dem US-Sender Fox News gab. Dort sprach sie über den Ukraine-Krieg, warb für US-Unterstützung für das osteuropäische Land und meinte: „Wenn Putin diesen Krieg gewinnen würde, was wäre das für ein Signal an andere Diktatoren auf der Welt, wie Xi.“
Für die Bezeichnung Xi Jinpings als Diktator sammelte sie im Anschluss Kritik und Lob ein – ihre Anhänger verteidigten den Ausrutscher damit, dass es ihr hier darum ging, gegenüber den Amerikanern einen klaren Punkt zu machen, ganz nach dem Motto: „Ihr müsst die Ukraine unterstützen, sonst schnappen sich womöglich auch die Chinesen Taiwan!“ Selbst wenn das Baerbocks Kalkül war zeigt es, wie kurzsichtig Deutschland in der Frage fährt: Eine Invasion Taiwans taucht gerade einmal als Argumentationshilfe auf, um die Ukraine zu unterstützten – das war’s. Es ist ein Thema, was man bestenfalls oberflächlich anreißt, als Mittel zum Zweck vor amerikanischem Publikum einsetzt, aber dem wahren Ausmaß ist man sich nicht bewusst.
Die wirklich entscheidenden Fragen – Warum geht uns ein Krieg am anderen Ende der Welt an? Was bedeutet er für uns, unsere Verbündeten und überhaupt die ganze Wirtschafts- und Weltordnung? Wie kann man ihn wirklich verhindern? – die stellt man sich in Deutschland nicht. Während sich andere Länder damit beschäftigen, verschläft man hierzulande den am Horizont aufziehenden, womöglichen entscheidendsten Konflikt des 21. Jahrhunderts. Auch wenn die Amerikaner mit ihrer Politik noch meilenweit davon entfernt sind, für eine effektive Abschreckung zu sorgen, erkennt und analysiert man dort zumindest die Gefahren einer Taiwan-Invasion.
Als sich eine US-Simulation Anfang dieses Jahres mit einem Krieg um die Insel beschäftigte, titelten deutsche Medien „Taiwan würde chinesische Invasion besiegen“ – eine völlige Fehlinterpretation. Tatsächlich kam die Studie des US-Thinktanks CSIS zu dem Schluss, dass die Insel ohne direktes militärisches Eingreifen der USA chancenlos gegen eine chinesische Invasionsarmee dasteht. Das ist kein kleines Detail: Eine direkte militärische Auseinandersetzung zwischen US- und chinesischen Streitkräften wäre Voraussetzung dafür, dass Taiwan nicht eingenommen wird. Auch ohne zumindest indirekte japanische Unterstützung wird es schwer sie zu verteidigen.
Warum würden die USA es zulassen, in einen Krieg mit einer Atommacht gezogen zu werden? Und warum würden die Chinesen einen solchen selbst wagen? Jene Kriegssimulation sieht nämlich auch deshalb die USA so oft zur Verteidigung Taiwans schreiten, weil bereits in den ersten Stunden des Konflikts chinesische Angriffe auf US-Basen in Guam und anderswo im Pazifik stattfinden könnten. Man rechnet damit, dass die Chinesen wohl auch davon ausgehen würden, dass Amerika Taiwan unterstützt, und würden versuchen, große Teile des US-Militärs im West-Pazifik präventiv auszuschalten.
All das wird in Deutschland nicht klar, wenn man Taiwan nur als eine Art Ukraine 2.0 oder als Spielball für leere Phrasen behandelt. Die Insel spielt im geopolitischen Kontext Asiens eine Schlüsselrolle. Asien ist im Aufstieg. In einem 3.300 Kilometer-Radius in Ostasien, etwa sechs Prozent der Erdfläche, lebt jetzt schon eine Mehrheit der Erdbevölkerung. Und es ist nicht die reine Bevölkerungszahl, sondern vor allem die Wirtschaft, die hier im Aufschwung ist: Asien ist auf dem Weg an die Spitze der Weltwirtschaft zu klettern – wenn es da nicht schon ist. Manch einer mag jetzt sagen: Ja, aber Chinas Wirtschaftswachstum geht gar nicht mehr so steil nach oben, wie einst vor ein paar Jahrzehnten – und ja das stimmt.
Das ist genau der Punkt: China ist zwar wirtschaftlich und militärisch das stärkste Einzelland des Kontinents, aber seine Wirtschaft allein wird nicht den Globus dominieren. Wenn es es aber schafft, seine vielen kleineren Nachbarn mit weiterhin großem Potential zu seinen Untertanen zu machen, dann herrscht China über weite Teile Asiens – und wer langfristig Asien beherrscht, der bestimmt die Regeln, nach denen die Welt spielen wird.
Und nein, es geht hier nicht darum, dass die USA Asien kontrollieren – dazu haben sie weder die Mittel noch die potenziellen Verbündeten, mit denen man ohnehin gar nicht so viel gemeinsam hat, außer dem Willen Chinas imperiale Bestrebungen einzudämmen. Da wäre zum Beispiel Vietnam, was man versucht in so eine informelle Koalition einzubinden, ein diktatorisches und bis heute, wenn auch nur formell, kommunistisches Land. Ein Land, das sich aber eben zu Recht langsam immer mehr vom sozialistischen Bruderstaat China als vom ehemaligen Todfeind USA bedroht sieht. Dort unvergessen bleibt die chinesische Invasion von 1979 als eine, damals noch deutlich schwächere, chinesische Volksbefreiungsarmee gen Hanoi marschierte.
Die Koalition, die man nun aufbauen will, ist kein formales Bündnis, eine NATO Asiens ist nicht in Sicht. Dazu sind die Partner und ihr Interesse zu unterschiedlich. Es geht primär darum ein informelles Verständnis aufzubauen, dass man sich gegenseitig zur Hilfe kommt, wenn China eines der Länder angreift. Die USA mit ihren vielen Beziehungen und bilateralen Bündnissen sollen dabei als Anker fungieren: Schließlich ist Amerika bereits verbündet mit Japan, Südkorea, Australien, den Philippinen – und informell mit Taiwan. Darüber spricht man nur eben nicht offen, weil die USA nach Anerkennung der Volksrepublik China die Beziehungen zur Republik China, Taiwans offizieller Name, auf ein informelles Level reduziert haben. So gibt es keine Botschaft mehr in Taipeh, nur ein „Amerikanisches Institut“, was genauso funktioniert. Und es gibt eben keinen Sino-Amerikanischen Beistandspakt mehr, sondern „Strategic Ambiguity“, das offizielle Offenlassen, ob man Taiwan im Fall eines chinesischen Angriffs beisteht oder nicht.
„Die erste Schlacht des nächsten Krieges“
Warum also nun Taiwan beistehen? Weil es das Halbleiter-Zentrum der Welt ist? Weil es eine Demokratie ist? Nein, all das sind zwar wichtige Prioritäten aber nachrangig. Eine Anti-China-Koalition kann nur dann funktionieren, wenn die USA klarmachen, dass sie bereit sind, Taiwan, das wohl erste Ziel chinesischen Expansionismus, zu verteidigen. Abschreckung in Form einer gemeinsamen Allianz kann nur dann funktionieren, wenn sich alle im klaren sind, dass der Verbündete zur Unterstützung kommt – und zwar erfolgreich. Das ist der Grund, wieso CSIS der Simulation auch den Titel „Die erste Schlacht des nächsten Krieges“ gab.
Gelingt es China Taiwan einzunehmen, trotz dem informellen Verständnis, dass die USA dem Land aushelfen werden – oder gelingt es China womöglich trotz US-Involvierung – dann wäre eine Anti-China-Allianz so gut wie tot. Wenn die USA schon Taiwan nicht verteidigen können, wie soll es dann mit den anderen asiatischen Verbündeten aussehen? Eine glaubwürdige Abschreckung wäre am Ende und statt einer selbstbewussten Verteidigung gegen Chinas Imperialismus, würden sich dann nicht wenige Länder eher unterordnen als nacheinander einzeln von den übermächtigen Chinesen übernommen zu werden.
Natürlich wird China nicht halb Asien angreifen, aber bereits die Fähigkeit sich ein Land nach dem anderen vorzuknöpfen, sorgt für ein ähnliches Resultat: Die Staaten werden zu Vasallen Pekings. Das ist es, was man nicht nur in Tokio oder Seoul, sondern auch in Washington verhindern will.
Und dafür muss man bereit sein, einen hohen Preis zu bezahlen. Einen viel Größeren als in der Ukraine. Die Ausmaße eines Taiwan-Krieges scheinen viele der Politiker, die hierzulande das Thema mal anreißen, noch nicht begriffen zu haben. Innerhalb weniger Tage und Wochen würden beide Seiten Flugzeuge, Schiffe, Material und Soldaten in historisch ungekannter Größenordnung verlieren. Die CSIS-Simulation spricht in nur den ersten zwei Wochen des Konflikts von zwei bis vier zerstörten US-Flugzeugträgern, dutzenden versenkten Schiffen und dem Verlust von 200 bis 500 Flugzeugen.
Selbst im siegreichen Grundszenario nimmt der Krieg blutige Ausmaße an: Man geht von ca. 140 toten US-Soldaten pro Tag aus – zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Kriege im Irak und Afghanistan waren es drei pro Tag, im Vietnamkrieg noch 30. Stattdessen nähern sich die Zahlen eher denen des Zweiten Weltkriegs an, mit ca. 300 Toten pro Tag.
Von einer nuklearen Eskalation, über die manch einer beim Ukraine-Krieg schon spekuliert, noch ganz zu schweigen. Sowohl die USA als auch China sehen es natürlich nicht in ihrem Interesse den Konflikt dann im Fall der Fälle zu einem globalen Atomkrieg ausarten zu lassen. Das allein sorgt, aber noch nicht dafür, dass ein begrenzter Einsatz von Nuklearwaffen gegen einzelne taktische Ziele völlig vom Tisch wäre.
Eins steht jedenfalls fest: Taiwan ist nicht die Ukraine. Im Pazifik haben wir es mit einem drohenden Konflikt zu tun, der ganz anders aussieht und bei dem noch viel mehr auf dem Spiel steht.
Jetzt zu argumentieren, mit ein paar Waffenlieferungen für die Ukraine schrecke man Xi davon ab, Taiwan anzugreifen, ist zu kurz gedacht. Bei all den großen Tönen, und den ukrainischen Erfolgen beim Stopp des russischen Einmarsches darf auch nicht vergessen werden, dass Europa dabei versagt hat, den Kriegsausbruch in der Ukraine zu verhindern. Das an sich war schon ein außenpolitisches Desaster, aus dem man sich jetzt mit Waffenlieferungen „freikaufen“ will – obwohl man die Kiew vorher jahrelang verwehrte.
Diese Strategie wird in Taiwan nicht funktionieren: Dort gibt es keine Landgrenze zu gleich mehreren NATO-Ländern. Die geographische und geopolitische Situation ist eine völlig andere. Alle Waffen, die Taiwan braucht, müssen vor Kriegsbeginn dort sein, danach wird die Insel aufgrund chinesischer Attacken für verbündete Schiffe kaum erreichbar sein. Und je länger die USA in so einem Fall zögert, direkt zu intervenieren (wenn ihre Basen nicht sowieso schon parallel attackiert wurden), umso wahrscheinlich wäre ein chinesischer Sieg.
Nicht nur ist die Ausgangslage eine andere – auch die US-Unterstützung für die Ukraine steht in gewisser Hinsicht sogar im Konflikt mit der für Taiwan. Dass in der Ukraine aktuell ein langwieriger Krieg tobt, eine Materialschlacht für die westliche Munitionsdepots ausgeleert werden, ohne dass man in der Lage ist in entsprechender Geschwindigkeit nachzuproduzieren, das alles dürfte für Peking eher vorteilhaft sein.
Was bedeutet das für Europa und Deutschland? In einen direkten Krieg mit China werden wir wohl nicht hineingezogen werden – die NATO-Beistandsregel gilt nämlich nicht im Pazifik. Ein folgender Wirtschaftskrieg mit China ist aber durchaus wahrscheinlich. Vor allem aber bedeutet es, dass Deutschland seine Verteidigung und die Verteidigung seiner europäischen Verbündeten langfristig selbst in die Hand nehmen muss. Man kann die Amerikaner noch so gerne belehren, wie wichtig die Ukraine ist, aber dort dreht sich der Wind schon lange gen Asien, das Schlachtfeld der Zukunft. Erst vergangene Woche etwa fielen Ukraine-Hilfen erstmals aus dem US-Übergangshaushalt. Der Trend dürfte sich fortsetzen, das machen viele Republikaner klar. Das Motto lautet: Aufrüsten für den nächsten Pazifikkrieg – denn nur so kann man ihn verhindern.
Beim Lesen dieses erstklassigen Textes kommt man sich vor wie in einem Polit-Thriller, nur leider ist alles real.
Wer bedroht eigentlich wen ? Wer hat nahezu 1000 Stützpunkte auf der Welt ? Wer hat Stützpunkte direkt um China herum und wer hat keine Stützpunkte um die USA herum?
Wer handelt imperialistisch?
Wäre ich ein Alien und würde in meinem Raumschiff gerade die Erde umkreisen, hätte ich keine Bedenken, diese offensichtlich kernverblödete Menschheit zu pulverisieren – zum Wohle des restlichen Universums. 😄
Im Falle eines Krieges wird Amerika sich raus halten. Die USA in dieser Situation können China nicht besiegen, und beim Versuch die Machtstellung in Europa verlieren.
Es könnte gut ein Ziel der EU sein mit der Vorherrschaft Deutschlands die Amis aus der EU raus zu drängen.
Ich möchte auch nicht spekulieren, was schlimmer ist: Amerika first oder der Nationalismus in Europa.
Ein „Reset“ dürfte m.E. einiges wieder heilen.
Wenn die USA bei einer rotchinesischen Invasion Taiwans nicht alles riskierend eingreift, weht innerhalb von 3 Tagen die rote Fahne über Taipeh.