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Zwischen Kampfjets und betrunkenen Touristen: Wo Europa den 7. Oktober erlebte

Als der 7. Oktober passierte, war ich auf Zypern. Schnell waren israelische Flüchtlinge zwischen Arabern, die den Mord an Juden feierten und britischen Touristen. Eine absurde Szenerie. Doch die Insel zeigt auch an einer ganz konkreten Stelle, wie nah Europa an diesem Krieg ist.

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Ich habe keine Ahnung, wo ich 9/11 war, was sehr viel damit zu tun hat, dass ich meinem ersten Geburtstag noch freudig entgegenblickte. Was ich aber weiß, ist, wo ich am 7. Oktober war. Nur etwa 374 Kilometer entfernt. Zypern ist als Geburtsort der Aphrodite eindeutig kulturell europäisch, doch in der geografischen Lage spiegelt sich das nicht wirklich wider: Zur Hälfte völkerrechtswidrig von der Türkei besetzt, um ein Vielfaches näher an Syrien als an Griechenland und geografisch Teil von Asien. 

Nach Zypern zu reisen, ist, als würde man die EU verlassen. Man muss trotz Schengenraum das internationale Terminal passieren und seinen Pass vorzeigen, und ist man endlich angekommen, wird man mit Foto in eine Kartei aufgenommen. Wenn man sich den griechischen Göttern näher fühlen will, ist Zypern ein perfekter Reiseort. Wenn man sich den Nahost-Konflikten näher fühlen will, leider auch.

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Die ersten Nachrichten des brutalen Überfalls durch die Hamas sind nicht gleich zu mir durchgedrungen. Angriffe auf Israel hatten in der Vergangenheit doch immer bedeutet, dass der Iron Dome und die IDF das Land ohne große Verluste verteidigen konnten. Ein Satz hat mich aus dieser Vorstellung gerissen: „Nein Elisa, du verstehst nicht. Die sind da von Haus zu Haus gegangen und haben die Menschen gelyncht.“ Dann kamen die Videos und Fotos. Und dann der Verfolgungswahn. 

Zypern liegt nah am Nahen Osten. Sehr nah. Nah genug, um genauso staubig zu sein, die gleiche ausgetrocknete Flora und Fauna, die Häuser aus den gleichen Materialien und in ähnlicher Architektur gebaut zu haben. Ein paar Hundert Kilometer entfernt sind Massaker verübt worden. Und wenn ich von meinem Handy aufschaute, sah um mich herum alles genauso aus. Jeder verstaubte Pickup wurde zu einem Flashback an Naama Levy mit den zerschnittenen Fersen und der blutigen Hose. Jedes Mal, wenn ich meine Augen zumachte, war da der leblose Körper von Shani Louk. Ich konnte nachts nicht schlafen, weil sie mich bis in meine Träume verfolgte. Damals waren Shani Louk und ich beide 22 Jahre alt. Diesen Monat werde ich schon 24, während Shani für immer 22 bleiben wird. 

Man will sich nur im übertragenen Sinne die Finger nicht schmutzig machen

Zypern ist für Israelis ein beliebtes Reiseziel und ein günstig gelegener Fluchtort. Der sichere europäische Hafen sozusagen. Der Strand von Larnaka grenzt beinahe direkt an den Flughafen an. Die Flugzeuge fliegen so vorbei, dass man den Piloten fast zuwinken kann. Zu Beginn des Urlaubs waren es größtenteils Lufthansa, Ryanair und EasyJet-Flieger. Nach dem 7. Oktober kamen die ElAl-Flieger fast im Minutentakt. Der Tag gehörte nun israelischen Familien. Eltern, die sich keine Angst oder Sorgen anmerken ließen, während ihre Kinder am Strand spielten und sich über den spontanen Urlaub freuten. 

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Doch die Nacht gehörte den Arabern, für die Zypern ebenfalls ein günstig gelegenes Tor zur EU darstellt. Die Israelis hatten ihr Bestes getan, den Terror hinter sich zu lassen, auf der anderen Seite des Mittelmeers. Ihre Feinde hatten kein Interesse daran. Sie tanzten auf der Straße und hielten den Touristen freudig Baklava unter die Nase, sogar noch mit dazu gereichten Servietten – man will sich doch nur im übertragenen, nicht im wortwörtlichen Sinne die Finger schmutzig machen. 

Die Touristen griffen freudig zu, wohl in der Ansicht, ein freundlicher, untersetzter Zypriot würde ihnen seine Nationalspeise verkosten. Am Abend des 7. Oktober. Europäische Touristen kommen vor allem aus Großbritannien. Sie kommen nicht nach Zypern, weil ihnen die Architektur oder Kultur so gefällt. Bei 40 Grad im Schatten essen sie ihr English Breakfast zum Frühstück und legen sich danach so lange an den Strand, bis sie selbst wie in Ketchup eingelegte Bohnen aussehen. Am Abend genießen sie Long Island Iced Tea für 2 Euro den Liter und hören sich Elvis Presley an, der in Zypern nicht nur noch lebt, sondern Abend für Abend von Bar zu Bar tourt. 

Die europäischen Touristen hier können auch im nüchternen Zustand keinen Zyprioten von einem Araber oder Arabisch von Hebräisch unterscheiden. Besoffen auf dem Heimweg schon gar nicht. Am nächsten Morgen war an dem Steg, an dem für einen Schwimmwettbewerb alle Flaggen der Teilnehmerländer angebracht worden waren, die Israelflagge weg. Man hatte sie gestohlen und verbrannt. Die Strandpromenade war voll mit klebrigen Servietten. Ein neuer Tag. Die Israelis, die vor dem Terror und dem Hass hierher geflohen waren, wurden auch hier von Terror und Hass empfangen. Doch sie ließen sich auch hier nichts anmerken.

Plötzlich steht auch Zypern im Fokus der Hisbollah

Jüdisch-orthodoxe Mädchen spielten mit ihren dicken hautfarbenen Strumpfhosen im flachen Wasser, ihre Eltern auf einer Bank in religiöse Schriften vertieft. Die israelische Flagge wurde schnell wieder ersetzt. Von weitem hörte man die Siegerehrung über die Lautsprecher. Mit jedem Sieg des israelischen Teams erklingt die israelische Nationalhymne aufs Neue. Blechern und vom Wind verzerrt wird sie über den Strand getragen, während in den Nachrichten die Todeszahlen weiterwachsen und die noch lebenden Vermissten immer weniger werden. 

Zypern ist der äußerste Zipfel Europas, eine Zwischenwelt zwischen Frieden und Krieg. Selbst hier ist Frieden keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Türkei besetzt noch immer die halbe Insel. Das macht es für seine Nachbarn auf der südlichen Seite des Mittelmeers angreifbar. Der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah drohte noch im Juni damit, dass Zypern – und damit die EU – „Teil des Krieges“ werde, sollte der Inselstaat Israel unterstützen. In Deutschland fand diese Drohung keine sonderliche Aufmerksamkeit. Ohne europäischen Rückhalt beteuerte Zypern seine Neutralität und kapitulierte einfach. 

Hassan Nasrallah ist Ende September gestorben – die IDF hat sich um ihn gekümmert. Europa könnte dankbar sein, doch stattdessen erklärt unsere Außenministerin nach seiner Eliminierung, sie befürchte, dass die Region in eine „absolute Gewaltspirale“ verfalle. „Es droht die Destabilisierung des gesamten Libanon und das ist in keiner Weise im Interesse der Sicherheit Israels.“ 

Diesen Herbst bin ich wieder auf Zypern. In einem kleinen Hotel, das seit seinem Erbau irgendwann in den 70ern nicht mehr renoviert wurde. WLAN gibt es hier nicht, dafür ist eine Festnetzflatrate im Hotelpreis enthalten, das Duschwasser wird in Kesseln auf dem Dach erhitzt. Ich weiß nicht genau, warum ich hier bin. Ob es die Lage am kristallklaren Wasser oder doch eher die Lage mitten in einem der größten militärischen Konflikte unserer Zeit ist, die mich hierher zurückgelockt hat. So nah am Geschehen zu sein, wie es geht, ohne sich auf eine Suizidmission zu begeben. Am Flughafen wird man von Fernsehkameras empfangen, die auf libanesische Flüchtlinge warten. Auf Zypern wird die Gefahr sichtbar, die in Deutschland noch als abstrakt wahrgenommen wird. Nicht ganz Europa ist so behütet wie wir. Und je nachdem, wie dieser Krieg ausgeht, sind wir es vielleicht bald auch nicht mehr. 

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