Die Linke droht zu sterben. Eine gerechte Strafe, denn der Tod der Linkspartei wäre auch der endgültige Tod der SED.

Ein Kommentar •

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Es herrscht schon länger eine Diskrepanz in Deutschland über die Deutungshoheit des Wortes „links“. Die Linken, mit denen ich jetzt aufwachse, sind nicht die gleichen wie die, die in der Jugend meiner Eltern die DDR beherrscht haben. Könnte Stalin sehen, wer heute für seine Ideologie kämpft, würde er sie wohl allesamt in den Gulag schicken. Doch das ist nur ein Gedankenexperiment. Was ist aber, wenn diese beiden Arten von Linken nicht nur tatsächlich aufeinander treffen, sondern täglich miteinander auskommen müssen? Woke gegen altlinks, Regenbögen gegen FDJ-Tücher, bedingungsloses Grundeinkommen gegen Zwangsarbeit, keine Grenzen gegen Mauerschützen – kann es da überhaupt zu einer Einigung kommen? 

Genau das passiert gerade. Denn diese beiden linken Lager hocken gerade in der Partei Die Linke aufeinander und wissen nichts miteinander anzufangen. In uralter sozialistischer Tradition (das einzige worauf sie sich einigen können) beginnen sie nun sich gegenseitig zu zerfleischen. Die Revolution frisst ihre Kinder – schon wieder. Dietmar Bartsch, der die DDR mit all ihren Schießsystemen und Stacheldrähten noch kennen und lieben gelernt hat, kandidiert nicht mehr für die Linke. Carola Rackete, das wandelnde Symbol für Grenzumgehung, kandiert dagegen neuerdings für die Linke. Interessanterweise gewinnen den Kampf wohl die woken Schneeflöckchen, nicht die strammen Genossen, die damals noch bei der Nationalen Volksarmee gedient haben. 

Der endgültige Untergang der SED

Nein, ist das nicht schade? So hart mussten die damals noch dafür kämpfen, das Vermögen der SED zu retten. Das war nicht wenig, immerhin wurde das gesamte Parteivermögen unbegrenzt in D-Mark umgetauscht, was die entmachtete SED, inzwischen umbenannt in PDS, zur reichsten Partei Deutschlands machte. 40 Jahre lang hatte die DDR Zeit gehabt, sich ihren Reichtum anzusammeln – auf Kosten ihrer Bürger natürlich. Denn den Sozialismus tatsächlich ausleben müssen immer nur die anderen. Milliarden D-Mark, die möglicherweise verloren gegangen wären, hätte man sie nicht mit allen Mitteln der Kunst versteckt. Namentlich beteiligt: Gregor Gysi und Dietmar Bartsch. Und wie danken ihre Nachfolger es ihnen? Sie drängen den alten Kern der Partei raus, die Linke wird jetzt zu woke für sie. 

Der Untergang der Linken wäre der endgültige Untergang der SED. Ich würde ihr keine einzige Träne nach weinen. Nein im Gegenteil: Ich tanze auf ihrem Grab, wenn es vorbei ist. Ich wünschte nur mein Opa könnte das noch miterleben. Damals in der DDR, so erzählt meine Mutter es mir oft, hat er immer gesagt: „Wenn wir den Westen bekommen, taugt er nichts mehr.“ Wie recht er doch hatte. Doch leider taugt der Westen nicht nur nichts, er verwandelt sich langsam selbst in den Osten. Die Gefahren, die damit verbunden sind, scheint man heute schon wieder vergessen haben. Und das obwohl Deutschland doch noch voller Zeitzeugen ist. 

Das Leben nach den Trümmern

Für mich ist es unverständlich, wie man nicht wissen kann, was die DDR war. Meine gesamte Familie stammt aus der DDR. Ich bin so gesehen die Allererste, die in einer Demokratie geboren wurde. Es ist ein seltsames Gefühl, die Grenze zu bilden, zwischen Diktatur und Demokratie. Ich selbst bin nach dem Mauerfall im Westen geboren, doch außer meinem kleinen Bruder hat jeder einzelne meiner Verwandten in der DDR gelebt. Schon als ich ein kleines Kind war und das alles noch gar nicht richtig begreifen konnte, bin ich mit Geschichten aus dieser Zeit aufgewachsen. 

Weil diese Geschichten mein ganzes Leben prägen, fühlt es sich manchmal an, als sei ich dabei gewesen. Meine Oma, die als Kind nur mit Stöckern spielen konnte und in Armut gelebt hat, fühlt sich an wie meine eigene Erinnerung. Ich sehe bildlich das Haus vor mir, in dem mein Vater gelebt hat – ohne Bad, nur mit Donnerbalken im Hof. Dass meine Mutter trotz Einserzeugnis nicht auf die weiterführende Schule durfte, weil ihre Eltern nicht der Partei angehörten, fühlt sich an, als hätte ich es selbst erlebt. Ich kann förmlich hören wie mein Vater angebrüllt wurde, als er sich weigerte als Soldat an die Grenze zu gehen. Ich spüre den Verrat, den mein Großonkel spürte, als seine Flucht aus der DDR daran scheiterte, das sein Freund ihn verriet. 

Deutschland weiß seine Freiheit nicht zu schätzen

Ich kann mich mit diesem Wissen nicht heimisch fühlen in diesem Land, das die Demokratie geschenkt bekommen hat und nicht annähernd zu schätzen weiß. Und ich kann nicht verstehen, wie wir alle einfach akzeptieren, dass die SED noch immer bei uns im Bundestag sitzt, als wäre nichts gewesen. Jedes Mal, wenn ich ein Linken-Wahlplakat zu Schulbildung sehe, weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll, denn dann muss ich daran denken, dass mein Bruder und ich die einzigen in meiner Familie sind, die auf ein Gymnasium gehen konnten – die einzigen mit Abitur, die einzigen die Studieren dürfen. Das haben wir nicht wegen überragender Leistungen geschafft.

Wir sind nur zur richtigen Zeit im richtigen Land geboren. Und das ist ganz einfach nicht fair. Ich will nicht die Erste sein. Ich hätte nicht die Erste sein müssen. Meine Familie hätte genauso sein können, wie die aller meiner Wessi-Klassenkameraden – so gewöhnt an Freiheit und Demokratie, dass sie sie gar nicht mehr zu schätzen wissen. Ich hätte im Geschichtsunterricht auch so naive und ignorante Fragen stellen können wie: „Warum haben die die SED nicht einfach abgewählt?“ Dafür hätte die Mauer nur ein bisschen anders verlaufen müssen. Stattdessen verfolgt mich die DDR noch heute, obwohl ich sie gar nicht mehr erlebt habe. 

Die DDR lebt trotzdem weiter

All das lebt in mir weiter und es wird mich immer verfolgen, weil auch der Untergang der Linken keine Genugtuung bringen kann. Die ganzen Linken-Politiker, die so gemütlich in ihren blauen Sesseln im Bundestag sitzen und mit ihrer Anwesenheit eine Partei wie die SED weiterleben lassen, haben keine Ahnung, wie viel Leid die DDR noch heute nach sich zieht. Damit meine ich nicht meins. Ich meine das Leid derer, die mit dem Wissen weiterleben müssen, dass sie jetzt ganz woanders sein könnten. Sie hätten sich ihren Beruf aussuchen dürfen, sie hätten vielleicht inzwischen auf ein kleines Häuschen sparen können, sie hätten nicht nochmal komplett von vorne anfangen müssen. Der Mauerfall hat nichts an den Schäden ändern können, die bis dahin schon entstanden sind. 

Die DDR lebt bis heute noch weiter. Doch wir können rein gar nichts mit ihr anfangen. Nicht mal als Mahnmal kann sie dienen, weil genug ehemalige SED-Funktionäre dafür gesorgt haben, dass nie die ganze Geschichte erzählt wird. Die Ossis, die verzweifelt vor dem Sozialismus warnen, sind einfach nur irre, keine Zeitzeugen. Die Plattenbauten sind Wohnraum, kein Albtraum. Einfamilienhäuser sind Platzverschwendung, kein Traum. Eigentum, Profit, Kapitalismus sind wieder Feindbilder, keine Bausteine für Wohlstand. Und die Linke? Eine ganz normale Partei, mit ganz normalem Anliegen – etabliert und akzeptiert – keine Nachfolgepartei der SED. 

Es wäre eine Genugtuung, sie zerfallen zu sehen. Sie kommen nicht in den Genuss, als Märtyrer unterzugehen, weil die Partei verboten wird. Ihr ideologisches Erbe wird nicht weiterleben. Sie sind einfach nur die Idioten, die bewiesen haben, dass der Sozialismus nicht mal im winzig Kleinen funktioniert. Gregor Gysi beklagte schon 2012 „in der Fraktion herrscht Hass.“ Ich hoffe, dass man bei der Linken im letzten Jahrzehnt spüren konnte, zu welchem Verrat und welchen Intrigen Menschen fähig sein können. Das wäre die gerechte Strafe für das, was die Stasi angerichtet hat. Aber wenn ich mir Funktionäre wie Gregor Gysi und Dietmar Bartsch ansehe, dann schwingt dabei die dunkle Sicherheit mit: Die, die den Sturz wirklich verdient hätten, werden weich fallen. 

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